Montag, 1. März 2010, um 18:12 ax/ben/and/ke/itt NEW YORK/FRANKFURT/TOKIO. Mit einem spektakulären Befreiungsschlag versucht AIG-Chef Robert Benmosche, den US-Versicherungsgiganten aus der Krise zu führen. Für 35 Mrd. Dollar verkauft der ehemals weltgrößte Konzern der Branche seine Asientochter AIA an den britischen Konkurrenten Prudential. "Diese Transaktion ist der bislang wichtigste Meilenstein unsere Bemühungen, die Steuergelder zurückzuzahlen. Zudem gibt er uns mehr Flexibilität bei der Restrukturierung und der Weiterentwicklung unseres Kerngeschäfts", erklärte Benmosche am Montag.
AIG war 2008 faktisch zum Staatskonzern geworden. Die Regierung hatte dem Konzern mit 130 Mrd. Dollar unter die Arme gegriffen. Um die Hilfen zurückzuzahlen, muss sich AIG von Unternehmensteilen trennen. Bisher hatte der Versicherer aber erst kleinere Töchter und Beteiligungen losgeschlagen. Nach dem erfolgreichen AIA-Deal rechnen Experten damit, dass AIG als nächstes den Lebensversicherer Alico an den US-Konkurrenten Metlife für etwa 15 Mrd. Dollar verkauft. Damit könnte AIG in diesem Quartal bis zu 50 Mrd. Dollar nach Washington überweisen.
Der erfolgreiche AIA-Verkauf gibt Benmosche recht, der sich in der Vergangenheit dem Druck der Politik widersetzte, Firmenanteile zu früh und zu billig zu verkaufen. Die jüngsten Quartalszahlen zeigen jedoch, dass das operative Geschäft des Restkonzerns immer noch Probleme bereitet.
AIG, einst eines der angesehensten Unternehmen der Branche, war 2008 nicht wegen Problemen im Versicherungsgeschäft zum Sanierungsfall geworden. Die Londoner Einheit AIG Financial Services hatte sich derart mit Kreditderivaten verspekuliert, dass die US-Regierung in mehreren Schritten insgesamt 180 Mrd. Dollar für die Rettung bereit stellen musste. Nur so konnte im September 2008, wenige Tage nach dem Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers, verhindert werden, dass das Finanzsystem komplett zusammenbricht.
Tatsächlich geflossen sind bislang 130 Mrd. Dollar. Da rund 33 Mrd. Dollar durch ein AIG-Portfolio an Hypothekenpapieren im Laufe der Zeit beglichen werden sollen, bleibt Benmosche die Herkulesaufgabe, 97 Mrd. Dollar zurückzuzahlen. In zwei Schritten sollen die 35 Mrd. Dollar aus dem AIA-Verkauf an die New Yorker Filiale der US-Notenbank Fed fließen, die Teile der Hilfen zur Verfügung gestellt hatte. Weitere 15 Mrd. Dollar soll demnächst der Verkauf der internationalen Lebensversicherungstochter Alico erbringen, für den seit Wochen Benmosches alter Arbeitgeber Metlife als Interessent gehandelt wird.
Benmosche kündigte am Montag an, weitere Firmenteile zu verkaufen. Für eine der größten Einheiten, die Flugzeugleasinggesellschaft IFLC wurde aber bislang kein Interessent gefunden. Erwartet wird nun ein scheibchenweiser Verkauf. Allerdings hat die Tochter Refinanzierungsprobleme, so dass der Mutterkonzern möglicherweise mit Hilfen einspringen und dafür die Kreditlinie des Staates erneut nutzen muss.
Operativ hat sich die Lage für AIG seit dem Katastrophenjahr 2008 deutlich gebessert. Am Freitag vermeldete der Konzern einen Verlust von elf Mrd. Dollar nach 99,3 Mrd. Dollar im Vorjahr. Große Teile des Verlustes gehen auf Zinszahlungen, Abschreibungen und Risikovorsorge zurück. Einige Einheiten des Konzerns machten sogar wieder einen kleinen Gewinn. So kehrte Sun America, die in den USA Lebensversicherungen und Altervorsorgeprodukte anbietet, mit einem Plus von 2,3 Mrd. Dollar in die Gewinnzone zurück. Ironischerweise verdiente die für die Katastrophe verantwortliche und in Abwicklung befindliche Einheit Financial Services 459 Mio. Dollar nach einem Verlust von 40 Mrd. Dollar im Vorjahr.
Problemfall Chartis
Die Sachversicherungstochter Chartis, deren Verkauf Benmosche im Winter (Xetra: WI7.DE - Nachrichten) stoppte, ist dagegen weiter ein Problemfall. Rund 2,3 Mrd. Dollar für zusätzliche Risikovorsorge musste AIG für die Firma aufwenden. Die Ratingagentur Fitch setzte die Chartis-Bonitätsnote daraufhin auf die Beobachtungsliste für eine mögliche Herabstufung. Es gebe Bedenken wegen ausreichender Kapitalunterlegung und der Fähigkeit, in einem von wachsendem Wettbewerb und fallenden Prämieneinnahmen geprägten Umfeld dauerhaft Gewinne zu erzielen, hieß es zur Begründung. Insgesamt fiel das Urteil der Analysten nach den Zahlen daher skeptisch aus. "Die Kerninhalte bleiben schwach, und es gibt große Risiken für die Umsetzung der AIG-Strategie", schrieb Catherine Seifert, Aktienanalystin bei Standard & Poor's.
Prudential deckt mit der Übernahme des Asiengeschäfts von AIG künftig alle wichtigen Versicherungsmärkte der Region ab. Über AIA haben die Briten Zugriff auf 20 000 Mitarbeiter und rund 250 000 Vertreter. Interessant ist Asien wegen seiner Wachstumsaussichten. So schätzt die Unternehmensberatung McKinsey, dass 40 Prozent des Prämienwachstums in der Lebensversicherung in den kommenden Jahren aus Asien kommt. Die Ratingagentur AM Best sieht in Südostasien "aufregende Märkte". Vor allem Thailand, Malaysia, Indonesien, die Philippinen und Vietnam würden sich rasch entwickeln. 2008 entfielen auf Asien nach Berechnungen von Swiss Re (Virt-X: RUKN.VX - Nachrichten) etwa 933 Mrd. Dollar Prämien. Das entspricht etwa 22 Prozent der weltweiten Einnahmen von Versicherern.
Am größten sind die Märkte in Japan, China, Südkorea, Taiwan und Indien. Ausländer spielen hier bisher eine untergeordnete Rolle, weil viele Märkte stark abgeschottet sind. In Japan ist die Allianz mit Allianz Life Japan seit ein paar Jahren in Tokio und Seoul vertreten. Die französische Axa (Paris: FR0000120628 - Nachrichten) betreibt seit 1994 das Lebensversicherungsgeschäft mit einer Tochterfirma in Japan. Auch US-Konzerne wie Prudential Life, American Life oder die niederländische ING mischen mit.
In China sind bereits 40 ausländische Versicherer aktiv
In Japan als auch Südkorea sind oft persönliche Beziehungen für einen Vertragsabschluss ausschlaggebend, insbesondere wenn es um Lebensversicherungen geht. Derzeitiger Marktführer ist Tokio Marine Holdings. In Südkorea entfallen die großen Geschäfte auf die heimischen Samsung Life, Korea Life und Kyobo Life.
Auf dem chinesischen Versicherungsmarkt tummeln sich nach offiziellen Angaben derzeit 111 Versicherer, davon kommen 40 aus dem Ausland. Neben den chinesischen Riesen wie China Life oder dem Sachversicherer PICC gibt es sehr viele kleine lokale Anbieter. Vor allem die Lebensparte ist stark reguliert. Ausländer können eigenständig alle Sachversicherungen anbieten, etwa eine Bausparversicherung (Schwäbisch Hall), eine Krankenversicherung (DKV) und auch Gruppenversicherungen für Chinas Staatskonzerne (Generali). Die Kfz-Haftpflicht ist für Chinas Versicherer reserviert.
Bei Lebensversicherungen müssen Ausländer ein Gemeinschaftsunternehmen abschließen. Zudem ist die regionale Expansion eingeschränkt. Dennoch sind Lebensversicherungen in China das attraktivste Geschäft. Von 100 Mrd. Euro Prämien entfielen 2008 etwa 96 Prozent auf Lebenpolicen. Ausländer schnappten sich davon rund fünf Prozent, bei den Sachversicherungen sind es deutlich weniger als zwei Prozent. Insgesamt steckt die Versicherungswirtschaft in China aber noch in den Kinderschuhen, heißt es in der Branche. Das bietet Chancen: So baut die deutsche Munich-Re-Tochter Ergo momentan ein Gemeinschaftsunternehmen für Lebensversicherungen auf.
Die Allianz will ihren Umsatz in Indien deutlich auf drei Mrd. Euro steigern
Die Allianz hat in den 1990er-Jahren ihr China-Geschäft gestartet und sich 2006 an der Großbank ICBC beteiligt. Die Versicherer wollen Bankfilialen für den Vertrieb nutzen. Bislang erfüllten sich die Erwartungen aber nicht. In Indien ist die Allianz als zweitgrößter privater Anbieter in der Sach- und Lebensversicherung vertreten. Indien war zuletzt bereits der siebtgrößte Markt für den europäischen Marktführer. Der Konzern will den Umsatz hier in den nächsten Jahren von 2,2 Mrd. Euro (2008) auf drei Mrd. Euro steigern.
http://de.finance.yahoo.com/nachrichten/...latt-f98e7cbaafa4.html?x=0 |