UPDATE: GM freundet sich mit dem Gedanken an Insolvenz an
DETROIT (Dow Jones)--Ist es Taktik oder hat sich in der Detroiter Konzernzentrale von General Motors tatsächlich ein Sinneswandel vollzogen? Zunehmend nehmen Manager des einstmals mächtigsten Autoherstellers der Welt das Wort Insolvenz in den Mund. Dem "Wall Street Journal" (WSJ) sagte eine dem Konzern nahestehende Person dieser Tage, führende GM-Manager freundeten sich immer mehr mit dem Gedanken einer sogenannten "geordneten" Insolvenz an.
Schreckte die Führungsriege von GM noch im Dezember vor dem Gedanken an ein Gläubigerschutzverfahren zurück, so hat dieser Weg in den vergangenen Tagen an Wahrscheinlichkeit gewonnen. Noch im November bei der Anhörung zu einem milliardenschweren Rettungspaket im Kongress hatte GM-CEO Rick Wagoner erklärt, GM sei der Meinung, ein Antrag auf Gläubigerschutz sei keine Alternative für den Automobilkonzern.
Einen Ausweg sieht man in Detroit jetzt offenbar in einer sogenannten "geordneten" Insolvenz. Eine solches Verfahren läuft zwar auch unter dem bekannten "Chapter 11" des US-Insolvenzrechtes ab, im Unterschied zu einem normalen Gläubigerschutzverfahren wird bei einem "geordneten" Verfahren aber bereits vor dem Insolvenzantrag selbst eine Einigung mit den Gläubigern erzielt. Dadurch beschleunigt sich das Verfahren enorm und das Stigma der Zahlungsunfähigkeit haftet den Wagen aus Detroit für eine deutlich kürzere Zeit an.
General Motors hat jedoch derart weitreichende Probleme, dass ein Sanierungserfolg ungewiss ist. Schon wegen seiner enormen Größe ist der in Detroit ansässige Konzern von dem seit Monaten anhaltenden Absatzeinbruch besonders stark betroffen. Dazu kommen Altlasten wie der nach wie vor verlustträchtige Zulieferer Delphi, eine abgespaltene Tochter, die seit Oktober 2005 unter Gläubigerschutz operiert und die GM-Bilanz nach wie vor mit Milliardenbeträgen belastet.
Auch die Finanztochter GMAC, die 2006 zur Hälfte an Finanzinvestoren verkauft wurde, hat 2008 mit Abschreibungen von 8 Mrd USD in der GM-Bilanz durchgeschlagen. Die frühere Cash-Kuh von GM ist längst zum Klotz am Bein geworden. Zuletzt drückte die Kapitalklemme bei GMAC sogar den Absatz der früheren Konzernmutter.
Insgesamt wies General Motors für 2008 einen Nettoverlust von 30,9 Mrd USD aus. Vor allem die Liquiditätslage wirkt bedrohlich. Momentan verbrennt GM jeden Monat rund 2 Mrd USD an Barmitteln. Anfang des Jahres betrug die Liquidität noch 14 Mrd USD - und dies auch nur dank eines staatlichen Überbrückungskredits.
Wie schlimm es um GM steht, ist in der jährlichen Pflichtmitteilung des Unternehmens an die US-Börsenaufsicht SEC ablesbar, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Mag er auch von der Pflicht zur vollständigen Auflistung aller Risiken getrieben sein, sprechen diese nichtsdestoweniger eine deutliche Sprache.
Laut des 10K-Berichtes hätten die Buchprüfer von Deloitte & Touche nämlich erhebliche Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Konzerns geäußert, schreibt GM und führt auch die Gründe an, die das Testat so pessimistisch ausfallen ließen: Die anhaltenden operativen Verluste, der negative Buchwert und die Unfähigkeit, dauerhaften Geldzufluss zu gewährleisten, um die Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.
General Motors selbst weist in dem Bericht darauf hin, dass eine Voraussetzung für das eigene Überleben eine erfolgreiche Umsetzung des Mitte Februar modifizierten Restrukturierungsplanes ist. Als nötig für das bloße Erreichen der Gewinnschwelle wird darin ein Jahresabsatz der gesamten Automobilbranche in den USA von 11,5 Mio bis 12 Mio Fahrzeugen unterstellt. Doch derzeit befinden sich die Jahresprognosen für den wichtigsten Kfz-Absatzmarkt der Welt im freien Fall: Noch im Dezember hatte GM einen Gesamtabsatz von 12,5 Mio bis 13 Mio Autos als profitable Marktgröße genannt.
Und ob solche Zahlen in naher Zukunft tatsächlich erreichbar sind, darf bezweifelt werden. Die Marktforscher von J.D. Power rechnen nur mit 10,4 Mio verkauften Fahrzeugen in den USA für 2009. Selbst dafür müsste sich die Situation bei den Autohändlern von New York bis San Francisco in den nächsten Monaten wieder entspannen. Denn zuletzt schrumpfte der Markt noch immer. Per Ende Februar lag der annualisierte Absatz gerade noch bei 9,1 Mio Automobilen.
Mit dem erst kürzlich vorgelegten Sanierungsplan wollte General Motors die US-Regierung von weiteren Hilfen überzeugen und damit den Gang in die Insolvenz eigentlich vermeiden. Fahrzeuge eines insolventen Autoherstellers würden die Kunden erst recht links liegen lassen, so argumentierte GM-Chef Rick Wagoner bei den ersten Anhörungen im Kongress Ende vergangenen Jahres.
Doch die anhaltende Schwäche des Automarktes und das nicht absehbare Ende der Rezession lassen GM nun offenbar intensiver die Möglichkeiten ausloten, die das Insolvenzrecht in den USA bietet.
Üblicherweise beantragen zahlungsunfähige Unternehmen Gläubigerschutz nach Buch 11 des US-Insolvenzrechts. Unter diesem Schutz haben sie die Möglichkeit, ihre Verpflichtungen mit allen Inhabern von Ansprüchen neu zu verhandeln und währenddessen das Geschäftsmodell bei laufenden Aktivitäten zu überarbeiten. Bei GM käme erleichternd hinzu, dass Franchisegesetze, die bisher einem Durchgreifen bei Struktur und Dichte des Händlernetzes im Wege standen, im Fall einer Insolvenz leichter zu umgehen wären.
Während eine Insolvenz nach "Chapter 11" sich eher Jahre hinzieht, kann ein "geordnetes" Verfahren nach wenigen Monaten abgeschlossen sein. "Wir hätten zwei Monate Chaos und Verwüstung, aber es herrscht die Ansicht, dass wir das bei Unterstützung durch die Regierung und aller Beteiligten schaffen könnten", sagte der Informant des "Wall Street Journal", der sich mit der Situation im Innern des Konzerns gut auskennt.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich GM mit den unterschiedlichen Parteien wirklich einigt. Sowohl die Arbeiter, die in der mächtigen Gewerkschaft "United Auto Workers" (UAW) organisiert sind, als auch Händler und Gläubiger werden um massive Zugeständnisse nicht herumkommen, sollten sie zum Überleben des Konzerns beitragen wollen.
Einen Vorgeschmack auf die zu bringenden Opfer hat in dieser Woche der zweitgrößte US-Hersteller Ford gegeben. Ford will den Inhabern von Anleihen des Konzerns für je 1.000 USD Anleihesumme 280 USD und Aktien anbieten, um Schulden und Zinslast zu reduzieren. Die Kreditanalysten von Standard & Poor's haben die Offerte als "erschütternd" und "gleichbedeutend mit einem Ausfall" der Kredite bewertet.
Auch GM verhandelt derzeit mit seinen Anleihegläubigern, um rund 16 Mrd USD gegen Anteile an dem restrukturierten Unternehmen zu tauschen. Eine mit den Verhandlungen vertraute Person sagte Dow Jones Newswires, dass eine geordnete Insolvenz zwar besser als ein völliger Bankrott wäre. Zugleich bezeichnete er es als "eine komplette Katastrophe, die aus Sicht von Anleihegläubigern zu allen Kosten zu vermeiden ist".
Einen weiteren Problemkreis bilden die Verpflichtungen für Krankenversicherungsbeiträge von ehemaligen Mitarbeitern - in der Summe 20 Mrd USD, wovon die Hälfte durch die Ausgabe von Aktien abgelöst werden soll. Eine Einigung hierüber steht ebenso aus und wird mit dem weiter fallenden Aktienkurs sicher nicht einfacher. Am Donnerstag schlossen GM-Papiere im New Yorker Handel bei 1,86 USD und damit 15,5% schwächer als am Vortag.
Dazu kommen die Probleme in anderen Teilen der Welt. Auch in Europa bettelt GM bei den Regierungen um Hilfen. Allein Deutschland soll Kredite von 3,3 Mrd EUR bereitstellen, um die deutsche Tochter Adam Opel GmbH zu retten. Noch ist unklar, ob sich die Große Koalition darauf einlässt - am Freitag hieß es nach einem hochrangigen Treffen im Kanzleramt, der Entscheidungsprozess werde wohl noch Wochen in Anspruch nehmen. In Schweden hat sich die Regierung schon entschieden und Staatshilfe abgelehnt. Die GM-Tochter Saab hat sich daraufhin bereits für insolvent erklärt.
Auch wenn die Regierungen beistehen und GM sich mit den Beteiligten einigt, wenn also alle Voraussetzungen für eine geordnete Insolvenz geschaffen wären: Es bleiben die Zweifel, ob sich alles wie gewünscht fügen würde.
So hat sich die Konzernführung nach Informationen des WSJ die größerengeordneten Insolvenzen der vergangenen 14 Jahre angeschaut und herausgefunden, dass das Verfahren in nur 3% aller Fälle in weniger als drei Monaten abgeschlossen werden konnten. "Das waren sehr einfache Unternehmen. Wir sind alles andere als einfach", wird die informierte Person im WSJ zitiert.
Webseite: http://www.gm.com -Von Martin Rapp, Dow Jones Newswires; +49 (0) 69 29725 104; unternehmen.de@dowjones.com G/N/mmr/rio/kgb Besuchen Sie unsere neue Webseite http://www.dowjones.de
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March 06, 2009 09:13 ET (14:13 GMT)
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