Von Andreas Platthaus
Seltsame Welt, in der man nicht danach beurteilt wird, wieviel man einnimmt, sondern nach dem, was man ausgibt. Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, hat seinem Unternehmen in den vergangenen Jahren etliche Rekordgewinne beschert, doch das alles verblaßt in der deutschen Wahrnehmung gegenüber der von ihm genehmigten Prämienzahlung an die Mannesmann-Manager Klaus Esser und Joachim Funk.
Nun wird das entsprechende Verfahren, in dem Ackermann und die beiden Prämienempfänger wegen Veruntreuung angeklagt sind, am Mittwoch aller Voraussicht nach gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Ackermann war von diesem Trio der einzige, der sich nicht bereichert hat. Dennoch soll er mit 3,2 Millionen Euro die höchste Summe zahlen. Deshalb wird er weiterhin hierzulande als Hauptschuldiger gelten, auch ohne Urteil.
„Weltwirtschaft - eine Affenschande“
Die Frage ist nicht: Was hat Ackermann getan? Sondern, was er uns angetan hat, daß er in Deutschland derartige Abneigung auf sich zieht. Es gibt drei Probleme, die hierfür entscheidend sind: ein mentalitätsbedingtes, ein mediales und ein monetäres.
Das Verhältnis der Deutschen zur Ökonomie ist gestört. In dem einzigen kommunistischen Agitpropfilm der Weimarer Republik, dem 1932 in die Kinos gelangten Film „Kuhle Wampe“, wird in der Berliner Straßenbahn die Verbrennung von Kaffee in Brasilien debattiert. „Das ist Weltwirtschaft“, seufzt ein Arbeiter, „und die ist eine Affenschande.“ Der Film wurde verboten, seine Wirkung war damals gleich Null, aber diesen Satz kann man heute wieder überall in Deutschland hören.
Weltwirtschaft war jahrzehntelang für uns kein Problem, solange deutsche Unternehmen wacker exportierten und sich niemand von außen in die Entscheidungen der Deutschland AG mischte - jener binnenökonomischen Verflechtung, die daraus resultierte, daß einheimische Banken und Versicherungen als treue Finanzpartner der einheimischen Industrieunternehmen in deren Aufsichtsräten saßen, wo sie auf die Vertreter der politischen Parteien und der Gewerkschaften trafen. Finanzinvestoren aus dem Ausland wurden von dieser Führungsclique entsprechend mißtrauisch beäugt, und tatsächlich hat dieses korporatistische Modell dem Land lange Zeit Stabilität garantiert.
Der Bankwille zur Globalisierung
Das ist vorbei - seit ungefähr zehn Jahren -, und man kann nicht behaupten, daß die Deutschen daran Verdienst oder Schuld hätten. Das glaubt auch keiner. Aber alle glauben, daß einer der Schuldigen Josef Ackermann heißt. Der Schweizer Bankier wurde 1996 in den Vorstand der Deutschen Bank aufgenommen und war immerhin schon der dritte Ausländer in diesem Gremium. Aber als erster erlangte er 2002 die Position des Vorstandssprechers und damit die höchste Stelle, die in der Deutschen Bank - und manche sagen: in der deutschen Wirtschaft - zu vergeben war.
Verpflichtung und Aufstieg von Ackermann waren Ausdruck des Bankwillens zur Globalisierung. Denn das Verhältnis der Schweizer zur Ökonomie ist nicht gestört. Deshalb wurde Ackermann bereits lange vor dem Mannesmann-Fall in Deutschland kritisch beobachtet. Dabei stellt sein Biograph Leo Müller („Ackermanns Welt - Ein Tatsachenbericht“, Rowohlt Verlag 2006) fest: „Es stand in seiner Macht, auf dem Spitzenposten der deutschen Wirtschaft die Deutschen für das helvetische Wirtschaftsmodell zu begeistern. Er hat diese Chance der gesellschaftspolitischen Wahrnehmung seines Amtes verpaßt ... Die Kraft zum Rebellieren ist ihm nicht gegeben.“ Was von Ackermann bleibt, werden Unternehmensdaten sein, keine Wirtschaftsrevolution.
keine Zugeständnisse
Warum ist er dann trotzdem hierzulande zum Sündenbock der Globalisierung geworden? Man sieht in Ackermann den skrupellosen Manager, weil er paradoxerweise diese Rolle nie gespielt hat. Er ist ehrlich, deshalb mochte er zum Beispiel im Februar 2005 bei der Verkündung eines Jahresgewinns der Deutschen Bank von mehr als zwanzig Milliarden Euro nicht verschweigen, daß man demnächst 6400 Stellen streichen werde. In Deutschland wird Nibelungentreue um Nibelungentreue verlangt, was den Schatz des sozialen Kapitals betrifft. Wer das Bewährte gefährdet, verliert das Vertrauen. Helmut Kohl, Inbegriff des korporatistischen Modells, vergleicht Ackermann mit einem von dessen Vorgängern, dem 1989 ermordeten Alfred Herrhausen: „Wenn Alfred die Stellenstreichungen, die Herrn Ackermann soviel Kritik eingebracht haben, angekündigt hätte, hätte man ihm geglaubt, und die Öffentlichkeit hätte das Vertrauen gehabt, daß diese Maßnahme unumgänglich wäre.“
Herrhausen wußte, wie man sich in Deutschland darzustellen hat, Ackermann dagegen scheint keinen Grund zu sehen, solche Zugeständnisse zu machen. Deshalb werden die Reuters und Pierers trotz des Scheiterns ihrer Konzernstrategien immer noch als kompetente Gesprächspartner ernst genommen. Ackermann dagegen ist kein Verkäufer seiner selbst. Seine Familie wohnt immer noch in der Schweiz, und nur dort pflegt er, wie Müller erzählt, intensive Freundschaften - mit Schul-, Pfadfinder- und Studienkameraden. Erik Nolmans, der die zweite Ackermann-Biographie dieses Jahres geschrieben hat („Josef Ackermann und die Deutsche Bank - Anatomie eines Aufstiegs“, Orell Füssli 2006), erkennt allerdings schon im jungen Klassensprecher, Sportler oder Klavierspieler die „natürliche Autorität“ mit großem Ehrgeiz. Das Naturell Ackermanns befähigt ihn zur Führungskraft, aber die moderne Wirtschaft verlangt auch Selbstverleugnung, bisweilen gar Heuchelei.
Ackermanns Vermittlungsproblem
Das ist Ackermanns Sache nicht. Gerade der Mannesmann-Fall beweist das. Als Präsidiumsmitglied des Aufsichtsrates genehmigte Ackermann die Prämien für Esser und Funk zu einem Zeitpunkt, als das Unternehmen gerade die Übernahmeschlacht mit Vodafone verloren hatte. Die insgesamt mehr als zwanzig Millionen Euro empfand Ackermann im internationalen Vergleich als durchaus angemessene Abfindungen für erfolgreiche Führungskräfte, und die Verfolgung durch die deutsche Justiz sieht er als Zeichen, daß dieses Land nicht für die Weltwirtschaft geschaffen ist.
Das Problem hier ist, daß der Vorwurf, den Leo Müller in seinem Buch gegen Ackermann erhebt, zutrifft: Der Bankier hat die Öffentlichkeit nicht für sein Verständnis von Wirtschaftsführung gewinnen können. Es ist schwierig zu begründen, warum von Mannesmann erst mehr als zweihundert Millionen Euro eingesetzt wurden, um die Übernahme abzuwehren, und dann diejenigen Manager Prämien erhielten, die diesen Kampf verloren hatten. Dabei ist das international üblich. Allerdings gibt es keine internationalen Regelungen dafür, und das deutsche Aktienrecht verlangt einen bestimmten Genehmigungsweg bei der Gewährung solcher Prämien. Hier rächte sich Ackermanns Fixierung auf die Weltwirtschaft.
Ackermann ist kein Rebell
Aus diesem Legalitätsproblem machten die deutschen Medien allerdings etwas viel Größeres: ein Legitimationsproblem. Denn was Ackermann endgültig in die Rolle des Buhmanns der Nation brachte, war das Foto mit dem Victoryzeichen vor dem ersten Verhandlungstag. Die öffentliche Meinung ist ein Richter, der keine Gnade kennt. Es ist deshalb viel weniger der Neid auf Ackermanns jährliche Millioneneinkünfte, die seine beiden in der Schweiz arbeitenden Biographen als Grund für die Unbeliebtheit des Vorstandschefs in Deutschland ausmachen; es ist das medial befeuerte Gefühl, daß dort einer ohne Rücksicht die Welt verändern wolle. Daß er sich von allem gelöst habe, was als Wert gemeinhin anerkannt wird.
Das aber ist Unsinn, denn Leo Müller hat recht: Ackermann ist kein Rebell. „Verändern werden nur diejenigen etwas, denen diese Welt nicht gefällt“, lautet der Schlußsatz in „Kuhle Wampe“. Ackermann gefällt, was er in Deutschland in den letzten zehn Jahren erreicht hat. Seine Welt ist Geld, und seine Bank steht glänzend da - finanziell. Mehr kann man aus Ackermanns Sicht von einem Manager nicht erwarten. Für die Zukunft des internationalen Bankgeschäfts steht ein Mann wie Anshu Jain, Chef des Investmentzweigs der deutschen Bank. Er ist Ackermanns Mann, doch über ihn werden sich die Deutschen erst recht wundern.
Text: F.A.Z., 27.11.2006, Nr. 276 / Seite 35