In den kommenden Tagen werden jede Menge Geschichten ausgegraben und in der Presse ausgebreitet, wie es damals war und weshalb es so gelaufen ist. Denn am 19. dieses Monats, also am nächsten Freitag, ist der 20. Jahrestag des berühmten Oktober-Crashs von 1987. Er funktionierte wie ein Wasserfall: Zuerst die Flut ein paar abschüssige Stufen hinunter immer schneller und dann zum Schluss der freie Fall. Der DOW JONES verlor 508 Punkte oder 22,6% seines Wertes, der größte Tagesverlust seiner Geschichte. Der Standard & Poor´s 500-Aktienindex sackte an diesem schwarzen Montag 20,47% ab und der DAX um 23,6%. Die Anleger kostete der Crash rund eine Billion Dollar. Der Kurssturz vom 19. Oktober 1987 übertraf auch jenen vom 28. Oktober 1929, der mit einem Verlust von 12,8% die oft zitierte große wirtschaftliche Depression der 30iger-Jahre einleitete.
Kurzer Rückblick: Die fünf Jahre vor dem 1987er-Crash waren für Aktien mit im Schnitt 200% Plus sehr ertragreich gewesen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) hatte mit rund 20 den oberen Rand erreicht. Im Jahr 1982 hatte es nur 10 betragen. Zum Vergleich: Heute haben wir beim S&P ein KGV von 16 bis 18. Außerdem kletterten damals die Zinsen weltweit. Das US-Außenhandelsdefizit stieg immer höher, während der Dollar bedenklich schwächelte. Inflationsängste machten die Runde. Und: In der Woche vor dem Crash strich das US-Repräsentantenhaus Steuervergünstigungen für Finanzierungen von Fusionen. Das bekam den Kursen vieler Übernahme-Kandidaten gar nicht. Der S&P-500-Index schloss jene kritische Vorwoche vor dem Fall schon 9% tiefer ab, einer der größten Wochenverluste überhaupt.
Der Druck nahm zu: Am Montag, den 19. Oktober 1987, sprach die US-Wertpapieraufsicht SEC vor Eröffnung von einer eventuellen Börsenschließung und goss damit Öl ins Feuer. Als die Börse aufmachte, brachen die Handelssysteme zusammen. Sie konnten das enorme Ordervolumen nicht bewältigen. Die Telefonleitungen waren überlastet. Kein Mensch wusste, welche Order ausgeführt war und welche nicht. Am 20. Oktober um 8 Uhr 41 morgens signalisierte die US-Notenbank, Liquidität zur Stabilisierung des Systems bereitzustellen. Nach der Erklärung wurden die Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt gesenkt. Und in den folgenden Wochen wurde mittels Offenmarktgeschäften wiederholt Geld in den Markt gepumpt. Die Börse hatte den 20.Oktober schwach begonnen, schloss aber im Plus. Soweit die Kurzfassung des Oktober-Crash 1987.
Wie konnte es dazu kommen und vor allem, besteht die Gefahr eines neuen Crashs? Manches von damals erinnert an die jüngste US-Hypothekenkrise mit den Notenbanken als Feuerwehr und als letzte Instanz vor dem Kollaps. Wie gesagt war das Umfeld vor 20 Jahren ungünstiger geworden. Der sogenannte Brady-Report der US-Regierung zur Aufarbeitung der Krise erklärte: Die unzureichende Kapazität der technischen Handelssysteme trug wesentlich zur Beschleunigung des Absturzes bei. Dazu kam die mangelnde Koordination zwischen den Future- und den Aktienmärkten, die längst behoben ist. Und vor allem das Programm-Trading, das damals groß in Mode gekommen war, soll Schuld gewesen sein. Diese Strategien laufen darauf hinaus, beim Erreichen von bestimmten Linien und Zonen vorwiegend charttechnischer Natur, Signale zum Kaufen oder Verkaufen zu geben. Heute gibt es jede Menge Handels-Software, die nach diesem Prinzip in verfeinerter Form und ergänzt um andere Indikatoren funktioniert.
Damals führten nun die andauernden Verkaufssignale zu einer Abwärtsspirale, die nicht mehr aufhörte. Doch es gab noch andere Ursachen. Wesentlich zur Krise beigetragen haben die sogenannten Margin-Calls, also die Sicherheitsleistungen auf US-Börsengeschäfte. Bei sinkenden Kursen wurden neue Einschuss-Zahlungen fällig, zehn Mal mehr als üblich. Durch die Verzögerung bei den Gutschriften wussten viele Investoren aber nicht, wie ihre Nettoposition aussah. Die US-Börsen schlossen an drei Tagen jeweils zwei Stunden früher, nur damit das enorme Volumen abgerechnet werden konnte. Kurzum: Eine Unmenge von Positionen wurde zwangsliquidiert, weil sie keine ausreichende Deckung hatten, was den Verkaufsdruck enorm verschärfte. Als Folge der Krise von 1987 wurden die der Handels-Kapazitäten überall erheblich ausgebaut. Daneben wurde sogenannte „circuit breaker“ eingeführt. Wenn die Märkte während einer Sitzung um 10% fallen, wird eine Pause angeordnet, um Gelegenheit zur Milderung zu schaffen und Überreaktionen zu vermeiden. Handels-Stopps sind jedoch umstritten: Das Wissen darum kann den Abwärtstrend beschleunigen, wenn alle noch verkaufen wollen, bevor sie nicht mehr dürfen. Könnte sich der 1987iger-Crash heute wiederholen? In dieser Form nicht, aber im Prinzip schon. Es wäre nur der Ablauf anders.
Im heutigen Zeitalter, in dem die Börsen untereinander um Bruchteile von Sekunden bei der Ausführung von Kundenorders konkurrieren, ist das Desaster von 1987 theoretisch unmöglich. Das Design der Börsensysteme wurde so verbessert, dass einheitliche Regeln und Handelsmechanismen für die Termin- und Kassamärkte gelten. Außerdem haben wir heute das schnelle Internet und die Verbindung via E-Mail, dazu eine schnelle Datenverarbeitung. In der Praxis allerdings kam es bei den diesjährigen Baisse-Attacken zu teils erheblichen Verzögerungen bei der Kursstellung und bei der Orderausführung. Werden diese Mängel bei einigen Banken im Ernstfall erneut die Schwachstelle und ein Ärgernis ersten Ranges für die Kundschaft sein?
Daneben tauchen in New York, Tokio und auch in Frankfurt und London öfters einmal Computer bedingte Fehler bei der fortlaufenden Index-Notierung auf. Seltsame Pannen im System aber könnten eine negative Kettenreaktion auslösen, sagen die Experten. Am 27. Februar dieses Jahres fiel der DOW um 230 Punkte wegen eines Fehlers in der Berechnung. Am 26 Juli wurde der DOW zwischen 14 Uhr 55 und 15 Uhr 08 gar nicht ermittelt, wegen Überlastung. Wenn dergleichen während einer richtigen Krise passiert, dann Gute Nacht, sagen die Fachleute. Der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank sowie andere Institutionen und neuerdings sogar die Politik fürchten besonders die überbordende Spekulation: Schieflagen bei den unendlich vielen Derivaten wie Optionen, Optionsscheinen, Zertifikaten, Futures und undurchsichtigen Spezialkonstruktionen könnten die Märkte heftig und plötzlich erschüttern. Vor wenigen Wochen waren es die weitgehend unbekannten Kreditderivate im Zuge der US-Immobilienkrise, die die Notenbanken dazu zwangen, ihre Geldschleusen zur Verhinderung größerer Schäden möglichst schnell und weit zu öffnen. Inzwischen ist die Krise abgeklungen und an den Börsen haben die Bullen wieder das Ruder übernommen. Doch machen wir es uns nicht zu bequem.
Der schwarze Montag von damals hat gezeigt, wie schnell die Stimmung kippen kann. Das gilt für die heutige Zeit noch viel stärker als früher. Dieses Jahr hatten wir bereits mehrmals Börsen mit abrupten Trendwechseln, wegen der Rezessionsängste in den USA, trotz insgesamt guter Weltkonjunktur. Finanzkrisen wird es immer wieder geben, aus welchen Gründen auch immer, das scheint in der menschlichen Natur zu liegen. Die geläufigsten Gründe sind: Gier und Angst oder auch irrationaler Überschwang und unerwarteter Pessimismus. In den fünf Handelstagen zwischen dem 13. und 19. Oktober 1987 hatte der DOW ein Drittel seines Wertes verloren, von rund 2.600 auf 1.770 Punkte. Der NASDAQ Composite-Index fiel von 460 auf 290 Zähler. Der DAX schloss den September im Jahr 1987 bei 1.547 und den Oktober mit 1.183 Punkten ab. Zum Jahresende war er bei 1.000 Punkten.
Doch: Es dauerte nur zwei Jahre, bis die Kurse wieder den Stand von vor dem Crash erreicht hatten. Wichtig hierbei: Die Konjunktur machte 1987 nicht schlapp und die Gewinne der Unternehmen gingen kaum zurück. Auf das gleiche Muster hoffen die Ökonomen auch gegenwärtig, mit gutem Grund. Doch: Wir haben zwar keinen Crash diesen Oktober, doch die Kurse sind anfällig für Baisse-Attacken. Rückblickend war der Oktober-Crash 1987 nur eine Episode. Der DOW notiert derzeit über 14.000 Punkten, der NASDAQ bei 2.806 und der DAX bei 8.040 Zählern.
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Gruß Pichel
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