"ÜBER DEN EFFEKT VON ZINSSENKUNGEN UND DIE GEFAHREN FÜR DIE “UNBEFLECKTE DISINFLATION”
04.06.2024WährungenMichael Pfister (Devisenanalyse, Commerzbank)
In der letzten Woche bin ich an dieser Stelle kurz darauf eingegangen, dass unter Umständen Zinssenkungen nicht immer automatisch etwas Schlechtes für eine Währung bedeuten müssen. Eine These mit derartigen Auswirkungen auf den Wechselkurs bedarf aber möglicherweise etwas mehr Platz, als dies letzte Woche in einem kleinen Absatz möglich war. Daher heute nochmal etwas Klarstellung. Zunächst einmal basiert der Großteil der USD-Stärke der jüngsten Monate – zumindest meiner Meinung nach – darauf, dass die USA es geschafft haben, trotz deutlicher Zinserhöhungen ihre Wirtschaft nicht unter Druck geraten zu lassen. Praktisch scheinen sie auf den ersten Blick eine Art “unbefleckte Disinflation” geschafft zu haben, d.h. eine Disinflation ohne große Nachteile. Andere Währungsräume hatten es da deutlich schwerer – sie konnten die Inflation nur unter Kontrolle bringen auf Kosten der Realwirtschaft. Und dies, obwohl sie teils geringere Zinserhöhungen bei einem stärkeren Inflationsanstieg geliefert haben. Dieses Wachstumsdifferential hat der Markt dementsprechend mit USD-Stärke goutiert, da es langfristig für weniger Zinssenkungen spricht und gleichzeitig (was recht ungewöhnlich ist) US-Investitionen augenscheinlich attraktiver sind. Andere Währungsräume dürften ihre Zinsen senken müssen, um in Zukunft auch nur annähernd die Aussichten auf ähnliche Wachstumsraten zu haben, wie sie die USA zuletzt gesehen haben. Nun wäre immer mehr USD-Stärke im Vergleich zum Rest der G10 aber wohl nur angebracht, wenn sich die derzeitige Situation weiterhin in Richtung Vorteil der USA verschiebt. Das heißt entweder, die Fed erhöht nochmal die Zinsen (oder lässt sie noch länger als erwartet erhöht), gleichzeitig bleibt die Wirtschaft robust, oder aber die restlichen Zentralbanken senken ihre Zinsen deutlich stärker als erwartet, ohne größeren (positiven) Effekt auf das Wirtschaftswachstum. Allerdings ist es nicht so ganz eindeutig, dass es zu einer der beiden oder gar beiden Möglichkeiten gleichzeitig kommt. Schließlich würde die erste Möglichkeit bedeuten, dass die Fed zuvor zu wenig gemacht hat, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das starke Wirtschaftswachstum vielleicht nur deshalb so stark war, weil die Fed noch gar nicht restriktiv genug war. Folgt man dieser Logik, dann wäre eine weitere Zinserhöhung gar nicht so USD-positiv zu sehen, wie es einige Marktteilnehmer glauben. Auf der anderen Seite ist eine Zinssenkung an sich auch nicht automatisch schädlich für eine Währung – genauso wenig eben, wie eine Zinserhöhung automatisch gut für eine Währung ist. Es kommt halt immer darauf an. Senkt eine Zentralbank, weil ihre Inflation unter Kontrolle ist und weil die Geldpolitik ansonsten zu restriktiv wäre? Dann wäre zwar die Zinssenkung an sich oder die Ankündigung weiterer Zinssenkungen vielleicht kurzfristig nicht förderlich für eine Währung. Langfristig gesehen bedeutet eine weniger restriktivere Geldpolitik aber eben auch, dass das Wirtschaftswachstum wieder anziehen dürfte. Wenn gleichzeitig die Fed eine restriktivere Geldpolitik fahren muss, weil sie die Realwirtschaft noch nicht genug abgewürgt hat, dann bedeutet dies im Umkehrschluss, dass das derzeit noch als groß angesehene Wachstumsdifferential kleiner werden dürfte. Nun handelt der Devisenmarkt zwar vorausschauend, aber vermutlich nicht derart weit vorausschauend, dass die Verzögerungen bei der Transmission der Zinssenkungen bereits eingepreist sind. Von daher kann es durchaus sein, dass der Markt diese Argumente noch nicht vollständig eingepreist hat. Die ersten Anzeichen dafür sehen wir aber schon. Schließlich schwächelten zuletzt einige US-Konjunkturdaten – wie der gestrige ISM-Index -, was Befürchtungen weckt, dass sich die US-Realwirtschaft eben doch abschwächen muss, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Sehen gleichzeitig die restlichen G10 bereits wieder den ersten Aufschwung durch die Zinssenkungen, dann könnte der Vorteil des USD nicht mehr all zu lange anhalten. Verstehen Sie mich nicht falsch, unser Basisszenario ist weiterhin, dass die USA eine Art der “unbefleckten Disinflation” erleben, d.h. der US-Wachstumsvorteil weiter zementiert wird. Nur ist es halt auch meine Aufgabe, auf Risiken für diese Prognose hinzuweisen. Zumindest, solange der Markt sie mit einer Wahrscheinlichkeit preist, die größer als Null ist. Und solange der Markt diese Risiken derart preist, handelt EUR-USD eben noch über unserer Prognose."
Quelle: Über den Effekt von Zinssenkungen und die Gefahren für die “unbefleckte Disinflation” | Societe Generale ideas News
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