...der "Professor aus Heidelberg"... ?
aus der F.A.Z. von Montag, dem 13.01.2014, Seite 7
Die Gegenwart 7
Geldeigentum und Geldpolitik
Die Europäische Zentralbank ist verpflichtet, die Geldwertstabilität zu sichern. Was tun, wenn sie dieser Aufgabe nicht nachkommt? Von Professor Dr. Paul Kirchhof
Eines der Prinzipien unserer Staats- und Wirtschaftsordnung ist das privatnützige Eigentum. Der Unternehmer hat die Freiheit, sein Unternehmen für den eigenen Gewinn zu nutzen. Der Aktionär darf seine Anteile zur Erzielung von Dividenden oder Kursgewinnen einsetzen. Der Grundstückseigentümer ist berechtigt, seine Wohnungen ertragbringend zu vermieten. Würde der Staat durch eine Politik der „billigen Preise“ darauf hinwirken, dass dem Unternehmer keine Gewinne mehr verblieben, der Aktionär keine Dividende erzielen könnte, dem Vermieter aus den Mietzinsen kein Überschuss zuwüchse, wäre die Garantie des privatnützigen Eigentums verletzt. Wenn das Recht das Privateigentum schützt, gewinnt der Eigentümer die Freiheit, sein Eigentum zu seinem Vorteil zu nutzen.
Die in der Europäischen Union verbundene Staatengemeinschaft betreibt gegenwärtig eine Politik des „billigen Geldes“, die manchem Geldeigentümer die Freiheit nimmt, sein Geld ertragbringend zu nutzen. Er kann nur noch Zinsen erzielen, die geringer sind als die Inflationsrate und die den Zinsertrag belastende Steuer. Diese Einbuße an Eigentümerfreiheit geht auf geldpolitische Interventionen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten zurück, ist von diesen zu verantworten.
Zur Eigentümerfreiheit gehört auch die Entscheidung, wie das Eigentum angelegt werden soll. Der eine kauft ein Grundstück, der andere hält sein Geldvermögen für einen späteren Kauf bereit. Viele Menschen sparen Geld, um stets einen Grundstock für Sonderbedarf und Notfälle zur Verfügung zu haben. Andere wählen zwischen der Anlage in Aktien, Fonds, Staatsanleihen oder Geld und finden in ihrer Freiheit gute Gründe, auf das Geldkonto nicht zu verzichten. Treuhänder und Stiftungen legen ein ihnen anvertrautes Vermögen oft in Geld an. Wenn Großanleger darauf verweisen, der Geldeigentümer könne doch auch in Grundstücke oder Industriebeteiligungen investieren, um den Folgen der staatlichen Geldintervention auszuweichen, so sind diese Alternativen für Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen nicht real. Im Übrigen können sie einen Eingriff in die Anlegerfreiheit nicht rechtfertigen, der Sparer benachteiligt und Banken bevorzugt. Das durch Staatsintervention verbilligte Geld gibt Banken, Fonds, Staaten und Spekulanten preiswertes Geld, mit dem die Begünstigten ertragreich wirtschaften, nimmt dadurch aber Geldeigentümern das Recht, aus ihrem Eigentum Erträge zu erzielen.
Doch die Europäische Zentralbank ist verpflichtet, die Geldwertstabilität zu sichern. Diese Aufgabe ist angesichts des sensiblen Verhältnisses von Geld und Preisen, von Sparen und Investieren, von Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit, von Steuern und Staatskrediten, von offenen und verdeckten öffentlichen Schulden, von nationalen Märkten, Binnenmarkt und Weltmarkt, von Entgeltlichkeit in der Zeit und trotz der Zeit besonders anspruchsvoll. Für diese eine Aufgabe ist die Zentralbank mit richterähnlicher Unabhängigkeit ausgestattet und von parlamentarischer Verantwortlichkeit freigestellt. Ihre Geldstabilitätspolitik soll nicht in den Sog von Interessenten geraten. Bei anderen Aufgaben dürfte – das sagt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich – das Parlament nicht ferngehalten werden. Sollte die Zentralbank nicht den Geldwert, sondern Staaten oder Unternehmen stabilisieren, fehlte ihr dazu der Auftrag. Ihre Unabhängigkeit verlöre ihre Berechtigung.
Diese Stabilitätsmauer dient der individuellen Freiheit. Dieses Recht sichert zunächst Freiheit von Zwang durch den Staat oder einen Staatenverbund. Es garantiert sodann dem in seiner Existenz gefährdeten Menschen die Freiheit zu einem Existenzminimum. Ob es auch weitere materielle Voraussetzungen für selbstbestimmtes menschliches Handeln gewährleistet, den Zugang zu Bildung, zu Eigentum, zum Arbeitsleben erschließt, ist eine der strittigen Kernfragen der Wirtschaftsverfassung. Das demokratische Freiheitskonzept gibt hier dem Bürger in Wahlen und Abstimmungen eine Mitentscheidungskompetenz. Nur das von ihm gewählte Parlament darf über diese Fragen entscheiden. Es ist dabei an die Verfassung gebunden. Deren Geltung wird durch unabhängige Richter gesichert. In diesem System hat die Zentralbank die Aufgabe, den Geldwert gegen eine Schwächung durch hoheitliche Interventionen zu stabilisieren und durch eine eigene Stabilitätspolitik zu festigen. In dieser Sonderbefugnis genießt sie richterliche Unabhängigkeit.
Das Geld hat einen Wert, weil die Beteiligten darauf vertrauen, dass das im Geld bekundete Wertversprechen auch tatsächlich eingelöst wird. Der 100-Euro-Schein ist höchstens fünf Cent wert, verheißt aber, gegen einen Realwert von 100 Euro eingetauscht werden zu können. Moderne Formen des Geldes in Büchern und im digitalen Geldverkehr haben sich zu abstrakten Buchungs- und Transfervorgängen verselbständigt, die eine Wertidee nur noch andeuten. Doch mit diesem Geld bezahlen wir unsere Schulden, bewerten wir unsere Güter, bewahren wir Werte, erzielen wir Zinserträge. Geld ist geprägte Freiheit. Deshalb schützt das Grundrecht auf Eigentümerfreiheit auch das Geldvermögen.
Allerdings ist der Geldwert und damit das individuelle Geldeigentum in besonderer Weise gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsabhängig. Der Geldwert bildet sich im Rahmen der staatlichen oder europäischen Währungshoheit und Finanzpolitik wesentlich durch das Verhalten der Wirtschaftssubjekte selbst, die insbesondere über Preise, Löhne, Zinsen, wirtschaftliche Einschätzungen und Bewertungen den Geldwert bestimmen. Der Außenwert des Geldes folgt aus den Tauschbeziehungen des nationalen Geldes zu anderen Währungen, den Wechselkurssystemen und deren staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen. Bei diesen Entstehensbedingungen und Abhängigkeiten kann der Staat den Geldwert nicht grundrechtlich garantieren. Wie die Eigentumsgarantie beim Sacheigentum nur die Verfügungs- und Nutzungsfreiheit des anbietenden Eigentümers, nicht aber die Tauschbereitschaft des Nachfragers gewährleisten kann, so kann das Grundrecht des Eigentümers auch beim Geld nur die Freiheit zum Verfügen und Nutzen, nicht die konkrete Erwerbschance sichern.
Geld repräsentiert die ökonomischen Werte, die der Mensch braucht. Deswegen sollte das umlaufende Geld idealtypisch den Bedarf an Gütern und Dienstleistungen spiegeln. Doch der Geldwert und seine Entwicklung stehen nicht einem konstanten Bedarf gegenüber. Die Welt der Digitalisierung, der Mobilität, der technischen Begegnungsmöglichkeiten und der Energieversorgung zeigt, dass die Bedürfnisse und die Möglichkeiten der Bedarfsbefriedigung sich ständig verändern, auch durch mehr Geld angeregt und vermehrt werden. Vor allem aber hat sich eine konjunktursteuernde und wachstumsfördernde Haushaltspolitik entwickelt, die einem „magischen Viereck“ von vier Stabilitätszielen folgt, dort das Ziel der Geldwertstabilität relativiert und dem Staat bedeutsame Gestaltungsmächtigkeiten zuweist. Doch Magie im Recht war schon immer schlecht.
Außerdem hat sich ein Finanzmarkt gegenüber dem Realmarkt verselbständigt, in dem Geld gegen Geld getauscht, auf Wertentwicklungen gehofft, auf Aufschwung und Niedergang von Unternehmen und Staaten gewettet wird. Beim Hochfrequenzhandel sind nicht Menschen, sondern Maschinen Marktteilnehmer, erkennen in Millisekunden Preisvorteile, realisieren diese durch Staubsauger für Gewinne. Wenn der Computer anstelle von Menschen Geld verteilt und vermehrt, fehlt dieser Verteilung und Wertbildung die rechtfertigende Grundlage des Vertrages.
Das durch eigene Leistung erworbene Vermögen ist stärker grundrechtlich geschützt als das an der Börse leichterhand mitgenommene Vermögen. Der durch eigene Arbeit erworbene Lohn und der daran anknüpfende Sozialversicherungsanspruch, auch der durch persönliche Leistung erzielte Gewinn, sind stärker gegen Regulierungen und hoheitliche Interventionen abgeschirmt als die Geldtransfers am Finanzmarkt. Kerninhalt der Eigentümerfreiheit ist das selbsterworbene und das der persönlichen Freiheit des Einzelnen dienende Eigentum. Dem Menschen ist das Werk seiner Hände zu eigen, das, was er mit seiner Arbeit der Natur hinzugefügt hat (John Locke). Der Unternehmergewinn rechtfertigt sich, wenn er den Bedarf eines anderen Menschen befriedigt (Ludwig Erhard). Das durch Geldtausch und Spekulation erworbene Geld verbleibt deshalb im Randbereich der verfassungsrechtlich geschützten Eigentümerfreiheit.
Der rechtliche Schutz des Geldes als privatnütziges Eigentum gelingt nur, wenn die Funktion des Geldes, Recheneinheit, allgemeines Tauschmittel und Wertaufbewahrungsmittel zu sein, in den Eigentümerschutz einbezogen wird. Ein Geldwert bleibt stabil, wenn die im Geld vermittelte Nachfragekraft am Jahresende der am Jahresanfang annähernd gleich ist. Diese Geldwertstabilität hängt von der Gesamtgeldsumme ab, die von der Zentralbank, aber auch von privater Geldschöpfung beeinflusst wird, von der Gütermenge und deren Preis, die im Wesentlichen dem Verhalten privater Anbieter folgen, und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, die von allen am Geldverkehr Beteiligten bestimmt, gegenwärtig durch Erscheinungen des Finanzmarktes besonders beschleunigt wird.
Das Unionsrecht hat die Währungsgemeinschaft als Stabilitätsgemeinschaft ausgestaltet. Das Bundesverfassungsgericht hat im Maastricht-Urteil – der Entscheidung über die Befugnis des deutschen Verfassungsstaates, die Mark durch eine europäische Währung zu ersetzen – hervorgehoben, dass diese Konzeption als Stabilitätsgemeinschaft Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes ist. Zum verfassungsrechtlich garantierten Inhalt der neuen Währung gehört, dass die Geldwertstabilität auf Dauer hinreichend verlässlich gesichert ist.
Die Mitgliedstaaten und insbesondere Deutschland haben sich auf die Euro-Gemeinschaft nur eingelassen, nachdem die Stabilität der Währung rechtlich gesichert war. Die Europäische Zentralbank ist unabhängig und dem vorrangigen Ziel verpflichtet, die Preisstabilität zu gewährleisten. Sie stabilisiert den Euro, nicht die Staaten. Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite. Sie regeln ihre Finanzangelegenheiten selber, dürfen nicht darauf rechnen, dass ein anderer Mitgliedstaat sie in der Krise „heraushaut“. Die Staaten müssen einen Kredit am Markt nachfragen, um zu erleben, dass gute Bonität niedrige Zinsen, schlechte Bonität hohe Zinsen zur Folge hat. Diese faktische Verschuldensgrenze wird sodann rechtlich in klaren Obergrenzen verschärft. Eine Neuverschuldung ist jährlich nur bis zur Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zulässig. Die Gesamtverschuldung darf 60 Prozent des BIP nicht überschreiten.
Nachdem der Wert des Euro so durch eine rechtliche Stabilitätsmauer umhegt worden war, waren die Mitgliedstaaten der Eurounion zuversichtlich, dass das Experiment einer stabilen Gemeinschaftswährung nicht scheitern werde. Doch diese rechtlichen Mauern sind eingerissen worden. Die Europäische Zentralbank hat ihre Aufgabe eigenmächtig um die Stabilisierung von Staaten und Banken erweitert, außerdem Aufsichtsfunktionen übernommen und damit ihre Unabhängigkeit verloren. Die Länder mit schlechter Bonität werden in einem von der Währungsgemeinschaft organisierten Ausgleichssystem an niedrigere Zinsen herangeführt, so dass die Warnfunktion des Zinses nicht mehr greift. Beim „No Bail-out“ ist durch Drehen und Wenden der Rechtsregel das „No“ entfallen. Die Obergrenzen der Staatsverschuldung sind von den meisten Ländern deutlich überschritten und werden weiter missachtet. Die Währungsunion läuft Gefahr, ihren wesentlichen Stabilitätsanker, das Recht und seine strikte Verbindlichkeit, zu verlieren.
Das grundlegende rechtliche Defizit liegt in der Schwäche der demokratischen Legitimation. Die Rückbindung der Finanzintervention an die Mitgliedstaaten, ihre Parlamente und Wähler, schlägt fehl. Das Europäische Parlament hat hier keine Gestaltungskompetenz, sondern allenfalls am Rande eine Einspruchskompetenz. Das urdemokratische Anliegen, die Entscheidungen über Staatsausgaben, Staatsschulden und Steuern dem unmittelbar vom Volk gewählten Parlament vorzubehalten, ist verletzt. Die Folgen sind offensichtlich. Die Währungsentscheidungen dienen weniger den Bürgern und den einzelnen Geldeigentümern als den Banken, Versicherungen, Fonds, Anlegern und Staaten.
Die Grundidee des modernen Verfassungsstaates und der Europäischen Union geht verloren. Sie fordert, staatliches Verhalten auf die Betroffenheit des einzelnen Menschen in seiner Würde und Freiheit auszurichten. Die Geldwirtschaft aber folgt einer Verpflichtung auf ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, das ins Ungefähr führt, heute von den Mächtigen des Finanzmarktes bestimmt wird. Die erste Stabilitätsmauer, die institutionelle Verpflichtung auf Stabilität, ist eingestürzt. Die zweite Mauer, der grundrechtliche Schutz des Geldeigentümers, hat nun die ganze Wucht der Finanzmarktinterventionen aufzuhalten.
Wenn bis zur Wiedererrichtung der institutionellen Stabilitätsmauer der Grundrechtsschutz die Rückkehr zur Stabilität von Recht und Währung sichern soll, bedeutet das selbstverständlich nicht, dass jetzt das Bundesverfassungsgericht über die Zinssätze entscheidet. Eigentümerfreiheit garantiert die Freiheit zur Nutzung des Eigentums, nicht einen bestimmten Nutzungserfolg. Grundrechtsschutz meint auch nicht in erster Linie eine Beschwerde beim Gericht, sondern ist ein verbindlicher Maßstab, den alle Organe des Staates und des Staatenverbundes zur Wirkung bringen müssen. Die Rechtsfehler in der Union fordern Abhilfe zunächst von den Exekutiv- und Legislativorganen der Union als Erstgaranten des Unionsrechts, erst danach vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als Zweitinterpreten dieses Rechts.
Die Union hat zunächst Strukturschwächen der Unionsverträge zu beheben. Die Stabilität der Währungsunion ist als Grundkonzept im Vertrag gesichert, aber auf Dauer von Vertragsänderungen und weiteren Rechtsetzungsakten abhängig. Die Grundsatzfragen der Eurogemeinschaft werden aber unter Mitwirkung der Nichteurostaaten einstimmig beschlossen, so dass auch ein außenstehender Staat mit konkurrierender Währung ein Vetorecht für bestimmte Erneuerungen gewinnt. Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein übermäßiges öffentliches Defizit zu vermeiden, wird von dem Rat der Finanzminister überwacht. Der Täter wird zum Wächter. Der gutgemeinte Stabilitätsmaßstab scheitert an der verantwortlichen Institution. Zudem sieht der Vertrag eine Art europäische „Wirtschaftsregierung“ vor, die jenseits von Parlament und demokratischer Legitimation die Maximen der Wirtschafts- und Währungspolitik zu definieren sucht.
Der zweite Strukturmangel ist die überhöhte Verschuldung der Staaten, die in Abhängigkeit vom Kreditgeber geraten, der über den Preis der Neuverschuldung und der verlängerten Altschulden entscheidet, damit oft auch über die Zahlungsfähigkeit eines Mitgliedstaates. Der Staat sucht Zusatzeinnahmen. Die Finanzwirtschaft wünscht sich einen Kunden, der verlässlich Zinsen zahlt und das Kreditvolumen ständig erhöht. Beide beanspruchen immer mehr Geld und Wirtschaftswachstum für sich, verringern insoweit die Gewinne der Realwirtschaft und die Erträge der herkömmlichen Geldeigentümer. Der Staat verliert ein Stück seiner Souveränität, der Bürger büßt substantiell an Freiheitsgrundlagen ein, die Vertrauensgrundlage unserer Geldwirtschaft ist gefährdet.
Die dritte Gefahr für die Euro-Gemeinschaft liegt in dem Leistungsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten. Einige Staaten sind in ihrer Leistungs- und Zahlungsfähigkeit gefährdet. Andere suchen dort weiterhin ihre Kunden. So entsteht ein Druck, die trotz Zahlungsschwäche nachfragenden Volkswirtschaften mit Gemeinschaftsgeld zu stabilisieren. Die Freizügigkeit innerhalb der Union hat, wenn die Not im Heimatstaat sehr groß wird, eine Wanderung aus den armen in die reichen Länder zur Folge, der die Politik durch vorherige Stabilisierung der Heimatstaaten – Rettungsschirme, Garantieversprechen, Finanzhilfen – begegnen will. Diese Geldtransfers sind mit Auflagen und Sanierungspflichten verknüpft. Der Finanzmarkt verlangt außerdem hundert Prozent des so erreichten Sparerfolges für sich, ohne die sparenden Menschen in ihrem Heimatstaat den Vorteil des Sparens – bessere Straßen und Schulen, funktionierende Universitäten und Krankenhäuser, Arbeitsplätze – erleben zu lassen. So entstehen in der Friedensgemeinschaft der Europäischen Union Argwohn, Feindseligkeit, Hass, der in historische Denkweisen und Redensarten zurückführt, die wir gerade durch die Union glaubten überwunden zu haben.
Es bedarf eines radikalen Neuanfangs, einer Sanierung an den Wurzeln. Zunächst muss die Europäische Rechtsgemeinschaft zum Recht zurückkehren. Das deutsche Grundgesetz sucht in Zukunft eine staatliche Neuverschuldung strikt zu unterbinden, weil der Staat mit der Darlehenssumme nicht – wie ein privater Unternehmer – seine Produktivität und Erwerbskraft steigern, aus dem Mehrgewinn dann den Kredit bedienen kann. Der Staat greift vielmehr durch den Staatskredit auf die Steuerkraft der nachfolgenden Generation zu, die sich heute dagegen nicht wehren kann, aber zu Recht erwartet, dass ihre zukünftige Steuerkraft von dem dann verantwortlichen Staat zur Verbesserung ihrer Infrastruktur verwendet wird.
Ist die Neuverschuldung auf null zurückgeführt, muss die Schuldentilgung beginnen, damit das Steueraufkommen von heute den derzeitigen Steuerzahlern voll zugutekommt und nicht zu einem wesentlichen Teil an den Finanzmarkt abgeführt werden muss. Dabei könnte eine Finanztransaktionssteuer helfen, die Störer des Finanzsystems finanzwirtschaftlich mit zur Verantwortung zu ziehen, und das so gewonnene Steueraufkommen für die Schuldentilgung zu reservieren. Wenn dabei der Finanzmarkt beruhigt und Verantwortungsstrukturen geschaffen werden, wäre dieses ein Konzept, das mit wachsendem Sanierungserfolg die Steuer sinken ließe.
Die Idee der Wirtschaftsfreiheit, das Handeln auf eigene Chance und eigenes Risiko, muss wieder Realität werden. Banken müssen verpflichtet werden, mehr Eigenkapital und Liquidität vorzuhalten, um die Risikobereitschaft zu bremsen, die Haftungsverantwortlichkeit wieder zu einem Freiheitsprinzip zu machen. Banken verlangen von ihren Kunden eine Sicherheit von 25 Prozent des Eigenkapitals.
Der Anleger müsste verpflichtet werden, durch seine Unterschrift den Einsatz seiner Kapitalmacht zu verantworten, also zu erklären, ob er sein Geld mit Kriegen oder mit Krankenhäusern verdienen will. Wer sein Kapital nutzt, verantwortet den Kapitaleinsatz, der ihm Nutzen bringt. Ein Markt, bei dem Nichtwissen Grundlage des Geschäftsmodells ist, widerspricht jeder Vernunft als Bedingung von Freiheit und Markt.
Derjenige, der finanzschwachen Staaten weitere Kredite gibt, muss das volle Kreditrisiko tragen. Kann der Schuldner – auch ein Staat – die Darlehensschuld nicht begleichen, trägt der Gläubiger das Ausfallrisiko. Voraussetzung allerdings ist, dass vorher Banken und Staaten als Gläubiger entflochten werden, das Kreditrisiko also weniger verstaatlicht wird. Dieses Zurück zur ersichtlichen Gediegenheit des Finanzmarktes wird zwar von Finanzfachleuten als „langweilig“ zurückgewiesen. Doch diese Solidität und Verantwortlichkeit mag einen geringen Unterhaltungswert haben, entspricht aber den Maßstäben des ehrbaren Kaufmanns, der im Freiheitsprinzip mitgedacht ist.
Schließlich stellt sich die Frage, ob der Darlehensvertrag eines Staates, der offensichtlich gegen ein europarechtliches und ein verfassungsrechtliches Verbot verstößt, nichtig ist, dem Darlehensgeber deshalb zumindest keinen Zinsanspruch sichert. Weiter greift die These „Not kennt kein Gebot“, mit der Befürworter der geldpolitischen Interventionen der Europäischen Zentralbank die Stabilitätsgarantien des Rechts beiseiteschieben wollen. Wenn das Recht nicht mehr gilt, bricht die europäische Rechtsgemeinschaft auseinander. Die Kommission, die Regierungschefs, die Abgeordneten haben kein Mandat, denn dieses ist ein rechtliches. Verträge gelten nicht mehr. Wir wären mit einem Schlag aller Schulden ledig.
Doch der Preis dieser Rechtlosigkeit wäre zu hoch. Der innere und äußere Frieden wäre gefährdet. Die Staatsorganisation und die gesellschaftliche Arbeitsteilung würden brüchig. Produktion und Handel fehlte das Instrument des verbindlichen Vertrages. Das Vertrauen der Menschen in unsere Hochkultur ginge verloren.
Deswegen ist das erste Stabilitätsgebot, zum Recht zurückzukehren. Zwar wird dieses, nachdem man sich sehr weit vom Recht entfernt hat, nur in stetigen Schritten einer Annäherung an das Recht erreicht. Doch diese Schritte sind gemacht und müssen immer größer werden. Alle Maßnahmen außerhalb des Rechts bleiben vorläufig, korrigierbar. Das Ziel vorbehaltloser Rechtstreue ist immer wieder vertrauensbildend zu definieren. Die Stabilität des Geldes ist ohne Stabilität des Rechts unerreichbar.
Ein wesentlicher Grund für das Stabilitätsgefälle unter den Mitgliedstaaten der Union liegt in der unterschiedlichen Bereitschaft, das Recht zu befolgen. Deshalb müssen die Mitgliedstaaten in einen Wettbewerb um die Wiederherstellung des Rechts eintreten. Der bisherige Wettbewerb des Finanzmarktes, in dem die Konkurrenten immer höhere Risiken eingehen, diese auf Staaten und Steuerzahler abzuwälzen suchen, ständig neue „Finanzprodukte“ ohne Wert und Nutzen anbieten, auf den Niedergang von Staaten und Unternehmen wetten, gefährdet das Denken in Maßstäben des Rechts. Dieser Wettbewerb ist zu beenden. Ein Wettbewerb, der den Bedarf der Menschen befriedigt, ist die Schwester der Freiheit. Ein Wettbewerb, der auf Nichtverantwortlichkeit der Wettbewerber angelegt ist, zerstört Freiheit.
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Der Verfasser war von 1987 bis 1999 Richter am Bundesverfassungsgericht und lehrt Steuerrecht an der Universität Heidelberg. |