Etwas Feedback vom Investor Call. Der größte Teil ist persönliche Interpretation, die nicht stimmen muss:
Man hat hier die Kostensituation, an der der miese Ausblick für 2021/22 hängt, sehr direkt angesprochen und dankenswerter Weise auch weiter ausgeführt. Mein Eindruck ist, dass das, was gerade passiert, durchaus im Rahmen der eigenen Erwartungen lag (wenn auch vielleicht durch Effekte wie FX ein wenig schwächer ist als erhofft). Herr Gerstenmayer hat recht ausführlich darauf hingewiesen, dass ein neues Werk einfach sehr erhebliche Ramp Up Kosten hat und daher auch das jetzige Vorziehen des Zeitplans erstmal weitere Kosten verursacht.
Konkret müssen tausende Mitarbeiter neu eingestellt werden, die bereits Monate vor Beginn der eigentlichen Arbeit eingearbeitet werden müssen. Zudem gibt es hohe Kosten für Gebäude und Maschinen. Ausserdem dauert der industrielle Prozess beim Hochlaufen Zeit, bis man hier nach einigen Quartalen die Effizienz des Durchlaufs optimiert hat. Man sei wesentlich schneller dabei, diese Effizienzen zu stemmen, als bei Chongqing I. Aber dennoch schwor Herr Gerstenmayer die Analysten auf weitere Geduld ein, was kurzfristige Ergebnisse angeht.
Einen effizienten Output wird es hier scheinbar erst geben, sobald man nahe an Vollauslastung ist, weil die Ramp Up Kosten am Anfang einfach sehr hoch sind. Ab Ende 2023 sollte das dann anfangen Spaß zu machen. Die volle Effizienz dürfte man aber erst gegen Ende 2024 erreicht haben. Mit anderen Worten: das erste Fiskaljahr, in dem Chongqing III von der Marge her durchgehend auf Zielniveau läuft, dürfte das Jahr 2025/26 sein (meine Interpretation), wobei 2024/25 sicher auch schon sehr gut sein sollte. 2021/22 und 2022/23 sind vermutlich hingegen wohl noch deutlich vom Investitionsüberhang gezeichnet -- daher auch die aktuell schwache Guidance. 2023/24 ist vermutlich dann schon OK.
Das GJ 2024/25 ist in drei Jahren -- das ist nicht sehr weit weg, wenn man einen normalen Investmenthorizont hat. Wenn man also für diese Zeit bereits von einem sehr guten EPS ausgeht und das gedanklich auf heute abzinst, ist klar, dass die Aktie auch trotz des schwachen Ausblicks aktuell sehr bescheiden bewertet ist.
Allerdings ist bei einem Konsens-EPS der Analysten von zuletzt EUR 2,17 für 2021/22 auch klar, dass Gerstenmayer hier EXTREM schlampig kommuniziert hat: Hier wird bereits seit Jahren über den Verlauf des Ausbaus von Chongqing berichtet, und es gab dennoch eine so enorme Diskrepanz zwischen Erwartung der Analysten und Realität. Das ist eigentlich kaum zu begreifen, wie schwach die Kommunikation war, zumal AT&S zuletzt ja eine wahnsinnige Erwartungshaltung geschürt hat mit seinen Presseerklärungen.
Für mich unterstreicht das zwei Dinge. Zum einen, dass es, was die technische Entwicklung angeht, eigentlich nach wie vor sehr gut aussieht hier. Zumal Herr Gerstenmayer betont hat, dass die gegenwärtige Angebotslücke auf Jahre hin weiter offen sein dürfte -- selbst, wenn noch neue erhebliche Kapazitäten gebaut werden sollten, von denen man heute noch nichts weiß. Deswegen schielt man ja auf einen möglichen Ausbau in Vietnam oder anderswo. (Es gibt dazu einen guten Slide in der Präsentation, der die Lücke im Markt für einige Jahre projeziert.)
Andererseits hat der Call auch wieder mal klar gezeigt, dass das etwas hölzerne AT&S Management sehr stark aus der Ingenieurs-Ecke kommt, immer noch sichtbare Berührungsängste mit dem Kapitalmarkt hat und die beiden Welten da einfach nicht so richtig zusammenkommen. Die große Diskrepanz zwischen Analysten-Erwartung and Unternehmens-Realität für 2021/22 sagt da ja eigentlich schon alles, und das ist fraglos die Schuld von AT&S, nicht der Analysten. Aber auch bei zahlreichen anderen Fragen merkte man, dass Herr Gerstenmayer Investoren einfach immer noch etwas von oben herab als zweitrangig, geldfokussiert und kleinkariert ansieht. Andererseits ist das AT&S-Management für die Investoren wiederum zu technisch entrückt, zu österreichisch-provinziell und nicht fokussiert genug auf die Ziele eines kapitalistischen Unternehmens.
Sowas wird besonders bei Fragen zu Finanzangelegenheiten offensichtlich: Ein Analyst fragte sichtbar besorgt, warum man denn jetzt gerade wieder so eine hohe Ausschüttungsquote anstrebe, wo doch enorme Investitionen anstehen und die Net-Debt/EBITDA Situation bedenklicher wird. Da kam auf eine durchdachte Finanz-Frage dann ausgerechnet von der CFO dann nur eine recht blasiert hingesülzte Oberflächlichkeit zurück im Sinne von "Investoren am Unternehmensgewinn beteiligen..." Das sind Management-Statements, wo intelligenten Investoren die Haare zu Berge stehen.
Kurzum: was die beiden Pole unserer Diskussion hier im Forum angeht, habe ich nach diesem Call den Eindruck, dass beide Seiten auf ihre Art recht haben. Die Optimisten haben recht, dass man technisch wahrscheinlich halbwegs on track ist und sich durchaus früher oder später über 500-600 Mio. EBITDA wird freuen können. Andererseits haben die Pessimisten womöglich auch recht, dass es Herrn Gerstenmayer am Ende einfach egal ist, ob der ROCE jetzt durchoptimiert ist oder nicht, solange er sein technisches Ding machen kann.
Mit anderen Worten: Auf Sicht von drei, vier Jahren ist AT&S wahrscheinlich weiter ein sehr gutes Investment. Aber mein Eindruck ist, dass das Unternehmen die Kapitalerhöhung und Vietnam vermutlich ohne jede Rücksicht auf Verluste durchprügeln wird -- ganz egal, was der Kapitalmarkt davon hält und ob der Kurs dann gut für eine KE ist oder nicht. Ist ja das Geld von anderen -- also was soll's. Ich denke, da dürfte es am Ende reichen, wenn Intel anruft und sagt "Andreas, es geht los". Die CFO muss dann halt schnell die Zahlen in die Slides quetschen, man geht mit den Banken ein paar Wochen auf Tingeltour und zeigt Folien. Und das muss dann am Ende auch reichen.
Das eröffnet in meinen Augen zwar durchaus auch erhebliche langfristige Chancen. Aber klar ist auch, dass damit weitere, erhebliche Sonderkosten und Milliardeninvestitionen auf uns zukommen dürften. Und dann wären die EPS-Ziele, die wir hier diskutieren, in drei Jahren ganz sicher nicht machbar. Ausserdem müsste man sehen, wie der Markt die Verwässerung verkraften würde. Meine Vermutung: schlecht, weil AT&S so linkisch mit dem Kapitalmarkt umgeht und die Anbahnung bisher so leichtfertig verspielt hat. Das hat vermutlich auch nichts mit dem Börsenplatz zu tun.
Kurzum: EIGENTLICH ist hier vermutlich wirklich alles OK. Und wer einen langen Atem hat, der dürfte hier weiterhin ein sehr profitables Investment vor sich haben. Allerdings muss man auch feststellen, dass Herr Gerstenmayer in der Kommunikationsanbahnung von Vietnam bisher wirklich grandios versagt hat (siehe Diskussion im Thread weiter oben). Angesichts dieser Ausgangslage sehe ich Vietnam problematisch. Das hätte man besser vorbereiten müssen. Aber die Investoren wird am Ende keiner fragen, denke ich. |