
Moderation Fritz Frey: Handwerk hat goldenen Boden. Das war früher. Heute hat der deutsche Handwerker vor allem eines: Konkurrenz aus dem Osten. Kein Grund jetzt in Mitleid zu zerfließen, Konkurrenz belebt ja bekanntlich das Geschäft. Aber es sollte schon mit rechten Dingen zugehen. Tut es aber nicht. Scheinselbständigkeit heißt das Schlüsselwort. Beate Klein und Gottlob Schober zeigen, wie mit krimineller Energie bestehende Gesetze unterwandert werden und wie schwer es dem Staat fällt, dies zu unterbinden. Die Leidtragenden – zuallererst – das Handwerk mit dem einstmals goldenen Boden. Bericht: Schwere Zeiten für Boris Ried und seine 20 Angestellten. Die alteingesessene Frankfurter Fliesenlegerfirma kämpft ums Überleben. Und das obwohl die Angestellten mittlerweile sogar unter Tarif bezahlt werden. Trotzdem macht das Unternehmen Verluste. O-Ton, Boris Ried, Fa. Ried & Sohn: 
»In den letzten anderthalb, zwei Jahren sind wir noch mal drastisch mit den Löhnen und mit den Gehältern runtergegangen.« Gerade noch elf Euro Stundenlohn kann Ried seinen Fliesenlegern zahlen, trotzdem ist er oft nicht konkurrenzfähig, denn es geht noch billiger. 1. Mai 2004. Die EU-Osterweiterung. Deutsche und Polen feiern gemeinsam. Seitdem aber strömen Tausende polnische Billighandwerker auf den deutschen Arbeitsmarkt - wie hier in Frankfurt. Eigentlich dürfen sie während einer Übergangsfrist nicht in Deutschland arbeiten, aber in den EU-Verträgen wurde eine Ausnahme vereinbart, mit dramatischen Folgen, wie sich heute herausstellt. Um was geht es? Jeder Osteuropäer kann sich in Deutschland selbständig machen, etwa als Fliesenleger. Er muss sich einfach nur bei der Handwerkskammer eintragen. Und der Trend zur Selbständigkeit boomt. Wir sind in der Handwerkskammer Rhein-Main in Frankfurt. Seit letztem Sommer haben sich Hunderte Arbeitswillige als selbständige Fliesenleger eintragen lassen. Die meisten davon stammen aus Polen. Martin Schulz bearbeitet allein heute 22 Anträge von polnischen Bauarbeitern. Doch arbeiten die Neuunternehmer alle legal in Deutschland? Eines ist schon bei der Anmeldung verdächtig. O-Ton, Martin Schulz, Handwerkskammer Rhein-Main: 
»Das ist kein Einzelfall, dass unter einer Anschrift mehrere Gewerbetreibende eine Gewerbeanmeldung vornehmen, auch für die gleichen Bereiche immer.« Ein Blick in die Datenbank der Handwerkskammer erhärtet den Verdacht. Mehr als ein Dutzend polnische Fliesenleger sind z.B. in der Frankfurter Niddastraße 45 gemeldet. Wir fahren dort hin, finden aber keine Werkstatt, kein Büro. Auch bei anderen Adressen gibt es keine erkennbaren Firmensitze. Sogar telefonisch sind die als selbständig gemeldeten Fliesenleger meist nicht erreichbar. Merkwürdig. O-Ton, Gerd Ulrich Müller, Handwerkskammer Rhein-Main: 
»Das sind Indizien, die sehr wohl dafür sprechen können, dass in der Tat eine ernsthafte Absicht, sich selbständig zu betätigen, nicht besteht.« Frage: Also Sie meinen Scheinselbständigkeit? O-Ton, Gerd Ulrich Müller, Handwerkskammer Rhein-Main: »Eine Scheinselbständigkeit liegt immer dann vor, wenn jemand, der sich als Selbständiger ausgibt, in Wirklichkeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht, also er unterliegt der Weisung seines Auftraggebers.« Und genau das ist verboten. Die Gewerkschaft ist alarmiert. Harald Kreuzberger von der IG Bau hat auf vielen Baustellen den Verdacht, dass scheinselbständige Polen dort arbeiten. Heute hat er einen Tipp bekommen. Er trifft zwei Polen. Angeblich sprechen sie kein Deutsch. Die Arbeiter fühlen sich sicher, denn Scheinselbständigkeit ist nur schwer nachzuweisen. Sie wissen, den Gewerkschafter müssen sie keine Auskunft geben. Hier kommt Harald Kreuzberger nicht weiter. Wir recherchieren, suchen Hinweise, ob diese Handwerker scheinselbständig sind. Wir erfahren, dass die polnischen Arbeiter einen Verbindungsmann haben. Im Frankfurter Norden treffen wir diesen Subunternehmer. Seine Aussagen verstärken unseren Verdacht. O-Ton: »Die sind selbständig.« Frage: Die sind, wie gesagt, alle Selbständige, und Sie beschäftigen diese Selbständigen, wenn Sie Arbeit und Aufträge für diese Selbständigen haben? O-Ton: »Genau. So sieht das aus, ja. Und das ist auch für mich gut. Wenn ich keine Arbeit habe, muss ich die Leute nicht bezahlen.« Sollten sie tatsächlich nur für ihn arbeiten, dann wäre das Scheinselbständigkeit, also illegal und ein Fall für den Staatsanwalt. Wir gehen zur Frankfurter Staatsanwaltschaft. Dort erfahren wir, dass die Aufklärung von Scheinselbständigkeit einem Lotteriespiel gleicht. Durch Zufall konnten die Ermittler vor kurzem einen Fall aufdecken: Es ging um 35 Putzfrauen aus Litauen. Sie mussten für einen Hungerlohn 15 Stunden täglich arbeiten, im Auftrag nur eines Arbeitgebers, obwohl sie als Selbständige angemeldet waren. O-Ton, Thomas Bechtel, Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main: 
»Das Interessante an der Sache ist, dass tatsächlich dann diese Anmeldungen von etwa 35 Frauen an nur zwei Kalendertagen erfolgt sind, und dass insbesondere zahlreiche Frauen, eigentlich fast alle, den gleichen Wohnsitz bzw. die gleiche Geschäftsadresse angegeben haben.« Eine Adresse, viele Selbständige – wie bei den polnischen Fliesenlegern. Immer dieselbe Masche. Wir halten fest: Offenbar nutzen viele Osteuropäer das Schlupfloch der Selbständigkeit, um hier illegal zu arbeiten. Das nachzuweisen, ist jedoch für die Behörden extrem schwierig, Kontrollen sind aufwendig. Auch deshalb steht Handwerkern wie Boris Ried das Wasser bis zum Hals. Er kann nicht so billig arbeiten wie die polnische Konkurrenz. Jetzt rechnet er mit dem Schlimmsten. O-Ton, Boris Ried, Fa. Ried & Sohn: »Bevor wir Leute entlassen würden, würden wir den gesamten Betrieb schließen. Das hat irgendwann keinen Sinn mehr, und man muss das dann auch einsehen. Mann muss diesen Schlussstrich dann ziehen. |