"Die Welt" , 6.Januar 05
US-Geldhüter drohen den Märkten Ära der niedrigen Leitzinsen scheint schneller als erwartet zu Ende zu gehen
Berlin - Da ist das neue Jahr gerade einmal drei Handelstage jung, und schon hat sich ein zuletzt in Vergessenheit geratener gewichtiger Marktspieler mit einem verbalen Paukenschlag zurückgemeldet: Die US-Notenbank. Aus dem Dienstag abend veröffentlichten Protokoll des Treffens der Geldhüter vom 14. Dezember 2004 geht hervor, daß die Zeiten des lockeren Geldes wohl viel eher vorbei sein werden, als vielen Marktteilnehmern bisher bewußt ist. Denn in ungewöhnlich deutlicher Form drohen die Notenbanker an, Liquidität und damit den Sauerstoff der Börsenhausse zu entziehen. Als Gründe werden unter anderem die mittelfristigen Inflationsgefahren und Fehlentwicklungen an den Märkten angeführt.
Der Wortlaut erinnert einige Marktteilnehmer wie John Calverley von der American Express Bank sogar an jenes denkwürdige Treffen des US-Offenmarktausschusses vom Dezember 1996, als Fed-Chef Alan Greenspan eine "irrationale Übertreibung" ("Irrational Exuberance") an den Börsen konstatierte. "Die Währungshüter haben jetzt deutlich auf die neue Spekulationsblase aufmerksam gemacht, die sich am Immobilienmarkt bildet", sagt Calverley.
Der Passus, der die Marktteilnehmer dieses Mal am meisten aufschreckt, erinnert tatsächlich an die Formulierung vor gut acht Jahren: "Einige Mitglieder des Offenmarktausschusses waren (beim Treffen am 14. Dezember, die Red.) der Meinung, daß die fortgesetzte Phase lockerer Geldpolitik ein beträchtliches Maß an Liquidität erzeugt hat, die zu potentiell exzessiven Risikoinvestments in den Finanzmärkten geführt hat. Zu erkennen ist dies an stark zusammengeschrumpften Zinsaufschlägen für Unternehmensanleihen gegenüber Staatstiteln, einer Zunahme der Neuemissionen, verstärkten Fusionsaktivitäten und nicht zuletzt spekulationsgetriebenen Preisen bei Eigentumswohnungen", heißt es im Sitzungsprotokoll. "Wenn die Fed mit ihrer Absicht, die Liquidität einzudämmen, ernst macht, hat dies schwerwiegende Folgen für die Risikobereitschaft der Investoren", schreibt Jacob de Tusch-Lec, Stratege bei Merrill Lynch. "Die Anleihen und die Aktien von Unternehmen mit schwacher Finanzkraft und hoher Schuldenlast wären die Hauptleidtragenden." Als Beispiele nennt der Merrill-Stratege unter anderen ABB, Ahold, Alcatel, Alstom, British Airways, Ericsson, Fiat, Heidelberg Cement, Prosieben und Tui. "Diese Aktien sind besonders anfällig für eine Änderung der Risikobereitschaft der Investoren", so de Tusch-Lec.
Auch die Strategen des unabhängigen Analysehauses BCA Research warnen vor einer Zeitenwende am Aktienmarkt, den die Fed auslösen könnte. So hätten nur die wenigsten Anleger ein Szenario für den Fall entwickelt, daß die US-Leitzinsen 2005 auf über 3,5 Prozent steigen.
Dies zeigen auch die Kurse am Terminmarkt, auf dem die Marktteilnehmer bereits auf die Zukunft des Schlüsselzinses spekulieren. Hier sind die Erwartungen in den vergangenen beiden Tagen zwar nach oben geschossen. So rechnen die Finanzmarktakteure nunmehr damit, daß die Sätze Ende des Jahres bei 3,5 Prozent liegen. Noch im vergangenen Dezember waren drei Prozent anvisiert. Doch trotz des Stimmungsumschwungs ist die Möglichkeit noch längst nicht eingepreist, daß die US-Notenbank auf jeder ihrer acht Sitzungen bis Ende des Jahres eine Straffung der Geldpolitik um 25 Basispunkte beschließen könnte. In dem Fall lägen die Sätze in zwölf Monaten bei 4,25 Prozent. "Der Markt scheint hinter der Realität zurückzubleiben", sagt Stephen Lewis, Stratege bei Momentum Research in London.
Ein höherer Ölpreis und eine niedrigere Produktivität könnten dazu führen, daß die Preissteigerung mittelfristig heftiger als erwartet ausfällt und die monetären Zügel schneller gestrafft werden müssen. Viele Marktteilnehmer hoffen jetzt darauf, daß es wie 1996 noch einige Jahre dauert, bis die Spekulationsblase platzt und sich in der Zwischenzeit noch Geld verdienen lasse. Lewis ist sich da nicht so sicher: "Die Fed hat klar gemacht, daß sie die Zinsen anheben wird, bis die Anleger umgedacht haben."
Artikel erschienen am Do, 6. Januar 2005 |