3D-Druck – Und Print lebt doch! - Technologiesprünge, neue Materialien und rapider Preisverfall könnten den kürzlich noch belächelten 3D-Druck bald in ein lukratives Massengeschäft verwandeln. Wenn da nicht diese verdammte Plastik-Pistole wäre.
Erst ausdrucken, dann abdrücken: Die Story der ersten schussfähigen Plastikpistole aus einem 3D-Drucker ging Anfang Mai um die Welt. Aus lediglich 16 Teilen hatte sie der 25-jährige texanische Jusstudent Cody Wilson per Mausklick zusammengebastelt. 15 davon kommen aus einem günstigen Home-Printer, nur einen Metallnagel als Schlagbolzen braucht der "Liberator“ für seine tödliche Durchschlagskraft noch. Weit über 100.000 Mal wurden die digitalen Baupläne für die Do-it-yourself-Waffe von Wilsons Website innerhalb weniger Stunden heruntergeladen. Dann machten die Behörden dem Spuk auf Basis des US-Waffenexportgesetzes vorerst ein Ende.
Aber gleichzeitig hat dieses verstörende Projekt - sofort geisterte die Schreckensvision einer Privatarmee herum, die sich selbst mit völlig legal und spottbillig hergestelltem Schussgerät aufrüstet - ein grelles Schlaglicht auf die inzwischen kaum mehr überschaubaren Möglichkeiten der jungen 3D-Drucktechnologie geworfen. Deren Prinzip klingt eigentlich recht einfach: Statt Objekte aus einem festen Material zu fräsen oder sie in eine Form zu gießen, baut sie ein 3D-Drucker einfach Schicht für Schicht auf. Es ist ein bisschen so, als würde man Bierdeckel zu einem Würfel aufeinanderstapeln. Nur die Gestaltungsmöglichkeiten sind unendlich vielfältiger.
Bis vor kurzem noch war dieses "Additive Manufacturing“ als obskures Hobby einiger Bastlerfreaks abgetan worden, die von einem Replikator, wie er einst für das Raumschiff Enterprise ersonnen wurde, träumen. Doch in Wahrheit sind 3D-Drucker bereits weit in den gigantischen Markt der Endverbraucher vorgedrungen. Branchenexperten sagen ihnen sogar einen ähnlichen Siegeszug voraus, wie ihn Heimcomputer seit den 80er-Jahren genommen haben. "3D-Drucker: Mach Dir, was Du willst“, titelte so erst jüngst das US-Wirtschaftsmagazin "Bloomberg Businessweek“ und prophezeite den Übergang "vom Personal Computer zum Personal Fabricator“.
MakerBots auf dem Vormarsch
In Zahlen gegossen wird diese Marktentwicklung jedes Jahr im Wohlers-Report, der Bibel des 3D-Drucks. Demzufolge wurden von den fünf US-Herstellern, die das Heim-Branchensegment beherrschen, allein im Vorjahr weltweit über 50.000 "MakerBots“ - Fan-Speak für Personal-3D-Drucker nach dem Branchenprimus MakerBot Industries - an private Haushalte vorwiegend in den USA, Deutschland, China und Japan verkauft. Das mag nach Peanuts klingen, aber ein Jahr zuvor waren es lediglich 23.000 Stück, 2010 gar nur 6000 und 2008, als die ersten Geräte auf den Markt kamen, fanden sich bloß läppische 355 Käufer.
Solch dreistellige Wachstumsraten sind vor allem auf den dramatischen Preisverfall von MakerBots zurückzuführen. Zu Beginn kostete ein Personal-3D-Drucker, der etwa das Ausmaß eines mittleren Laser-Printers hat und mit dem sich alle möglichen Mini-Gadgets - vom Spielzeug über Schmuckstücke bis zu kleinen Ersatzteilen - bis zu einem Kubik-Dezimeter herstellen lassen, noch an die 10.000 Dollar. Heute werden hochwertige Exemplare bereits ab 1500 Dollar per Online-Bestellung geliefert. Die günstigsten Angebote, etwa von Solidoodle, liegen derzeit bei 499 Dollar, also rund 380 Euro. "Allerdings können diese Billig-Drucker nicht sehr viel“, sagt der Werkstoffwissenschafter Jürgen Stampfl, einer der führenden heimischen 3D-Druck-Pioniere der TU-Wien. "Die Materialauswahl ist beschränkt, die Oberflächen der Objekte sind viel zu rau und sie brechen leicht.“
Trotz der schnell wachsenden Popularität der MakerBots ist ihr Anteil am gesamten 3D-Druckmarkt mit gerade mal fünf Prozent noch ziemlich gering. Weitaus dominanter sind industrielle Großsystemen, wo die Preise von etwa 50.000 Euro bis zu rund einer Million gehen. Führend in diesem Segment ist das börsennotierte US-Unternehmen Stratasys (Umsatz 2012: knapp 360 Millionen Dollar). Erst im Vorjahr hat es den israelischen Konkurrenten Objet übernommen und damit seine wichtigsten Mitbewerber ZCorp. und 3D-Systems (beide USA), EOS aus Deutschland oder den chinesischen Hersteller Bejing Tiertime abgehängt.
Weltweit gibt es derzeit rund 70 Druckmaschinen-Produzenten und Service-Dienstleister für solche Profi-Anlagen. Diese kommen heutzutage praktisch in jeder Massenproduktion zum Einsatz, sowohl für Autos, Handys, Gebrauchsgüter oder Textilien als auch für die Herstellung von Werkzeugen, Prototypen und Kleinserien. Ihre Gesamtumsätze haben im Vorjahr die Zwei-Milliarden-Dollar-Grenze durchbrochen. "Angesichts jährlicher Wachstumsraten von durchschnittlich 25 Prozent dürfte das 3D-Druck-Marktvolumen bis 2020 auf etwa acht Milliarden Dollar wachsen“, prognostiziert Branchenguru Terry Wohlers: "Und dabei ist diese Drucktechnologie gerade erst den Kinderschuhen entwachsen.“
Schicht für Schicht
Die Ursprünge des 3D-Drucks beruhen auf einer technischen Grundidee, die 1981 erstmals vom japanischen Wissenschafter Hideo Kodama beschrieben wurde: Wenn bestimmte chemische Verbindungen, so genannte Thermoplaste oder Epoxidharze wie etwa das Lego-Plastik ABS oder die Polymilchsäure PLA (Kilopreis: jeweils rund 30 Euro) in ihrem flüssigem Zustand gezielt von einem starken Lichtstrahl getroffen werden, so verhärten oder polymerisieren sie genau an diesem Punkt. Je breiter der Lichtstrahl, desto größer die verhärtete Fläche. Taucht man diese solide Schicht wie in einem Bad etwas nach unten, rinnt darüber wieder Flüssigkeit nach, die man mit weiteren Laser-Beams von oben abermals verhärten kann. Auf diese Weise wird das Objekt Schicht für Schicht produziert, wobei die einzelnen Schichten vorher in einem 3D-Computermodell errechnet und dann per SDL-Datei, dem Gegenstück eines PDFs, an den Drucker geschickt werden (siehe Grafik).
Dieses additive Basisprinzip wurde in den vergangenen 30 Jahren bis zu einer Genauigkeit von 100 Nanometern, also dünner als ein Haar, verfeinert. "Dank der so genannten Stereolithographie lässt sich heute, im Gegensatz zum herkömmlichen Formenbau, fast jedes dreidimensionale Gebilde in einem Stück herstellen“, sagt Stampfl. "Das ist der Goldstandard der 3D-Drucktechnologie.“
Inzwischen klappt dieses Prinzip nicht nur mit Flüssig-Kunststoffen, sondern auch mit Metall-Pulver etwa aus Edelstahl, Titanium, Aluminium, Gold oder Silber, die sich ähnlich verhalten wie liquide Materialien, für die jedoch spezielle Drucker nötig sind. In der Industrie werden mit diesem günstigen "Rapid Manufacturing“ längst nicht nur Prototypen und Werkzeuge, sondern auch Einzelkomponenten nach Maß etwa für Luxusautos, wie bei Rolls-Royce, oder - wenn jemandem, wie dem britischen Süßwarenprofi Choc Edge, danach ist - sogar Schokoladeriegel hergestellt.
Vor allem aber in der medizinischen Forschung, wo 3D-Druck-Prothesen bereits Standard sind, findet derzeit eine Revolution nach der anderen statt. Im Bereich der Zahnmedizin etwa steht die Druckherstellung kompletter Gebisse aus Keramik kurz vor der Vollendung. Erst vor wenigen Wochen wurde das TU-Team um Jürgen Stampfl gemeinsam mit dem Christian-Doppler-Labor für seine diesbezüglichen Studien mit dem Houska-Preis (70.000 Euro) ausgezeichnet. Kommendes Jahr soll diese Technik gemeinsam mit der High-End-Dental-Unternehmen Ivoclar aus Vaduz vermarktet werden.
Noch spannender sind die Fortschritte in der regenerativen Medizin, insbesondere beim Aufbau von verletztem Knochengewebe. Dabei werden äußerst stabile biokeramische 3D-Druck-Miniaturgerüste aus Kalziumphosphaten an der beschädigten Knochenstelle eingepflanzt und wirken sowohl als Stütze als auch als Nährstoff für die nachwachsenden Knochenzellen, die das Gerüst praktisch auffressen. "Solche Bioimplantate sind bei kleineren Knochendefekten Stand der Technik“, erklärt Stampfl. "Wirklich kompliziert wird es bei organischen Materialien wie Knorpel-, Haut- oder Organgewebe.“ Doch auch auf diesem Gebiet ist schon allerhand möglich: So wurde kürzlich per 3D-Drucker aus Hydrogel und Collagenzellen ein Knorpel in der Form eines menschlichen Ohrs entwickelt. Zusätzlich hat man in diese biologische Struktur winzige Nanopartikel aus Silber "gedruckt“ - quasi ein Antennenkabel, das auch Frequenzen außerhalb des menschlichen Wahrnehmungsbereiches empfangen soll.
Technologie in Verruf
Angesichts dieser drei großen Einsatzgebiete des 3D-Drucks - private Basteleien, industrielle Fertigung, wissenschaftliche Forschung - stellt sich die Frage nach der weiteren Verbreitung der Technologie. "Herkömmliche Serienproduktionen sind wegen der fehlenden Skaleneffekte so bald nicht bedroht“, fasst Wohlers zusammen: "Auch viele juristische Fragen stellen völliges Neuland dar. Etwa bei Urheber- und Patentrechten zum Beispiel für Ersatzteile, oder bei Garantien und Gewährleistungen. Trotzdem: Wo es um individuelle Einzelanfertigungen geht, wird sich der 3D-Druck durchsetzen, weil er bereits heute oft billiger und sicher schneller als Handarbeit ist.“
Allerdings: Dass sich so manch ein Freak demnächst anschicken könnte, die Wilson-Waffe noch zu übertrumpfen, bereitet nicht nur ihm Kopfzerbrechen. Der 3D-Druck-Apologet verzweifelt: "Der Typ hat eine ganze Technologie in Verruf gebracht.“ www.format.at/articles/1322/585/359284/3d-druck-und-print |