Bis jetzt ist es nichts weiter als ein Gerücht - aufgebracht von der Standard Chartered Bank und einigen eifrigen Ölanalysten aus der Schweiz. Doch bisher gibt es von keiner Seite Dementis, und die Idee ist ebenso einfach wie bestechend.
PetroChina könnte demnächst ein Übernahmeangebot für BP abgeben, und sich damit einen der größten und traditionsreichsten Ölkonzerne der Welt unter den Nagel reissen. Seit dem Desaster um die ökologische Katastrophe im Golf von Mexiko steht der einstmalige britische Vorzeigekonzern stark unter Druck. BP hat bereits Schadensersatzzahlungen in Höhe von 20 Milliarden Dollar zugesagt; der Gesamtschaden dürfte je nach Schätzung zwischen 30 und 40 Milliarden Dollar liegen. Um diese Belastungen schultern zu können, müssen die Briten in den kommenden Jahren umfangreiche Vermögenswerte verkaufen; die Investitionen in Zukunftsprojekte werden unter dieser Entwicklung ebenso leiden wie die Dividendenausschüttungen. Der Börsenwert von BP hat sich seit April bereits um 60 Milliarden Euro verringert. Dies alles macht das Unternehmen durchaus zu einem potentiellen Übernahmekandidaten.
Allerdings gibt kaum einen Konkurrenten, der sich einen solchen riesigen Zukauf leisten könnte.
Einer der wenigen potentiellen Kandidaten, der eine solche Übernahme schultern könnte, wäre der chinesische Öl- und Gasriese PetroChina Immerhin haben die Chinesen 60 Milliarden Dollar für Zukäufe in der Kriegskasse; und für zusätzlichen Geldbedarf stellen die regierungsnahen chinesischen Großbanken sicherlich bereitwillig Kredite zur Verfügung. Und PetroChina ist in der Tat auf Einkaufstour. Der Konzern hält überall auf der Welt Ausschau nach Ölförderern, Förderprojekten oder Raffinerien, die übernommen werden können oder zumindest Beteiligungen anbieten. Dementsprechend ist die Gesellschaft nicht nur im Heimatland engagiert, sondern auch auf Ölfeldern in Turkmenistan, im Nahen Osten oder im Sudan, und hat nicht nur Milliarden für den Kauf von Raffinerien und Ölfeldern in Kambodscha, Vietnam und Indonesien, sondern auch für Beteiligungen an Raffinerien in Japan oder an Ölsandvorkommen in Kanada ausgegeben.
PetroChina ist das nach Marktkapitalisierung größte börsennotierte Unternehmen der Welt. Der Gewinn lag allein im ersten Quartal bei 4,3 Milliarden Dollar (was einem Anstieg um knapp 90 Prozent entsprach). Der Konzern hat ein beeindruckendes Wachstum hinter sich, und seine gesicherten Reserven dürften zu den umfangreichsten der Welt gehören. Allerdings würde es zu kurz greifen, in
PetroChina lediglich eine klassische börsennotierte Gesellschaft zu sehen, die für ihre Aktionäre einen möglichst hohen Wertzuwachs erzielen will. Der Konzern verfolgt vielmehr auch ein übergeordnetes nationales Ziel. Seine Aufgabe ist es vorrangig, den rapide wachsenden Ölbedarf Chinas langfristig zu sichern. Dieses Ziel ist äußerst ambitioniert; und
PetroChina wird zu seiner Verwirklichung auch künftig nahezu jeden Preis zahlen.
Eine Übernahme von BP würde PetroChina eine überragende Position in der globalen Ölwirtschaft verschaffen. Die gemeinsamen Reserven der beiden Unternehmen liegen laut Standard Chartered 73 Prozent über denen von Exxon und 190 Prozent über den Vorkommen von Royal Dutch Shell. In der westlichen Welt dürfte ein möglicher Zusammenschluss allerdings auf starke Widerstände stoßen. Dementsprechend ist es vor allem die Politik, die einer solchen Transaktion im Wege steht. Die chinesischen Politiker hingegen haben vermutlich ein nicht unerhebliches Interesse an einer solchen Übernahme. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass Peking einen Übernahmeversuch PetroChinas nicht nur durchwinken, sondern auch nach Kräften unterstützen würde. Der Preis und die Risiken einer solchen Übernahme mögen zwar vordergründig unkalkulierbar hoch sein. Die Sicherung des chinesischen Energiebedarfs und ein enorm steigender Einfluss im globalen Energiegefüge würden diese Risiken aus Sicht Pekings aber bei Weitem aufwiegen.
Die Rückendeckung Chinas für Rohstoffkonzerne wie
PetroChina geht bis zum Äußersten. Diese Konzerne agieren häufig sehr aggressiv und expansiv, da sie wissen, dass sie im Ernstfall nicht fallengelassen werden. Dies ist einer der Gründe, warum diese Unternehmen auf lange Sicht auch für Aktionäre so interessant sind.