WirtschaftsBlatt: Laut Morgan Stanley steigt die Wahrscheinlichkeit für eine weltweite Rezession. Auch gehen die Analysten von Zinssenkungen in der Eurozone 2012 aus. Stimmen Sie dem zu? Norbert Walter: Man müsste da genau die Definition kennen. Das ist wahrscheinlich etwas, das die Fachidioten als Abschwung bezeichnen würden. Aber die Schwellenländer werden weiter mit fünf Prozent wachsen. Und Zinssenkungen 2012? Bei dem Zinsniveau, das wir jetzt nach den Mini-Zinsschritten haben, und einer Inflation, die 2012 nicht weit unter zwei Prozent liegen wird, was die EZB-Norm ist, sehe ich keinen Bedarf für geldpolitische Korrekturen.Da bräuchte es eine Rezession. Was Sie aber nicht glauben? Für die Problemländer wird es eine Null werden. Ich zähle da aber nicht nur die Mini-Länder mit finanzpolitischem Korrekturbedarf à la Griechenland dazu, sondern auch Großbritannien, Italien und Spanien. Für Deutschland sollten sich 1,5 oder zwei Prozent ausgehen. Allerdings hängt das stark von einem spekulativen Element ab. Dem Ölpreis? Nein, dem Wechselkurs. Die internationale Politik hat die Sparer weder vom Euro noch vom Dollar überzeugt. Wenn die Prämisse ist, dass der Dollar schwach ist und sich darauf alle auf den Euro stürzen, dann geht es uns wie der Schweiz. Wir haben also zwei spekulative Elemente, was das Wachstum betrifft. Den Wechselkurs und ..? ... die Finanzpolitik und die Banken. Der Exit aus dem finanzpolitischen Stimulus ist ein großes Risiko, wie die Schuldenlimit-Diskussion in den USA zeigte. Und dabei haben wir ein Land noch gar nicht angesprochen. Welches? Japan. Die Schulden sind enorm. Aber das ist nicht etwas, das wir erst seit gestern wissen. Das nicht, aber wer weiß, wann die Finanzmärkte das als Kriterium ansehen.Welche Option hat die Regierung noch? Stellen Sie sich vor, die Ratingagenturen kommen auf die Idee, Japan herabzustufen, und die Zinslast steigt. Und dann erhöht die Regierung die MWSt. Was dann mit der Inlandsnachfrage passiert, können Sie sich ausrechnen. In der Eurozone intensiviert sich derweil die Eurobond-Debatte. Wäre das die Lösung? In Anbetracht der Ausgangssituation und der irrationalen Finanzmärkte sind Eurobonds eine würdige und preisgünstige Option. Wünschenswert wäre aber eine effektive Begrenzung der Autonomie jener Länder, die damit begünstigt werden. Aber dazu müsste man den enormen politischen Widerstand überwinden. Es wird also keine zügige Entscheidung für Eurobonds geben. Aber warum nicht die Zinsen staffeln, sodass die Deutschen weniger als die Griechen zahlen? Der Vorschlag des Brügel-Instituts, wonach bis zu 60 Prozent des BIP Eurobonds ausgegeben werden, und alles, was darüber ist, im alten Modus gehandhabt wird, sieht klar und logisch aus. Aber der Teufel steckt im Detail. Je nach Fristigkeit werden alte Schulden durch neue ersetzt. Damit kommen Länder, die großteils kurzfristige Anleihen ausstehend haben, schneller in die neue Welt, und Länder wie Deutschland, deren Bonds zehn bis 15 Jahre laufen, später. Aber das hat noch niemand durchdacht. So schön der Vorschlag klingt, Patentantworten gibt es nicht. Aber eine europäische Wirtschaftsregierung, wie sie Merkel und Sarkozy forcieren wollen, ist doch eine gute Sache, wenn auch langfristig? Das ist alles sehr diskretionär. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir über Nacht eine überzeugendes Personaltableau und ein Modell für eine Wirtschaftsregierung haben werden, zu der die Märkte dann sagen: „Wow." Was würden Sie tun? Der europäische Rat hat zu viel Macht. Das ist ein Kuhhandelsgremium, das nicht die europäische Idee, sondern nationale Interessen vertritt. Die Kommission muss gestärkt werden - wir bräuchten eine Jacques Delors-Maschine (von 1985 bis 1994 Präsident der EG-Kommission, Anm.). Auch das europäische Parlament macht konkrete und sehr nützliche Vorschläge. Wenn die Öffentlichkeit das nur wüsste - die Menschen sagen: „Europa? Das sind nicht wir." Die EZB hat mit ihren Bondkäufen die Peripherie stabilisiert. Kann der EFSF dieser Aufgabe gerecht werden? Ich bin seit Mai 2010 dagegen, dass die EZB Anleihen kauft. Ich mache mir aber nicht Sorgen um Inflation, sondern darüber, dass die EZB Titel ins Portfolio nimmt, die weiter an Wert absacken werden, vor allem, wenn sie dann die Zinsen anhebt. Die EZB muss die Aufgabe in die Hände der Finanzministerien und Regierungen legen. Ich sehe nicht gern, dass eine Institution „Junk"-Anleihen hält und gleichzeitig für die Geldstabilität verantwortlich ist. Wenn der EFSF übernimmt, ist das Problem ohnehin gelöst. Ich fürchte, die EFSF-Kapazität wird zu klein sein. Unterm Strich ist das Gemetzel an den Börsen aber eine Übertreibung, oder? Ja, aber genauso haben wir nicht erklären können, warum die Börsen derartig gestiegen sind. Wie geht es weiter? Wir haben die angesprochenen Unwegsamkeiten und dann noch eine Finanzmarktkrise, die wieder zurückkehrt. Die Volatilität wird hoch bleiben. Aber bis 2013 werden die USA wieder wie wild Geld drucken, und die Menschen werden mit 0,7 Prozent Geldmarktzinsen nicht zufrieden sein, das heißt, die Aktienmärkte könnten zwischenzeitlich wieder stark zulegen. Erneute Finanzkrise? Drohen Bankenpleiten? Sagen wir, zwischen jetzt und 2013 werden es weniger werden. |