Finanzkrise Die Welt hört nie auf die Untergangspropheten
Von Patrick Bernau
01. November 2008 Es ist ja nicht so, dass keiner gewarnt hätte vor der Finanzkrise. Nouriel Roubini zum Beispiel. Der Ökonom von der New York University zog schon 2006 durchs Land und warnte vor den Folgen der Verschuldung der Amerikaner. Bei einem Vortrag vor dem Internationalen Währungsfonds zum Beispiel versuchte er, seinem Publikum die Laune zu verderben: Die Immobilienblase werde bald platzen und die Wirtschaft in eine tiefe Rezession stürzen. Wie war die Reaktion? „Jetzt brauchen wir einen starken Drink“, sagte der Moderator, und durch das Publikum zog Gelächter.
Dabei war Roubini schon damals nicht irgendein Ökonom von einer unbekannten Universität. Er hatte nicht nur in Harvard promoviert, sondern auch die Grundsatzabteilung im amerikanischen Finanzministerium geleitet und das Weiße Haus beraten. Und er hatte prominente Unterstützer, unter anderen seinen Kollegen Robert Shiller. Der hatte schon punktgenau vorhergesagt, wann die New-Economy-Blase platzen sollte. Ihm machte die Entwicklung der Immobilienpreise in Amerika so große Sorgen, dass er einen Index für Immobilienpreise entwickelte, um die Blase auf jenen Märkten messbar zu machen. Prompt erwiesen sich die amerikanischen Häuser als Auslöser der Finanzkrise. Die wiederum hat in den vergangenen Wochen einmal mehr Roubinis Prophezeiungen bestätigt. Zuletzt seine düstere Prognose von Februar: Das Finanzsystem werde kollabieren, schrieb er da – tatsächlich ist viel davon eingetroffen: Banken sind pleitegegangen, Hedge-Fonds liegen schief, die Aktienkurse schmierten ab.
Vogelgrippe, Ölpreisschock, Inflation
Warum aber hat niemand auf Roubini und Shiller gehört? Nobelpreisträger Gary Becker gibt eine Antwort, die so einfach wie einleuchtend ist: Die Menschen hatten andere Sorgen. 2004 hatte die Welt Angst vor der Vogelgrippe, bald darauf kamen der Ölpreisschock und die horrende Inflation – alles waren Dinge, die den Ökonomen Sorgen machten. Doch laute Warnungen gab es auch, wohin man auch horchte. Einige mahnten, die chinesische Währung sei zu schwach, das könne die Weltwirtschaft ins Wanken bringen. Auf so viele unterschiedliche Risiken konnte keiner achten, und so drangen Roubinis Rufe nicht durch den vielstimmigen Chor hindurch. Nun hatte eine Finanzkrise in dieser Form auch wenig Chancen, in der Sorgen-Rangliste der Menschen nach vorne zu kommen. Das können Psychologen gut erklären, wenn sie fragen: Wer hätte sie erkennen sollen?
Die meisten Menschen waren für diese Krise nämlich ziemlich schlecht gerüstet. Denn Angst bekommen die Menschen vor dem, was sie sich vorstellen können, erzählt die Psychologin Katharina Sachse von der Technischen Universität Berlin. Die Vogelgrippe zum Beispiel macht den Menschen leicht Angst, schließlich zeigt das Fernsehen Menschen in Plastik-Overalls und tote Vögel. Die Finanzkrise dagegen lässt sich bis heute kaum sehen. Und was sie für Auswirkungen haben sollte, konnte sich sowieso kaum jemand vorstellen: Banken, die der Reihe nach umfallen wie Dominosteine? Das gab es zum letzten Mal in der Weltwirtschaftskrise von 1929.
Jetzt prophezeit Roubini eine Deflation
Solche Probleme lassen sich auch mit Regulierung nur schwer lösen. Pessimisten fürchten: Trotz aller guten Versuche ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass in einigen Jahren wieder eine Krise entsteht – in einem Bereich, den jetzt keiner reguliert. Passieren wird dann vermutlich wieder etwas, das sich heute kaum jemand vorstellen kann. Nicht mal auf die Propheten von heute ist dann Verlass. Das zeigt der frühere amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan: Der war gut, als er die Blase der New Economy vorhersagte, die Hypothekenkrise aber hatte er nicht kommen sehen. So kann es auch Roubini oder Shiller beim nächsten Mal ergehen. Auch Roubini hat schon seine erste unbestätigte Prognose: Die Börsen müssten bald vor lauter Panik für mehrere Tage schließen, warnte er vor zehn Tagen.
Nun prophezeit Roubini, dass die Finanzkrise in den kommenden Monaten die Wirtschaft in eine „Deflation“ stürzt: Weil die Menschen so wenig einkaufen, sinken die Preise – die Inflationsrate wird negativ. Für Leute und Firmen, die Schulden haben, wäre das eine Katastrophe. Wir sind geneigt, ihm jetzt zu glauben. Aber ob es so kommt, wissen wir nicht. Und so stehen die Menschen möglicherweise bald wieder vor vielen düsteren Aussichten und wissen nicht, welche die wichtige ist.
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