Beiruts sogenannte Armee
Von Matthias Gebauer, Beirut
In allen Planspielen für die Zeit nach dem Krieg hat die libanesische Armee eine wichtige Funktion. Sie soll mithelfen, die Grenze zu Israel zu sichern. Doch die schlecht ausgebildete, innerlich zerrissene Truppe wird weder von Israel noch von der Hisbollah ernstgenommen.
Beirut - Als am Mittwochnachmittag die erste von sieben israelischen Bomben im Süden Beiruts mit einem dumpfen Knall detoniert, sind es die Soldaten der libanesischen Armee, die als erstes die Flucht ergreifen. Lässig hatten sie zuvor am provisorischen Friedhof herumgelungert, als dort 41 Opfer eines Bombenangriffs beerdigt werden sollten. Nun rasen die sechs Uniformierten vor allen anderen Autos mit ihren beiden Jeeps die Straße herauf, hupen laut. Schnell wollen sie zurück, in den Norden der libanesischen Hauptstadt.
REUTERS Libanesischer Soldat: Die Truppe bleibt in ihren wenigen Camps Während die Soldaten vermutlich schon im Stadtzentrum sind - und damit sicher vor israelischen Bomben, organisieren die Hisbollah-Funktionäre vor Ort die geregelte Abreise der Trauergäste. Es sind allesamt junge Männer in Zivil mit Jeans und T-Shirt, nur die von den Funkgeräten und Pistolen ausgebeulte Hüftgegend verrät sie als Anhänger von Scheich Hassan Nasrallah. Sie geben sich demonstrativ furchtlos. "Bleiben sie doch hier", schreit mir einer während der nächsten Detonationen ins Ohr, "Allah wird uns schon beschützen, wir sind auf einer Beerdigung."
Fragt man junge Hisbollah-Kämpfer vor Ort nach den Soldaten der libanesischen Armee, entwickeln sie plötzlich Talent für Ironie. "Naja", sagt Hassan, "sie machen ihren Job und wir unseren." Und was ist dieser Job? "Sie müssen sich das so vorstellen", sagt der junge Mann und grinst breit, "das Militär ist hier so etwas wie die Polizei, während wir unser Land vor Israel verteidigen." Dann kommt einer seiner Vorgesetzten, zieht ihn zurück. Statements zur Presse machen nur die Sprecher, entschuldigt er sich. In der Hand hat er eine Handynummer.
Nasrallahs Reaktion nährt die Zweifel
Die libanesische Armee, für die die Hisbollah-Männer nur Spott übrig haben, ist dieser Tage überall ein Gesprächthema. Seit die Regierung in Beirut vollmundig vorschlug, dass ihre eigene Truppe eine Pufferzone zwischen der Hisbollah und Israel sichern solle, gab es von allen Seiten viel Zuspruch für diese Idee. Israels Regierungschef Olmert fand den Vorstoß "interessant", seine Außenministerin war "glücklich", selbst Hisbollah-Chef Nasrallah zeigte sich offen. Es schien, als ob eine Einigung nah sei.
Gerade die Äußerungen Nasrallahs aber nährten Zweifel an der scheinbar genialen Idee. Westliche Diplomaten analysierten schnell die Motive des Milizen-Chefs. "Nasrallah weiß, dass die Armee gegen seine Milizen sehr schwach dasteht, teilweise vielleicht sogar von seinen Kämpfern unterwandert ist", so ein europäischer Gesandter, "von daher wäre er mit einer Entsendung sicherlich glücklich." In der Realität aber sei ein Einsatz ohne internationale Unterstützung absolut undenkbar.
Seit Beginn des Krieges kam die libanesische Armee nur dann in die Schlagzeilen, wenn ihre Truppen ungewollt zwischen die Fronten gerieten. Trotz großspuriger Ankündigungen aus Beirut, man werde eine Invasion Israels im Süden nicht zulassen, wurden die Soldaten dort bisher nicht aktiv. Widerstand erfährt Israel einzig durch die Hisbollah, die Truppe bleibt in ihren wenigen Camps. Auch die Militär-Homepage kann nach vier Wochen Krieg nur vermelden, dass fast jeden Tag Soldaten bei feindlichen Luftangriffen auf Basen der Armee im Süden umkommen.
Die Aufgabe im Süden ist für keine Truppe, ob lokal oder international, einfach. Sechs Jahre lang grub sich die Hisbollah in dem bergigen Gebiet im wahrsten Sinne des Wortes ein. Bunkersysteme, Waffenlager, getarnte kleine Stellungen - all das gilt es zu finden und zu zerstören. Selbst wenn die Hisbollah einem Rückzug aus dem Süden am Ende zustimmt, was einige Beobachter nach der letzten Nasrallah-Ansprache zumindest wieder hoffen, wird dies eine lange und schwierige Aufgabe.
Gehen die Nasrallah-Kämpfer nicht freiwillig, kommt auf die Schutztruppe das zu, was die Israelis gerade erleben - ein Guerilla-Krieg. Doch dafür ist die libanesische Armee kaum ausgerüstet. Beobachter beziffern die Truppen-Stärke auf 72.000 Soldaten, israelische Quellen sprechen von 61.000 Soldaten. In Beirut war seit mehreren Tagen gar keine Zahl zu erfahren. Immer wieder betonten Offizielle beim Ministerium lediglich, die 15.000 Mann für die Schutztruppe seien fast mobilisiert.
Die Vergangenheit als bestes Argument
Auch die Ausrüstung erscheint wenig schlagkräftig, stammt zum Teil aus den 50er und 60er Jahren. Viele der rund 300 Panzer sind schon mehr als 20 Jahre alt, auch die Artillerie hat wenig Feuerkraft. Ein kampffähiger Jet steht zurzeit nicht bereit, wie Militärs eingestehen. Die Marine ist mehr oder minder blind, seit Israels Luftwaffe das Radar ausgeschaltet hat. Zudem nutzen die wenigen Schiffe im Süden eh nur wenig. Was die Truppe militärisch überhaupt bewirken kann, ist fraglich.
Israel hat bereits klar gemacht, dass es der Absicherung einer Pufferzone allein durch libanesischen Truppen nicht zustimmen werde. Das beste Argument der Regierung Olmert ist dabei die Erfahrung aus der jüngsten Vergangenheit: Trotz einer seit 2004 gültigen Uno-Resolution, laut der Libanons Armee den Süden kontrollieren sollte, baute die Hisbollah seit dem israelischen Abzug ihre Vormacht weiter aus. Von einer Einschränkung oder Entwaffnung der Hisbollah-Kämpfer durch libanesische Sicherheitskräfte kann keine Rede sein.
Kommt hinzu, dass Israel die libanesische Armee selbst als Risiko empfindet. Dass die Truppe von amerikanischen und französischen Offizieren trainiert wurde, ändert nichts daran, dass sie einen Querschnitt der libanesischen Gesellschaft darstellt: Rund 50 Prozent der Uniformierten sind Schiiten, viele von ihnen sind möglicherweise im Herzen und auch beim Urnengang Hisbollah-Anhänger. Dass solch eine Truppe gegen die Kämpfer von Scheich Nasrallah hart durchgreift, ist wenig wahrscheinlich.
Internationale Diplomaten sind sich einig: Allein ist die libanesische Armee nicht für die Aufgabe gerüstet. Folglich werden die Verhandlungen über eine internationale Schutztruppe weitergehen. Da eine solche von der Hisbollah nur nach langen Verhandlungen akzeptiert werden würde, sind eine Lösung des Konflikts und damit ein Ende der Gewalt noch in weiter Ferne.
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