Investmentbank: Lehman-Chef warnt vor weiteren Mega-Bankpleiten Der Chef von Lehman Brothers hat schwere Vorwürfe gegen die Finanzindustrie, die Politik und die Aufseher erhoben. Im Interview mit dem Handelsblatt wettert Bryan Marsal gegen Finanzindustrie, Politik und Aufseher und warnt, vor weiteren Mega-Bankpleiten.
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„Auch bei Aufsehern und in den Unternehmen hat sich nach der weltweiten Katastrophe wenig getan“, sagte der Lehman-Chef. „Und bisher hat auch noch niemand von der Finanzaufsicht SEC, der Einlagensicherung FDIC oder der Regierung bei uns angefragt, wie der Lehman-Kollaps hätte vermieden werden können und welche Gegenmaßnahmen zu ergreifen wären, um eine Wiederholung zu verhindern.“
Marsal wickelt die US-Investmentbank Lehman Brothers ab. Ihre Pleite am 15. September 2008 hatte die Finanzmärkte in ihren Grundfesten erschüttert und eine weltweite Krise ausgelöst.
Lehman hatte 900 Töchter, die auch alle insolvent sind. Die gesamten Verbindlichkeiten belaufen sich nach Angaben von Marsal auf 200 Mrd. bis 240 Mrd. Dollar. Investoren hatten insgesamt Forderungen über rund eine Billion Dollar eingereicht.
Dass die Finanzaufseher weltweit die Zügel anziehen, sieht Marsal kritisch. „Das ist doch nur Show. Die Aufseher sind überarbeitet und unterbezahlt. Jemand, der 80000 Dollar im Jahr verdient, kann nicht ernsthaft mit jemandem konkurrieren, der 400000 im Jahr dafür bekommt, Wege zu finden, das System auszuhebeln“, sagte er.
Lehman Brothers hat weniger Schulden als angenommen.
Die Gläubiger haben zwar Forderungen über rund eine Billion Dollar angemeldet, doch die Verbindlichkeiten sind deutlich höher: "Die Gesamtverbindlichkeiten belaufen sich auf 200 bis 240 Mrd. Dollar", sagte Lehman-Chef Bryan Marsal, dem Handelsblatt am Rande des Deutschen Insolvenzrechtstages in Berlin. Dabei handele es sich um unbesicherte Forderungen. Ursprünglich hatten die Gläubiger weltweit Forderungen in Höhe von rund einer Billion Dollar angemeldet.
"Doch das waren vor allem doppelt und dreifache Anmeldungen", sagt Marsal. Gläubiger hätten zum Beispiel ihre Forderungen an die Lehman-Tochter gestellt mit der sie das Geschäft gemacht hätten, an die Muttergesellschaft, die für die Tochter garantiert habe und an denjenigen der das Geschäft abgesichert habe. "Aber wenn Sie mir einen Dollar leihen und ich ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer Schwester eine Garantie gebe, dass ich Ihnen ihr Geld wieder gebe, dann schulde ich Ihnen nach wie vor einen einzigen Dollar und nicht vier."
900 Tochtergesellschaften
Lehman Brothers meldete im September 2008 Insolvenz an und hatte zu dem Zeitpunkt Vermögen von rund 651 Mrd. Dollar. Marsal wickelt die amerikanische Lehman-Mutter ab. Er entscheidet, welche Ansprüche der Gläubiger weltweit berechtigt sind. Darüber verhandelt er mit ihnen und den Insolvenzverwaltern der mehr als 900 Tochtergesellschaften, die wiederum eigene Insolvenzverfahren durchführen. Viele Gläubiger haben deshalb ihre Forderungen offenbar mehrfach gestellt.
Vergangene Woche legte Marsal einen Insolvenzplan vor. In ihm ist etwa festgelegt, welchen Rang die Forderungen der Gläubiger haben. Die jeweiligen Insolvenzverwalter oder Gläubiger müssen dem Plan jedoch zustimmen. Stimmen sie nicht zu, entscheiden die Gerichte.
Spezial: Die Akte Lehman Der Kollaps von Lehman Brothers stürzte die Finanzwelt ins Chaos. Folge: die größte Rezession seit Jahrzehnten. Ein Spezial.
Den genauen Fahrplan, wie die Lehman-Mutter abgewickelt wird, will Marsal am 14. April vorlegen. Wie hoch die Entschädigungsquoten sind, also etwa wie viel Prozent Anleihebesitzer vom Nominalwert wiederbekommen, wird allerdings auch dann noch nicht feststehen. "Alles hängt davon ab, ob die Gläubiger meinem Plan zustimmen. Derzeit laufen die Verhandlungen", sagte Marsal. Unter anderem verhandelt die deutsche Lehman-Tochter über Forderungen in Höhe von rund 20 Mrd. Dollar, hieß es aus Finanzkreisen.
Alle in die deutsche Finanzbranche will mehr als 80 Mrd. Dollar aus der Insolvenzmasse haben. Weltweit verlangen mehr als 16000 institutionelle Investoren ihr Geld zurück. Nach Berechnungen der Verbraucherzentrale Hamburg gibt es in Deutschland rund 40000 Privatanleger, die Opfer der Lehman-Pleite geworden sind. Ihr Schaden belaufe sich auf fast 700 Mio. Euro.
Nicht alle Gläubiger sind zufrieden mit Marsals Insolvenzplan: "Die Amerikaner haben sich ihre Zahlen schon so gerechnet, dass sie passen", heißt es in Finanzkreisen. "Keiner weiß, wie welche Papiere von Lehman zu bewerten sind", moniert Michael Rützel von der Kanzlei White & Case, der vor allem die Forderungen der Sparkassen gegen Lehman vertritt. Ein Streitpunkt dürften seiner Ansicht nach werden, wie viel die Garantien wert sind, die die Lehman-Mutter ihren Töchtern gegeben hat. Laut Marsal beläuft sich der nominelle Wert der Garantien auf 39 Billionen Dollar. "Lehman gab Garantien wie am Fließband", sagt Rützel. Marsal nennt für den Wert der Garantien in seinem Insolvenzplan einen Maximalbetrag von rund 94 Mrd. Dollar. "Es ist schwer nachvollziehbar, wie er auf diesen Betrag kommt", sagt Rützel.
Damit beschneide Marsal die Forderungen von Gläubigern der Lehman-Töchter. Denn deren Verfahren sind noch nicht abgeschlossen, es ist also unklar, wie viel sie aus dem jeweiligen Insolvenzverfahren bekommen und wie viel sie über Garantien geltend machen könnten, die die Lehman-Mutter ihrer jeweiligen Tochtergesellschaft gegeben hatte. "Wenn es schlecht läuft, bleiben sie auf ihren Restforderungen sitzen", sag Rützel. Dies könnte auch die Inhaber von Lehman-Zertifikaten treffen. Lehman hatte deutschen Anlegern diese Inhaberschuldverschreibungen über die holländische Tochter verkauft. Dort können Gläubiger ihre Forderungen aber frühestens im Spätsommer geltend machen, dann wäre der Insolvenzplan aber längst in Kraft.
Lamco verkauft die illiquiden Assets
In trockenen Tüchern dagegen ist die Ausgründung des Vermögensverwalters Lamco. Stimmt das Insolvenzgericht zu, soll Lamco vom 1. Mai an die illiquiden Assets von Lehman wie Darlehen, Beteiligungen, Wertpapiere und Immobilien verwalten und verkaufen. Die Erlöse fließen in die Insolvenzmasse. Eigner von Lamco sollen die Gläubiger sein. Derzeit verfügt Lamco über Assets in Höhe von rund 25 bis 30 Mrd. Dollar. Vermögenswerte in Höhe von etwa 18 Mrd. Dollar hat Marsal nach eigenen Angaben seit dem Zusammenbruch der Bank bereits verkauft. "Der Markt wird langsam wieder liquide, ist aber immer noch angespannt", sagt er.
Lehman Brothers wird nach dem Verkauf ihrer Assets von der Bildfläche verschwunden sein. Lamco soll allerdings nach den Vorstellungen von Marsal auch illiquide Assets anderer Banken verwalten und verkaufen. Entsprechende Anfragen regionaler und ausländischer Institute habe er bereits vorliegen, so der Lehman-Chef. Auch der US-Einlagensicherung FDIC will er die Lamco-Dienstleistung anbieten. "Es geht hier um immerhin den Erhalt von 500 bis 600 Jobs."
Der Vorwurf: Britische Finanzaufseher forderten vor wenigen Tagen von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young Unterlagen an, wie sie die Bilanz der Pleitebank Lehman Brothers geprüft hat. Die Aufseher reagieren damit auf einen Untersuchungsbericht aus den USA. Der Bericht war zu dem Ergebnis gekommen, dass Lehman durch Bilanztricks das Ausmaß seiner Schulden verschleierte und bereits Wochen vor dem Kollaps im September 2008 zahlungsunfähig war. Laut dem Bericht hat Ernst & Young Bedenken nicht ernst genug genommen.
Der Konter: Ernst & Young wies am Dienstag alle Vorwürfe im Zusammenhang mit der Lehman-Pleite zurück. "Lehman ist bankrott gegangen, weil ihre Liquidität in Folge eines Vertrauensverlusts in die Bank kollabiert ist, teilte der Wirtschaftsprüfer mit. Die Pleite sei nicht durch Bilanztricks ausgelöst worden.
Bryan Marsal: Neuer Fall Lehman ist nicht nur möglich, sondern höchst wahrscheinlich
Bryan Marsal soll die pleitegegangene Investmentbank Lehman Brothers abwickeln. Mit Handelsblatt-Redakteurin Sonia Shinde sprach er über die Angst vor einem neuen Fall Lehman, fehlende und verfehlte Regulierung und den Kampf Davids gegen Goliath.
Handelsblatt: Sie wickeln gerade die größte Pleite der Menschheitsgeschichte ab. Kann so etwas noch einmal passieren?
Bryan Marsal: Es ist sogar höchstwahrscheinlich, dass ein Fall Lehman sich wiederholen wird. Jedenfalls solange sich nichts Grundlegendes bei den Finanzaufsichten und in den Finanzinstituten ändert. Die Wall Street hat nicht wirklich viel aus dem Fall gelernt. Es wird nach wie vor viel zu stark gehebelt auf dem Markt, und Kreditversicherungsinstrumente sind nach wie vor komplett unreguliert. Auch bei Aufsehern und in den Unternehmen hat sich nach der weltweiten Katastrophe wenig getan.
HB: Aber die Finanzaufseher weltweit ziehen doch gerade die Zügel an ...
Marsal: Ach, wirklich? Das ist doch nur Show. Die Aufseher sind überarbeitet und unterbezahlt. Jemand, der 80000 Dollar im Jahr verdient, kann nicht ernsthaft mit jemandem konkurrieren, der 400000 im Jahr dafür bekommt, Wege zu finden, das System auszuhebeln. Und bisher hat auch noch niemand von der Finanzaufsicht SEC, der Einlagensicherung FDIC oder der Regierung bei uns angefragt, wie der Lehman-Kollaps hätte vermieden werden können und welche Gegenmaßnahmen zu ergreifen wären, um eine Wiederholung zu verhindern.
HB: David verliert also gegen Goliath?
Marsal: So würde ich das auch nicht sagen. In Kanada beispielsweise müssen sie mindestens 25 Prozent Eigenkapital einbringen, um ein Eigenheim zu finanzieren, die Banken finanzieren höchstens drei Viertel der Kaufsumme. Hätten wir so eine Regel auch in den USA, wäre es gar nicht erst zu den massiven Hypotheken-Spekulationen der Jahre 2005 bis 2007 gekommen.
HB: Was wäre noch zu tun?
Marsal: Sehen Sie, Lehman war nicht zu groß, um pleitezugehen, sondern zu komplex. Eine ordnungsgemäße Insolvenz mit Unterstützung der US-Regierung hätte den Investoren Verluste in einer Größenordnung von 75 bis 100 Milliarden Dollar erspart. Eine ähnliche globale Kernschmelze ließe sich nur verhindern, wenn es globale Regulierungen für Unternehmen gäbe, die so komplex und global aufgestellt sind, wie Lehman es war. Lehman sah sich selbst als amerikanisches Kreditinstitut, arbeitete aber in 40 Staaten und verfügte über mehr als 900 Töchter. Demzufolge müssen wir uns mit 80 verschiedenen Insolvenzverfahren in 20 verschiedenen Jurisdiktionen auseinandersetzen. Es fehlt einfach eine übergreifende Koordination der Aufsichten an den internationalen Finanzmärkten. Banken wachsen global, sterben aber lokal, das ist das Problem.
HB: Und das hat damals niemand vorhergesehen?
Marsal: Das Finanzministerium hat sich verkalkuliert. Niemand dort hatte mit den weltweiten Folgen des Lehman-Kollapses gerechnet, und deshalb hat auch niemand eine gut vorbereitete Abwicklung des Unternehmens in Betracht gezogen.
HB: Was meinen Sie damit?
Marsal: Banken in Not können nicht gerettet werden im Sinne einer Fortführungsprognose. Wir bräuchten so eine Art globalen Rettungsschirm. Wenn Banken über Landesgrenzen hinweg wachsen wollen, müssten sich die Regulierer im Vorfeld auf ein einziges Verfahren für den Fall einer Pleite einigen. Fehlt diese Einigung zwischen einzelnen Staaten, dürfen Banken dort auch keine Genehmigung zur grenzüberschreitenden Expansion bekommen. |