Ich kann ja verstehen, warum es hier im Forum relativ heiss her geht (in beide Richtungen, Basher und Pusher oder Shorties und Longies oder was auch immer). Aber: Glauben wir, dass das irgendwen in der realen Finanzwelt, zu der nun mal auch die Shortseller gehören, interessiert oder dass mit diesem Forum gar Kurse bewegt werden? Sehen wir es doch mal ganz humorlos (und das sind die Shortseller nun mal auch): Shortselling ist ein ganz normales Geschäftsmodel, was in der letzten Zeit nun mal eine Sonderkonjunktur fährt, weil es auf der Finanzseite im Augenblick das Model mit den besten Renditen ist. Zinsen sind niedrig, Immobilien sind heiss gelaufen und binden sowieso zuviel Kapital und manche Aktien sind auch heiss gelaufen. Anders wie in der realen Geschäftswelt, und das ist ein wenig bedenklich, herrscht unter den Leerverkäufern eigentlich kein richtiger Konkurrenzkampf, weil alle an einem Ziel gleichermaßen verdienen können. Der erste hat einen Vorteil den anderen gegenüber, der letzte einen Nachteil. Und wenn zu viele Shortseller auf ein Ziel springen, kommt es irgendwann zu einem Squeeze. Aber im Prinzip sind die Shortseller komplementär. Leider. Und: Wir tun hier ja manchmal so, als ob es nur 3 Shortseller gibt, die sich alle gegen Wirecard verschworen haben. Wirecard ist nur ein Ziel von vielen. Und Ziel zu sein ist mitnichten ein Zeichen von schwacher gegenwärtiger oder zukünftiger Performance, sondern es bedeutet, ganz humorlos, nur, dass man ein attraktives Ziel ist. Was Wirecard attraktiv macht ist, zum Teil, das was wir alle an dem Unternehmen schätzen: a) Aktienkurs stark gestiegen b) Relativ junges Unternehmen c) In einem Zukunftsmarkt tätig = hohe Wachstumsraten möglich, aber auch ein hohes Maß an Unverständnis auf der Anlegerseite, was das Geschäftsmodel betrifft d) Führungsmannschaft hat noch keine 100jährige Erfahrung in einer Vielzahl von Unternehmen und arbeitet aus Überzeugung; damit kommt es manchmal vielleicht ein wenig tapsig rüber e) Junges, stark gewachsenes Unternehmen kann die internen Strukturen nicht in der gleichen Geschwindigkeit nachziehen = Anfälligkeit für Fehler f) Gelistet in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, aber keinesfalls dem Land, dem ein großer Aufklärungsdrang bei Short Attacken attestiert werden kann Summe = Große Fallhöhe; wenn man mit Dreck wirft, bleibt garantiert irgendwas hängen; geringes Risiko; geringer Aufklärungsdruck = perfektes Ziel Ich habe mir nochmal die Ströer-Attacke von Muddy Waters und die Burford Capital Attacke angeschaut. Die Motivation ähnelte sehr der Wircard Attacke. Ströer = Wachstum und Bilanz wurde angezweifelt, Burford Capital = Geschäftsmodel und Bilanzierungsansatz wurde angegriffen; dabei wurden sogar die Aussagen vom Ströer-Vorstand von einem Verhaltensexperten geprüft und auf Auffälligkeiten untersucht. Was bleibt ist die Frage, wer sich wie verhält, bzw. verhalten sollte. a) Die Leerverkäufer; für die ist das ein Geschäft; die suchen sich einmal das Ziel aus, legen die Vorgehensweise fest und fahren den Plan dann ab so lange wie es gut geht. Die Leerverkäufer wachen nicht jeden Morgen auf, denken gleich an Wirecard und freuen sich schon auf die nächste Attacke. Die gehen ins Büro und schauen, wie die verschiedenen Attacken so laufen. Manche funktionieren und manche nicht. Bei Ströer hat Muddy Waters mit der April 2016 Attacke schätzungsweise 3-4 Mio. Euro verdient. Da wird dann wahrscheinlich eine Million in die Recherche investiert und der Rest ist Gewinn. Muddy Waters reicht es ja schon, einfach nur anzukündigen, sie wären short und der Kurs geht baden. Bevor Muddy Waters am 20.4.16 mit 0,66% short gegangen ist, waren noch ganz andere viel höher drin. Interessiert hat es erst, als Muddy Waters angefangen hat. Und am 22.4. war Muddy Waters auch schon wieder draußen. b) Das Unternehmen: Soll es jeden Angriff kommentieren, um dann das nächste Futter zu liefern, was mit fadenscheinigen Argumenten auseinandergenommen wird? Je heftiger sich ein Unternehmen wehrt, desto größer ist die Annahme, es hätte was zu verbergen. Je professioneller die Verteidigung ist, desto größer ist die Annahme, dass man vorsätzlich handelt. Das ist ja das Kalkül der Leerverkäufer. Das Ziel kann nicht gewinnen, es sei denn, Du erwischt den LV mit der rauchenden Pistole in der Hand. War bei Ströer und Burford auch so. Soll es dem Druck nach Sonderprüfungen nachgeben, deren Ergebnis dann hinterher als unzureichend bewertet werden? Oder sollte es eher versuchen, so gut wie möglich Business as usual wieder herzustellen, damit das operative Geschäft nicht leidet? Eher letzteres, würde ich sagen. Mein Lieblingszitat in dem Zusammenhang: "Ich rede nicht mit Idioten. Was habe ich denn davon?" c) Die Anleger: Abwarten und Teetrinken; egal wie es läuft, hektisches Handeln, rein und raus, bringt gar nichts. d) Hier im Forum: Bitte auf Fakten konzentrieren; mir helfen neue Links mit sinnvollen Informationen und neue Gedanken, aber nicht, ob jemand glaubt, dass jetzt der Deckel wegfliegt oder es jetzt dermaßen nach unten geht, weil die Insolvenz bevorstünde. Fakten und fundierte Meinungen bitte. Ströer ist nach einem erneuten Einbruch in 2018 heute auf Allzeithoch. 2016 waren es 59 Euro, dann ging es runter auf 36 (2016), rauf auf 66, runter auf 42 (2018) und jetzt sind es 73 Euro. Burford Capital ist noch am Klagen aber Muddy Waters, in Gestalt von Carson Block, veröffentlicht Videos, die mich am Verstand der handelnden Person zweifeln lassen (https://ftalphaville.ft.com/2019/10/28/...rashes-the-Burford-party/), aber er beherrscht sein Handwerk. Ist Teil der Strategie, wie ich es hinbekomme, dass mein Gegner mich unterschätzt. Das ist schon mal die Hälfte der Miete. Die andere Hälfte ist, wenn ich es hinbekomme, dass mein Gegner sich überschätzt. Meine persönliche Einschätzung: Es dauert noch, aber auch Wirecard erreicht wieder ein Allzeithoch. Und das warten lohnt sich. Denn, ich glaube, der Gegner unterschätzt Wirecard, während Wirecard dem Gegner nur das unbedingt notwendige Maß an Aufmerksamkeit widmet. |