Ist zwar ne lange Kolumne dafür aber interessant.
Doppelte Niederlage für Wall Street-Mathematik
Rainer Sommer 27.08.2007 Die Turbulenzen an den Finanzmärkten legen eine Schwachstelle der Finanzmärkte offen: die extensive Verwendung komplizierter mathematisch-statistischer Modelle Besonders schlimm von den jüngsten Kurseinbrüchen erwischt wurden die so genannten "Quant-Fonds" (von "quantitative equity"), Aktien-Hedgefonds, die bei ihren Investitionsentscheidungen menschliche Instinkte durch mathematisch-statistischer Methoden ersetzen und in den vergangenen Jahren teilweise hervorragende Ergebnisse erzielt hatten. Im Zuge der jüngsten Finanzmarktkrise haben aber selbst die Besten "Quants" innerhalb weniger Tage deutliche Verluste eingefahren und manche ihr gesamtes Vermögen eingebüsst. Die Investmentbank Goldman Sachs musste beispielsweise ihrem eigenen Quant-Fonds soeben drei Milliarden USD [extern] zuschießen, um ihn liquide zu halten.
Die Idee der Quants ist es, mit komplizierten Computermodellen "Anomalien" in den Aktienmärkten aufzuspüren und die daraus abgeleiteten Kurserwartungen automatisiert – ohne weitere menschliche Prüfung – augenblicklich an den Börsen umzusetzen. Fonds wie die Marktführer "Renaissance Technologies", "AQR Capital Management", "Tykhe Capital" oder der "Global Equity Opportunities" von Goldman Sachs beschäftigen Hunderte an hoch bezahlten Mathematikern und Ökonometrikern, die stets an neuen und immer komplexeren mathematischen Modellen tüfteln, mit denen gewaltige Datenmengen analysiert und Trends identifiziert werden sollen. Da es sich in der Regel nur um minimale Kursbewegungen handelt, wird mit einem zumeist fünf bis zehnfachen Hebel direkt oder über Derivate gekauft und verkauft, wobei die größten dieser Fonds oft alleine für bis zu fünf Prozent der Tagesumsätze an den großen New Yorker Aktienbörsen NYSE und NASDAQ verantwortlich sind.
Aber obwohl die Details der jeweils verwendeten mathematischen Modelle zu den am besten gehüteten Geheimnissen zählen – daher werden die Fonds auch als Black-Box-Investoren bezeichnet –, zeigte sich jetzt, dass sie wohl weitgehend übereinstimmende Investmentstrategien verfolgen. So machten Quant-Guru James Simons von "Renaissance Technologies", der laut dem Finanzmagazin "Institutional Investor" im Vorjahr 1,7 Mrd. USD kassiert hat, das Verkaufsverhalten ihrer direkten Konkurrenten für die Verluste verantwortlich, das ihre eigenen Strategien unterlaufen hätte. Das US-Magazin Newsweek [extern] sah sich in der Folge nicht ganz unberechtigt zur Frage veranlasst, wie die Quant-Topmanager ihre Gagen von teilweise mehr als einer Milliarde US-Dollar jährlich rechtfertigen wollen, wenn ohnehin alle dieselben Strategien verfolgen.
Allerdings wird die mathematisch-statistische Methode derzeit nicht nur von den "Quants" diskreditiert. Viel mehr dürfte das gesamte Drama auf fehlgeleiteter mathematischer Expertise beruhen. Denn bei den Vorgängen, die jetzt allgemein als "Subprime-Krise" bezeichnet werden, liegt das Problem nicht in tatsächlich erfolgten Zahlungsausfällen von drittklassigen ("subprime-") Hypothekarschuldnern. sondern an den Bewertungsmodellen von mit solchen Krediten unterlegten Wertpapieren, die an den Finanzmärkten – angezettelt von Merrill Lynch - plötzlich infrage gestellt wurden. So ist es bislang bei den betroffenen Papieren noch gar nicht zu hohen Ausfällen gekommen, nur scheint den potentiellen Investoren deren Risiko derzeit einfach nicht mehr einschätzbar zu sein. Deshalb finden sich einerseits an den Märkten keine Käufer für diese Papiere, anderseits werden sie von Brokern und Banken auch nicht mehr als Sicherheiten für Kredite angenommen.
Auch hier beginnt das Problem mit einer mathematisch-statistischen Innovation: Der Mathematiker David Li, der damals bei J.P. Morgan Chase & Co. beschäftigt war und heute für Barclays Capital tätig ist, hatte im März 2000 im "Journal of Fixed Income" einen Aufsatz veröffentlicht, der sich mit der Bewertung von Bündeln an Krediten beschäftigte. Ausgangspunkt war die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, mit der eine große Zahl an Krediten, die zu einem Pool zusammengefasst werden ("collateralized debt obligations" - CDO), innerhalb kurzer Zeit Not leidend werden. Li präsentierte ein mathematisch-statistisches Modell, mit dem es möglich sein sollte, diese Risiken computergestützt einzuschätzen.
Der Markt für Kreditderivate erfuhr dadurch eine entscheidende Dynamisierung. Denn damit erhielten Banken und Investoren ein Instrument, mit dem sie die Risiken bestimmter Kreditderivate errechnen und ihre eigenen Risiken minimieren konnten. Sie erhielten zudem einen Anhaltspunkt, welche Kompensation sie für die Übernahme dieser Risiken verlangen sollten.
Um diese Berechnungen anzustellen, mussten einerseits die Ausfallswahrscheinlichkeit jedes einzelnen Kredits eingeschätzt und mit einer "credit curve" ("Kreditkurve") abgebildet werden. Dann musste aus all diesen Kurven eine Gesamtkurve errechnet werden, die die gegenseitigen Abhängigkeiten berücksichtigt. Das Problem, das sich Li dabei stellte, war die Frage, inwieweit die einzelnen Kredite korreliert waren, ob und wann also der Zusammenbruch eines Kredits auf den Ausfall weiterer Kredite schließen lasse. Eine für die Finanzmärkte offenbar überzeugende statistische Lösung fand Li in den Erkenntnissen der Lebensversicherungen, deren Mathematiker sich schon länger mit dem so genanten "broken heart"-Problem auseinandersetzen mussten; also der Tatsache, dass die Sterbewahrscheinlichkeit steigt, wenn eine nahe stehende Person verschieden ist. Li fand heraus, dass sich die einzelnen Zufallsverteilungen zu einer gemeinsamen so genannte "Gauss-Copula" kombinieren lassen, die auf der Normalverteilung basiert und relativ einfach zu berechnen ist.
Beobachten und beeinflussen
Der generelle Vorteil dieser CDOs lag auf der Hand: Denn ein einzelnes Unternehmen kann jederzeit in Schwierigkeiten geraten, bei einem Pool von vielleicht 100 Unternehmen ist es hingegen eher unwahrscheinlich, dass eine große Zahl gleichzeitig zahlungsunfähig wird. Mit der Gauss-Cupola hatten die Marktteilnehmer nun ein Instrument in der Hand, mit dem sie die Risiken quantifizieren und sich auf einen Preis einigen konnten, zu dem die spezifischen Pools zu handeln waren.
Darüber hinaus bietet so ein Pool auch die Möglichkeit, ihn – gegen weitere Spesen und Gebühren - in mehrere Tranchen aufzuteilen, von denen eine – die "equity-tranche" - das höchste Risiko trägt und die folgenden immer weniger Risiko übernehmen müssen. Am Ende steht dann die so genante "senior tranche", die erst dann Verluste zu tragen hat, wenn bereits alle niedrigeren Tranchen leer ausgegangen sind. Anhand dieser Modelle lassen sich nun Pools konstruieren, deren Zahlungsausfall äußerst unwahrscheinlich erscheint, sodass die höchsten Tranchen von Ratingagenturen wie Standard&Poors oder Moodies' häufig mit den besten Ratings ausgestattet werden.
Während sich institutionelle Anleger mit solchen CDOs nun maßgeschneiderte und anscheinend gut zu kontrollierende Risiken einkaufen konnten, brachen auch für die Investmentbanken goldene Zeiten an. Sie konnten nun Kredite einkaufen, strukturieren und in gewaltigen Mengen an willige Käufer weiterreichen, ohne ihr eigenes Kapital beanspruchen zu müssen. Die Käufer erhielten dafür Papiere in die Hand, deren Senior-Tranchen mit einem AAA-Rating ausgestattet waren, die aber trotzdem etwas höhere Zinsen boten, als traditionelle Anleihen mit derselben Bewertung – wobei heute längst nicht nur Unternehmensanleihen, sondern Kredite aller Art mittels solcher Modelle strukturiert werden.
Rasch fanden die Investmentbanken auch einen Weg, die Kreditmärkte zu virtualisieren indem sie die zugrunde liegenden Kredite durch Kreditderivate ersetzten und daraus "synthetische" CDOs kreierten. Dafür eigneten sich besonders so genannte "credit default swaps" (CDS), die so etwas wie eine Versicherung gegen den Ausfall bestimmter Kredite darstellen und laut dem letzten Quartalsbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zuletzt in einem Volumen von mehr als 1,7 Billionen USD ausständig waren. CDOs boten Banken nun den Vorteil, dass sie nicht hunderte an Bonds oder anderen Krediten einkaufen mussten, um eine "Struktur" basteln zu können. Für die Risiko-Käufer – insbesondere junge Hedge Fonds mit wenig Eigenkapital – hatten diese CDOs hingegen den offenbar unwiderstehlichen Charme, dass die Risikoprämie im Voraus bezahlt wurde, Auszahlungen aber erst dann zu erfolgen hatten, wenn die Risiken tatsächlich schlagend wurden. Die daraus resultierenden Gefahren illustrierte der britische "Economist" dieses Frühjahr offenbar treffend mit der Zeichnung einer riesigen Dampfwalze, die vor ihr ausgestreute Münzen platt walzt. Dazwischen hüpfen Hedgefonds Manager herum, die diese Münzen rechtzeitig aufzuheben versuchen – offenbar kein gutes Geschäft, wenn einmal etwas passiert.
Werden diese CDS in synthetische CDOs verwandelt, dann stegen die Gewinnchancen für alle Beteiligten erheblich, die Risiken allerdings wohl ebenso, wie sich zeigte. Denn war es schon schwer genug, die Risiken der einfachen CDOs zu berechnen, potenzierten sich bei den komplexeren Instrumenten die Unsicherheiten. Das zeigte sich freilich erst im Krisenfall, als niemand diese Papiere mehr als Kreditsicherheit annehmen wollte - was besonders die inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangten "Conduits" der deutschen Banken zu spüren bekamen, die ihre derartigen Positionen von ihrem Prime-Broker plötzlich nicht mehr finanziert bekamen.
Immerhin hängen alle diese mathematisch-statistischen Bewertungsmodelle einerseits von der Qualität der verfügbaren Daten und Einschätzungen für jeden einzelnen Kredit und jede Aktie ab, anderseits vom im Modell angenommenen Zusammenhang zwischen den einzelnen Bestandteilen – wobei die Kursausschläge durch Panik und Herdentrieb generell eher schwer mathematisch erfassbar sein dürften. So dürften im Subprime-Segment die Annahmen über die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Kreditnehmer zu optimistisch angesetzt worden sein und ebenso deren Korrelationen.
Die "Quants", die sich im allgemeinen durch gegenläufige Positionen von Marktschwankungen unabhängig zu machen versuchen, dürften hingegen nicht berücksichtigt haben, dass sie nicht nur als Beobachter im Markt agieren, sondern diesen auch selbst beeinflussen. Offenbar haben sie auch die Einzigartigkeit ihrer jeweiligen Strategien überschätzt. Da aber alle mit ähnlichen Modellen arbeiten und vergleichbare Daten verarbeiten dürften, hatten sie zwangsläufig auch ähnliche Handelstrategien entwickeln. Angesichts ihres generell hohen Leverage waren sie mit dem Ausbruch der Panik und den einlangenden Nachschussforderungen ("margin-calls") jedoch offenbar alle gemeinsam gezwungen, ihre übereinstimmenden Positionen zu liquidieren. Und wieder einmal wollten alle gleichzeitig durch dieselbe Tür, was die jüngste Aufregung an den Börsen jedenfalls verstärkt haben dürfte.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26055/1.html
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