Es zeigt sehr schön die Skrupellosigkeit der verantwortlichen im Allgemeinen und im Besonderen von eimem von Jamie Dimon.
Überlebenskämpfe an der Wall Street Ein Politthriller erster Güte, doch gar nicht fiktiv: Ross Sorkin hat eines der wichtigsten Bücher über die Finanzkrise und ihre Akteure geschrieben. Von Alexander Armbruster
15. September 2010 Die Frage klingt banal und ist trotzdem schwer zu beantworten: Wie geht man eigentlich damit um, etwas Furchtbares zu wissen, das überdies all jenen schwer begreiflich zu machen ist, die am stärksten betroffen sind? Jamie Dimon war wahrscheinlich wirklich mulmig zumute, als er am 12. September des Jahres 2008 nach Hause zurückkehrte zu seiner Familie, die schon auf ihn wartete, weil die Eltern des Freundes seiner Tochter zum gegenseitigen Kennenlernen gekommen waren. Konnte Dimon, Chef der amerikanischen Bank J.P. Morgan, tatsächlich einfach zur Abendordnung übergehen und darüber hinwegreden, dass er gerade mit den wichtigsten Wall-Street-Bankenchefs, mit dem amerikanischen Finanzminister und mit dem Notenbankchef zusammengesessen und sich erklären hatte lassen, dass wahrscheinlich eines der wichtigsten Finanzhäuser pleitegeht und das Finanzsystem selbst auf der Kippe stehen könnte?
Mit seinem Buch „Die Unfehlbaren“ legt der amerikanische Journalist Andrew Ross Sorkin, der für die New York Times schreibt und den zur selben Zeitung gehörenden Finanzmarktblog „Dealbook“ verantwortet, die womöglich ausführlichste Chronik der dramatischsten Phase der Finanzkrise zwischen Frühjahr und Herbst 2008 vor: Während dieser Zeit wäre zunächst die amerikanische Investmentbank Bear Stearns beinahe bankrottgegangen, ihre bedeutendere Wettbewerberin Lehman Brothers ereilte tatsächlich dieses Schicksal, und schließlich rief die amerikanische Regierung ein gigantisches Programm ins Leben, um den Finanzsektor insgesamt zu retten.
Der Weg in die Spitzenpositionen Sorkins Buch, das diese Ereignisse sehr detailliert darstellt, ist ein Politthriller erster Güte. Deshalb wäre es sogar dann empfehlenswert, wenn er seinen Inhalt erfunden hätte. Darsteller des Buches sind alle diejenigen, die in der amerikanischen Hochfinanz Rang und Namen haben. Darunter beispielsweise die mächtigen Bankenchefs Lloyd Blankfein (Goldman Sachs) und Jamie Dimon (J.P. Morgan), die beide noch heute amtieren, aber auch Kenneth Lewis, der ehemalige Vorstandschef der Bank of America, John Mack, der einmal der Chef der Investmentbank Morgan Stanley war, und Bob Diamond, der die Investmentbank des britischen Finanzinstituts Barclays führt. Darunter sind schließlich Hank Paulson, der unter George Bush junior Finanzminister wurde und zuvor Goldman Sachs führte, Ben Bernanke, der Chef der amerikanischen Notenbank, und Tim Geithner, der zu jener Zeit die Notenbank von New York leitete und unter Barack Obama amerikanischer Finanzminister wurde - und in dieser Position auf Paulson folgte. Wer das Buch liest, erfährt über sie alle nicht nur, wie sie in der Krise gehandelt haben, sondern auch, auf welchem Weg sie in ihre Spitzenpositionen gelangten.
Die dramatische Hauptfigur heißt indes Richard Fuld. Dessen Aufstieg und Niedergang schildert Sorkin ebenfalls, und er muss das auch tun, um die tragische Dimension der Krise anschaulich zu machen. Jacob Schwab, Fulds Großvater mütterlicherseits, war es demnach gewesen, der den jungen Richard Fuld mit seinem späteren Arbeitgeber Lehman Brothers zusammenbrachte, als er ihm für den Sommer des Jahres 1966 einen Teilzeitjob in einer Außenstelle der Bank besorgte. Fuld erledigte damals vornehmlich Botengänge. Nachdem er drei Jahre später das College abgeschlossen hatte, bekam er ein Praktikum bei Lehman, diesmal in einem Handelsraum in der Zentrale, im Herzen der Wall Street.
Vehemenz des Machtverlusts Buchshop Die Unfehlbaren von Sorkins, Andrew Ross Kaufen beiamazon.deLibri.deSchließlich entschied sich Fuld hauptberuflich für die Bank und kletterte Schritt für Schritt die Karriereleiter nach oben, begleitet von Geschichten, die so essentiell für die Herausbildung eines achtbaren Rufs innerhalb einer Investmentbank sind. So soll Fuld einmal zu seinem Supervisor namens Kaplan gegangen sein - dem Mann, der alle Handelsgeschäfte abzeichnen musste -, um ein eigenes Vorhaben autorisieren zu lassen. Kaplan habe gerade telefoniert, woraufhin Fuld drängelte. Sorkin schreibt: „Kaplan deckte den Telefonhörer mit der Hand ab und wandte sich aufgebracht dem jungen Händler zu. ,Ihr denkt immer, ihr seid die Wichtigsten hier', explodierte er. ,Dass nichts anderes zählt als eure Trades. Ich werde dieses verdammte Papier erst unterzeichnen, wenn nichts mehr anderes auf meinem Schreibtisch liegt!' ,Versprochen?', fragte Fuld. ,Ja', erwiderte Kaplan, ,dann mache ich es.' Fuld beugte sich herab, wischte mit dem Arm ein Mal über Kaplans Schreibtisch, und Dutzende Papiere flatterten zu Boden. Noch bevor das erste dort angekommen war, fragte Fuld bestimmt, aber nicht laut: ,Unterschreiben Sie jetzt?'“
Fuld wird letztendlich Vorstandsvorsitzender von Lehman Brothers, der viertgrößten amerikanischen Investmentbank, eine Gottheit im Mikrokosmos der Wall Street. Im Lichte dieses Aufstiegs wird erst begreiflich, wie sehr er gelitten haben muss ab März 2008, als die kleinere Investmentbank Bear Stearns strauchelte und die Mehrheit der Marktteilnehmer dachte, Lehman - Fulds Imperium - könnte als Nächstes in die Knie gehen. Fuld kämpfte, lies zunächst mitteilen, dass Lehman mit seinen Problemen klarkomme. Gewirkt hat das nicht, und an diesem Punkt begann erst schleichend und dann mit aller Vehemenz der Machtverlust Fulds - und dessen Einsicht in den für ihn fatalen Lauf der Dinge: Einmal, als er, wie Sorkin ausführt, Finanzminister Paulson darum bat, etwas gegen Leute zu unternehmen, die Wetten auf einen fallenden Kurs der Lehman-Aktien abgeschlossen hatten und den Kursrutsch beschleunigten. Ein anderes Mal, als er sogar Warren Buffett anrief und ihn bat, bei Lehman einzusteigen. Und schließlich, als er nach anderen Banken suchte, die Lehman kaufen und so retten könnten.
Dialektik der quasireligiösen Heilserwartung Das Eingeständnis, endgültig gescheitert zu sein, folgte schließlich in einem Gespräch unter vier Augen mit Bob Diamond, dem Chef der britischen Investmentbank Barclays Capital, von der Fuld sich erhoffte, sie werde Lehman retten. Am 12. September dann, im Herbst des Krisenjahres 2008, entschied Amerikas Finanzminister Paulson, kurzfristig die wichtigsten Finanzentscheider in der New Yorker Notenbank zusammenzutrommeln. An diesem Abend, an dem Jamie Dimon verspätet zu besagtem Familientreffen kam, am Samstag und am Sonntag traf sich die Elite der Wall Street und suchte eine Lösung für Lehman. Mit dem bekannten Ausgang, dass Lehman Brothers Insolvenz anmeldete, weil die amerikanische Regierung - anders als im Fall Bear Stearns - gegen eine Rettung entschied. Sie tat dies, wie Sorkin erläutert, nicht zuletzt auch, weil es für die Politik schwer gewesen wäre, die Rettung einer Bank, mit der sowohl Verwandtschaft des damaligen Präsidenten Bush als auch von Finanzminister Paulson geschäftlich verbunden war, durch Milliarden Dollar Steuergeld zu vertreten.
Die Schilderungen der Gespräche und personalen Verwicklungen zwischen Washington und New York, dem politischen und dem wirtschaftlichen Machtzentrum der Vereinigten Staaten, rechtfertigen mühelos den stattlichen Umfang des Buchs. Sorkin, der dafür nach eigenen Angaben 500 Stunden Interviews mit mehr als 200 Personen auswertete und noch dazu zahlreiche Bücher, Zeitungsartikel und Kommentare, hat einen essentiellen Beitrag zur Krisendeutung geleistet. Und der Titel der deutschen Ausgabe ist sogar gelungener als der des englischen Originals. Denn während „Too Big to Fail“ funktional das Problem zu großer ökonomischer Entitäten benennt, welches letztlich überhaupt dazu führte, dass Regierungen milliardenschwere Rettungspakete schnüren mussten, geht der Titel „Die Unfehlbaren“ tiefer: Er verweist sehr simpel auf die Dialektik der quasireligiösen Heilserwartung, die vor allem im angelsächsischen Raum in das Werk der großen Investmentbanken und ihrer Angestellten gesetzt wurde. In diesem Sinne hat die Finanzkrise mehr erschüttert als „nur“ die Wirtschaft. Sie hat dazu geführt, dass wir uns im Denken neu orientieren.
Andrew Ross Sorkin: „Die Unfehlbaren“. Wie Banker und Politiker nach der Lehman-Pleite darum kämpften, das Finanzsystem zu retten - und sich selbst. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer, Enrico Heinemann und Helmut Dierlamm. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 624 S., geb., 24,99 Euro.
Quelle: http://www.faz.net/s/...72A71B72DD9D33DB03~ATpl~Ecommon~Scontent.html ----------- THEGOTCHI Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett) http://www.my.calendars.net/lehman |