Eine Kolumne von Burkhard Ewert | 12.03.2022, 10:09 Uhr Europäische Russland-Politik Deutschland und Russland: Wie falsch lag Merkel? ---- 2017 erschien die Autobiografie des heutigen US-Präsidenten Joe Biden („Versprich es mir“). Darin legt er ein vertrauliches Gespräch offen, das im Februar 2015 am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz zwischen ihm, Merkel und dem damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko stattfand. Merkel habe die Amerikaner und die Ukraine bekniet, an irgendeiner Stelle nachzugeben. Putin müsse eine Einigung „ohne Gesichtsverlust“ermöglicht werden. „Sie war davon überzeugt, der russische Staatschef bräuchte irgendeinen kleinen Sieg“, heißt es in Kapitel 5 über die deutsche Kanzlerin. US-Präsident Biden verrät: Merkel wollte Putin besänftigen
Biden lehnte ihren dringlichen Wunsch ab. Mehr noch. Er ließ im Eilverfahren während der Mittagspause seine Rede umschreiben, um ein unmissverständliches Signal zu senden. Nach dem Essen trat er ans Pult und spornte die Ukraine an, am Ziel der vollständigen nationalen Einheit unbedingt festzuhalten und dafür zu kämpfen.Biden kündigte an, mit allen Kräften auf eine finanzielle und militärische Stützung der Ukraine hinzuwirken.
So kam es dann auch. Die USA pumpten Milliarden in das Land an Geld und Ausrüstung und signalisierten, die Abkommen von Minsk seien nicht so wichtig. Und die deutsche Kanzlerin? „Merkel schien verärgert über mich zu sein, als das Treffen endete“, notierte Biden lakonisch.
Mit anderen Worten: Merkels Politik kann kaum schuld an der Eskalation sein. Denn ihre Vorstellungen kamen nie zur Entfaltung. Anders als der Vorwurf lautet, wurde (soweit man weiß) Putin gerade kein Weg gezeigt, der Russlands Gesicht und Interessen gewahrt hätte. Statt dass für die Donbass-Region die Minsker Lösung durchgesetzt worden wäre, statt dass man sich mit der Krim arrangiert und für eine neutrale Ukraine belastbare Sicherheitsgarantien verhandelt hätte, wurde der Konflikt eingefroren,bis er eskalierte. Nun kann man einwenden, alles andere wäre eine Lösung nach letztlich imperialistischer Logik gewesen. Zwei Blöcke hätten die Ukraine unter sich aufgeteilt. Ich sehe diesen Punkt. Aber wer würde meinen, dass die jetzige Lage die bessere ist? Präsident Selenskyi fordert Sicherheitsgarantien vom Westen
Am Dienstag dieser Woche sagte der ukrainische Präsident Wolodmir Selenskyj, er sehe und verstehe, dass Nato nicht bereit sei, seinem Land über Waffenlieferungen hinaus zur Seite zu stehen. Auch ein Beitritt sei offenkundig keine Option. Wichtig sei ihm für Friedensgespräche ein Status, der die Sicherheit seines Landes auch ohne Mitgliedschaft in der Nato garantiere. Über Donezk und Luhansk zeigte sich Selenskyj verhandlungsbereit wie selten zuvor. Die Krim spielte schon gar keine besondere Rolle mehr.
Wenn dies nun alles so käme nach dem Krieg, wäre die Ukraine an einem Punkt, der im Februar 2015 in einem Münchner Hotelzimmer bereits einmal erreichbar schien – vor einem Krieg mit ungezählten Opfern, vor einer Schlacht der Sanktionen, vor einer Spaltung der Welt. Insofern ist Merkels Politik tatsächlich gescheitert. Aber vielleicht nicht an ihr. |