Mi, 23.03.11 15:01 Ist die Atom-Renaissance schon wieder zu Ende? BERLIN (dpa-AFX) - Eon-Chef Johannes Teyssen hat Neubaupläne für Atomkraftwerke im Ausland in der Schublade. Großbritannien etwa war mal im Gespräch. 'Wir haben auch Ideen für Finnland', sagt er in einem Interview. Doch er weiß auch, dass dafür jetzt erst einmal nicht die Zeit ist. Nun gehe es im Lichte der Katastrophe von Fukushima um die Sicherheitsüberprüfung in den bestehenden Anlagen.
Wo vor dem 11. März noch von einer Renaissance der Atomkraft die Rede war und angesichts der teuren Ökoenergiewende Atom-Verfechter im Stillen sogar auf Neubaupläne in Deutschland hofften, herrscht nun das große Grübeln. 443 AKW gibt es weltweit, 62 sind laut World Nuclear Association im Bau und 158 in Planung.
Der Philosoph Peter Sloterdijk nennt die Atomkatastrophe in Japan einen 'Ereignisblitz', der den Menschen klar machen könne, dass es mit der Gewinnung und Nutzung von Kernenergie nicht wie bisher weitergehen dürfe. Sloterdijk zeigt sich im Interview des Magazins 'Cicero' überzeugt davon, dass gegen Ende des 21. Jahrhunderts alle Nationen der Erde auf die Kernkraft verzichten würden: 'Nukleare Energiegewinnung ist keine Technik mit großer Zukunft.'
Doch ob der Philosoph Recht behalten wird? Kein Land hat eine solche Vollbremsung wie Deutschland hingelegt - erst einmal werden weltweit die Atommeiler nur überprüft, von einer Beerdigung von Neubauplänen kann keine Rede sein. Frankreich mit seinen 58 Meilern etwa hat sich viel zu sehr der Kernenergie verschrieben, als dass es in einer schwelenden Eurokrise massiv umsteuern könnte. Der derzeitige Ausfall acht deutscher AKW könnte zu Atomstromexporten nach Deutschland führen, mit denen Frankreich gutes Geld verdienen kann.
Jean-François Copé, Generalsekretär der Präsidentenpartei UMP, plädiert trotz Fukushima für den Ausbau der Atomkraft. In einem Kommentar für das 'Handelsblatt' schreibt er, dass Kernenergie einen unverzichtbaren Klimaschutz-Beitrag leiste, Frankreich unabhängiger mache von importierter Energie und billigen Strom erzeuge.
Finnlands Staatspräsidentin Tarja Halonen lässt wissen, dass man an den vom Parlament abgesegneten Ausbauplänen festhalten werde. Finnland wurde nach einer langen 'Karenzzeit' in Folge von Tschernobyl zu einem Hoffnungsträger der Atomindustrie. 2003 gab es für das französisch-deutsche Konsortium der Konzerne Areva und Siemens die Erlaubnis zum Bau des komplett neuartigen europäischen Druckwasserreaktors (EPR) mit einer Leistung von 1600 Megawatt.
Doch in der Bauphase kam es immer wieder zu Problemen, nun ist nicht vor Mitte 2013 mit dem Start zu rechnen. Die ursprünglich veranschlagten Kosten von drei Milliarden Euro für die Anlage in Olkiluoto könnten sich verdoppeln. Das Deutsche Atomforum verweist gerne auf Finnen und Schweden, die Neubauten genehmigten oder Ausstiegsgedanken ad acta legten. Von einer 'Koalition der Vernunft' in Helsinki spricht die Atomlobby und vom Realitätssinn der Schweden. Italien zumindest will den Atom-Wiedereinstieg erst mal verschieben. Das Land war 1987 wegen Tschernobyl aus der Atomkraft ausgestiegen.
Bei der grundsätzlichen Ausrichtung wird nun viel darauf ankommen, ob Fukushima eher wie der US-Reaktorunfall in Harrisburg 1979 ausgeht, wo es zumindest nicht zum Super-GAU kam, oder ob es so schlimm wird wie Tschernobyl 1986. Dabei haben Länder wie China mit einem Kohleanteil von rund 80 Prozent an der Energieversorgung kaum Alternativen. Der Energiehunger gerade in Asien wächst derart rasant, dass alle denkbaren Produktionszweige ausgereizt werden.
China will neben seinen bisher 13 AKW nicht nur 25 weitere bauen - 50 sind zudem in Planung. Zwar werden nun Neubaupläne, vor allem an den Küsten, überprüft. In Betrieb befindliche AKW werden aber nicht abgeschaltet, eine grundsätzliche Abkehr ist nicht zu erkennen. Zugleich ist China weiter Marktführer bei der Solarenergie, viel davon geht nach Deutschland. Die weltweite Herstellung von Solarzellen stieg 2010 gegenüber 2009 um 118 Prozent, von den sechs größten Herstellern kommen vier aus China. Das Beispiel zeigt: Trotz eines globalen Ausbaus der Ökoenergien brauchen viele Industrieländer die großen Atomkraftwerke, die kontinuierlich Strom liefern.
Auch die USA mit 104 Reaktoren debattieren zwar über die AKW-Sicherheit - aber auch hier verhindert die Atom-Abhängigkeit ein rasches Umsteuern. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) rechnet bisher sogar damit, dass der Atomanteil an der globalen Stromproduktion von knapp 14 langfristig auf 17 Prozent steigt. Was eine solche Abhängigkeit auslösen kann, ist derzeit in Tokio zu sehen: Dunkle Straßen statt bunter Leuchtreklamen prägen das Bild./ir/DP/tw
Quelle: dpa-AFX |