besser kann man es wohl nicht ausdrücken...
KLASSE BEITRAG CHARTEX
Vom Sinn und Unsinn einer ausschliesslich charttechnischen Ansichtsweise
Bereits aufgrund der Wahl meines Nick stehe ich wohl nicht im Verdacht ein Gegner der Chartanalyse zu sein. Ich bemühe mich jedoch, die Welt nicht nur durch den schmalen Spalt von 2 Scheuklappen links und rechts von meinen Augen zu sehen, sondern alle sinnvollen Informationen in meine Entscheidungen einfliesen zu lassen.
(Da ich kein komplettes Buch schreiben möchte, habe ich die nachfolgenden Kapitel bewusst etwas vereinfacht dargestellt)
Was ist Charttechnik bzw. Chartanalyse? Wer sich über längere Zeit mit den netten Bildern befasst, die als "Chart" die Kursverläufe von Aktien graphisch darstellen, der wird bemerken, dass gewisse Grundmuster sich von Zeit zu Zeit bei verschiedenen Charts wiederholen. Die Charttechnik versucht, in einem Gesamt-Chart gewisse Teilbilder zu erkennen, z.B. eine bestimmte Aufeinanderfolge von charakteristisch geformten Kerzen bei einem Candlestick-Chart. Wenn beim Auftreten so eines Grundmusters in der Vergangenheit dann anschliesend oftmals ein bestimmtes Verhalten der Marktteilnehmer zu beobachten war, dann hat man daraus den Schluß gezogen, dass bei dem Auftreten des gleichen Grundmusters im aktuellen Chart mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch wieder die gleiche Reaktion der Marktteilnehmer erfolgen wird, wie im historischen Chart. Es werden Indikatoren berechnet und eruiert, bei welchem Zahlenwert der Indikatoren früher die Marktteilnehmer begonnen haben, auf die veränderte Lage zu reagieren. Und so wie das in der Vergangenheit bei anderen Aktien gelaufen ist, vermutet man, wird es aktuell bei dieser speziellen Aktie auch wieder ablaufen.
Die Charttechnik ist also keine exakte Wissenschaft in dem Sinn, dass aus den Zahlen der Vergangenheit sich die Zahlen der Zukunft berechnen lassen. Sie ist vielmehr der Versuch aus dem Verhalten der Marktteilnehmer in der Vergangenheit, deren Verhalten in der Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu prophezeien. Die Charttechnik bringt einerseits erstaunlich zutreffende Ergebnisse in dieser Vorhersage, kann andererseits jedoch niemals eine Sicherheit liefern, dass die Marktteilnehmer sich tatsächlich entsprechend dieser Vorhersage verhalten werden.
Gäbe es nämlich diese Sicherheit der Vorhersage, dann könnte sich eine Aktie z.B. niemals aus einem kräftigen Abwärtstrend befreien. Der Aktienkurs müsste Absinken bis zum Wert Null. Warum dies so ist? In einem kräftigen Abwärtstrend stehen irgendwann alle Indikatoren auf VERKAUFEN. Wenn alle Marktteilnehmer sich nach der Vorhersage der Chartanalyse richten würden, dann würde jeder verkaufen wollen, es gäbe aber niemanden mehr, der noch kaufen würde. Die Realität zeigt jedoch, dass sich immer Käufer finden, wenn der Preis nur in einem interessanten Bereich liegt. Wonach orientieren sich diese Käufer? Sie orientieren sich nicht an der Charttechnik sondern an den fundamentalen Daten der Aktie. Nur durch die Käufe dieser Marktteilnehmer kann es überhaupt zu einer Verbesserung der charttechnischen Aussagen kommen, kann der Chart drehen von VERKAUFEN auf KAUFEN. Und genau diese Käufer, welche dann einsteigen, wenn anscheinend niemand diese Aktie mehr haben möchte, wenn der Kurs entsprechend gefallen ist, diese Käufer machen bei der anschliessenden Kurssteigerung die besten Gewinne.
Genauso im umgekehrten Fall. In einem kräftigen Aufwärtstrend müsste nach den charttechnischen Aussagen die Aktie bis in alle Unendlichkeit weitersteigen, solange sich alle Marktteilnehmer nur an der Charttechnik orientieren. Irgendwann werden jedoch die ersten Anleger beginnen zu überlegen, ist die Aktie bei den vorliegenden Fundamentaldaten diesen Preis eigentlich noch wert? Der Chart sieht ja wirklich gut aus, aber die Aktie hat bereits ein KGV von 28 erreicht. Kann ich es weiterhin riskieren, diese Aktie zu halten oder gar zu kaufen? Eine immer größere Zahl von Marktteilnehmern wird nicht mehr entsprechend der Charttechnik kaufen, der Schwung geht verloren, die charttechnische Aussage beginnt zu drehen. Auch hier wieder werden die besten Ergebnisse diejenigen erzielen, die unter Einbeziehung der Fundamentaldaten frühzeitig genug verkaufen, und nicht warten, bis durch großen Verkaufsdruck der Kursrückgang eingetreten ist, der zum Drehen der charttechnischen Beurteilung führt.
Über den Einfluß, den eine bedeutsame News auf den Kurs der Aktie ausübt, brauche ich wohl keine weiteren Ausführungen zu machen. Chartanaylse hin oder her, sobald eine wichtige News kommt, geht der Kurs in die Richtung, welche die News vorgibt.
Das Fazit aus diesen Ausführungen: Ein Marktteilnehmer, der ausschließlich auf die Chartanalyse baut, der Fundamentaldaten und zu erwartende News bei seinen Entscheidungen außen vor lässt, der verzichtet freiwillig auf ein Gesamtbild und geht mit Scheuklappen durchs Börsenleben.
Trotzdem gibt es Fälle, wo es sinnvoll ist, alleine auf die Charttechnik zu vertrauen. Welche Art von Marktteilnehmer sollte welche Informationsquellen in Betracht ziehen?
Der Daytrader handelt heute mit dieser, morgen mit jener, übermorgen mit noch einer anderen Aktie. Sein Anlagehorizont beträgt manchmal nur Minuten, meist Stunden, selten einen kompletten Tag. Oft handelt er parallel mit mehreren Aktien. Er hat überhaupt nicht die Zeit, sich mit den Fundamentaldaten einer Aktie zu befassen. Bei seinem kurzen Anlagehorizont spielen Fundamentaldaten auch keine große Rolle. Er agiert und reagiert ausschließlich aufgrund der Ergebnisse der Charttechnik. Dass trotzdem, selbst bei begnadeten Tradern 30% oder mehr der Trades im Verlust enden, mag ein Hinweis sein auf die "Sicherheit" mit der die Charttechnik Marktbewegungen vorherzusagen vermag. Immerhin, mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% aufgrund der Charttechnik im Gewinn zu landen, ist doch schon ein Wort.
Der Kurzzeittrader hat einen Anlagehorizont von wenigen Tagen bis wenigen Wochen. Eine beliebte Methode ist es, auf einen charttechnisch erkannten Ausbruch aus einer Formation zu warten und dann in die Aktie einzusteigen. Gerne werden zur Beurteilung Widerstands-, Unterstützungs- und Trendlinien herangezogen. Die Charttechnik ist das wichtigste Instrument des Kurzzeittraders. Die Erfolgswahrscheinlichkeit kann verbessert werden, wenn man zur Vorhersage des Eintretens der gewünschten Kursbewegung Fundamentaldaten und evtl. absehbare News mit einbezieht.
Der Investor hat einen Anlagehorizont von vielen Monaten oder Jahren. Seine grundsätzliche Anlageentscheidung trifft er ausschließlich aufgrund von Fundamentaldaten (der faire Wert einer unterbewerteten Aktie wird über kurz oder lang vom Markt erkannt werden und der Kurs wird sich in Richtung des fairen Wertes bewegen). Mit Hilfe der Charttechnik wird gegengeprüft, ob der Kurs sich auf dem Weg in Richtung des fairen Wertes befindet (bei einer unterbewerteten Aktie also ein Aufwärtstrend vorliegt, oder zumindest ein beginnender Turnaround). Der optimale Einstiegszeitpunkt wird dann mit Hilfe der Charttechnik gesucht.
Und die Anwendung auf Blue Pearl Mining ? (Vorneweg: Auch ich bin nicht der Ansicht, dass der Chart seit etwa 4. Januar positiv ausgesehen hätte. Aber ein Katastrophenszenario mit Kursverfall bis nahe zur Wertlosigkeit kann ich in den Chart bei aller Phantasie nicht hinein interpretieren) Seit Wochen wird versucht, weniger erfahrenen Anlegern das praktisch unvermeidliche Auftreten eines Katastrophenszenarios glaubhaft zu machen. Gearbeitet wird mit unheilverkündenden Kerzenformationen im Chart einer Nebenbörse, die für den Kursverlauf ohne wesentliche Bedeutung ist. Als dieses Täuschungsmanöver auffliegt, wird gewaltsam in den Kursverlauf der kursbestimmenden Hauptbörse eine ähnliche Formation hineininterpretiert, die dort beim besten Willen nicht vorhanden ist. Die Ergebnisse dieser zurechtgebogenen Chartanalyse werden (teilweise unterschwellig) dargestellt als wären sie von unumstößlicher Beweiskraft für die zukünftige Entwicklung des Kurses. Es werden Kursziele proklamiert, die selbst für einen reinen Explorer erstaunlich niedrig wären. Dass das Unternehmen zu den ganz großen Minengesellschaften in Kanada gehört, neben den Rohstoffen im Boden auch noch ein Anlagevermögen zu Wiederbeschaffungskosten im Milliardenbereich hat, pro Kalendertag etwa 1 Mio Dollar Gewinn einfährt, das alles wird schlichtweg ignoriert, da Fundamentaldaten für die Entwicklung des Kurses angeblich keinerlei Bedeutung haben, die zukünftige Entwicklung angeblich ausschließlich aus dem Chart ablesbar sei. Und begründet wird die Seriösität und unumstößliche Beweiskraft der eigenen Analyse damit, dass man schließlich technischer Analyst von Beruf sei.
Ich kann nur den Kopf schütteln, dass jemand sich erdreistet, Langfristanlegern für ihre Investitionsentscheidungen unerbetene Ratschläge zu erteilen, und dabei schlichtweg den wichtigsten Teil der Informationen zur Beurteilung einer Aktie für eine Langfristanlage, nämlich die Fundamentaldaten und die Zukunftsaussichten, vollkommen ignoriert.
Für Daytrader und evtl. Kurzzeittrader wären diese ausschließlich charttechnischen Anschauungen vielleicht interessant. Aber die haben sich sowieso längst aus der Aktie verabschiedet. Oder sind sie schon wieder beim Einstieg? Die heutige Kurserholung wäre jedenfalls eine prächtige Chance auf Gewinne gewesen.
chartex (mit der ehrfürchtigen Verneigung eines Hobby-Charttechnikers vor einem beruflich tätigen Technischen Analysten - wie wird die Arbeitszeit für all diese Forenpostings eigentlich bezahlt? Ich überlege, doch wieder ins Berufsleben zurückzukehren, aber natürlich nur bei ausreichender Entlohnung) |