Irland muss für den EU-Dispo sparenAus Dublin berichtet Carsten Volkery Mit einem drastischen Vier-Jahres-Sparplan will die irische Regierung das Defizit wieder unter den EU-Grenzwert drücken. Die Kraftanstrengung verlangt der Bevölkerung einiges ab, doch es gibt keine Alternative: IWF und EU diktieren den Kurs. "Plan für den nationalen Aufschwung" steht auf dem Dokument, das die irische Regierung am Mittwoch vorlegte. Es gehört in der Politik dazu, schlechte Nachrichten als gute zu verkaufen. Doch wirkt die sonnige Überschrift in diesem Fall besonders fehl am Platz, handelt es sich doch um eins der drastischsten Sparpakete der irischen Geschichte. 15 Milliarden Euro will die konservativ-grüne Koalitionsregierung von Premier Brian Cowen bis 2014 einsparen - allein sechs Milliarden davon im nächsten Jahr. Die Rahmendaten waren bereits bekannt, aber am Mittwoch veröffentlichte Finanzminister Brian Lenihan erstmals die Details. Für die Iren ist es bereits die vierte Sparrunde in zwei Jahren. Bislang wurden Einschnitte von 14,6 Milliarden Euro angekündigt und teilweise umgesetzt. Nun sollen die Ausgaben bis 2014 um weitere zehn Milliarden Euro sinken, während die Steuern um fünf Milliarden Euro steigen. Kaum ein Bereich wird ausgenommen Der Vier-Jahres-Plan gilt als Bedingung für die Rettungsaktion durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die EU. Als Zeichen, wie sehr die irische Regierung bereits unter ausländischer Kontrolle steht, hatten Vertreter der beiden Organisationen den Plan vorher abgesegnet. In dem Dokument wird eingeräumt, dass der Lebensstandard der Iren "kurzfristig" sinken werde. Der "vernünftige und rationale" Plan werde Irland langfristig jedoch aus dem Abschwung führen, versprach Lenihan bei der Vorstellung. Gewerkschaften und Opposition sehen das anders. Von einer "Roadmap in die Steinzeit" sprach Gewerkschaftsboss Jack O'Connor, der vor allem die Belastungen für Geringverdiener kritisierte. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Oppositionspartei Fine Gael bemängelte, der Plan sehe nicht genug Investitionen vor. Tatsächlich ist schwer vorstellbar, wie Irland aus der immer noch anhaltenden Rezession kommen soll, wenn der Staat seine Ausgaben dermaßen zurückfährt und die Steuern erhöht. Kaum ein Bereich wird verschont. Unter anderem enthält der Plan folgende Punkte: - Die Mehrwertsteuer wird in zwei Schritten ab 2013 von 21 auf 23 Prozent erhöht.
- Die Einkommensteuerschwelle wird von 18.300 auf 15.300 Euro Jahreseinkommen abgesenkt. Bislang ausgenommene Berufsgruppen wie Künstler müssen künftig Einkommensteuer zahlen.
- Zahlreiche Steuerrabatte werden abgeschafft. Unter anderem können Gewerkschaftsbeiträge künftig nicht mehr von der abgesetzt werden, ebenso wenig wie Hypothekenzahlungen.
- Soziale Transferleistungen wie Kindergeld und Arbeitslosengeld werden um insgesamt 2,8 Milliarden Euro gekürzt.
- Der Mindestlohn wird um einen Euro auf 7,65 Euro gesenkt.
- Auch der Öffentliche Dienst muss erneut sparen: Jedes Jahr sollen 3300 Stellen abgebaut werden. Damit wird es 2014 rund 25.000 weniger Staatsdiener geben als auf dem Höhepunkt 2008. Die Einstiegsgehälter für neue Mitarbeiter sollen um zehn Prozent sinken - allein davon verspricht sich die Regierung Einsparungen von 1,2 Milliarden Euro.
Die Regierung hat teilweise gute Argumente für die Kürzungen. So sind die Gehälter im Öffentlichen Dienst zwischen 2000 und 2009 um 59 Prozent gestiegen - selbst bei scharfen Kürzungen bleibt also immer noch ein deutlicher Gehaltszuwachs. Es sei auch nur gerecht, argumentieren die Sparkommissare, dass der Mindestlohn, der zweithöchste in Europa, dem allgemeinen Lohnrückgang im privaten und öffentlichen Sektor angepasst wird. Die Senkung der Einkommensteuerschwelle verteidigt die Regierung als fair, weil im Moment nur 45 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Einkommensteuer zahlten. Das sei auf Dauer "nicht nachhaltig", heißt es in dem Dokument. Nicht verändert wird der niedrige Körperschaftsteuersatz von 12,5 Prozent - trotz des Drängens aus Deutschland und Frankreich. Er gilt der Regierung als unersetzlicher Standortvorteil, der die Ansiedlung von Großunternehmen begünstigt. Doch so gut begründet die Maßnahmen im Einzelnen sein mögen - in der Summe wirken sie wie eine gewaltige Konjunkturbremse. Keynesianer wie Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman warnen daher, dass die Binnennachfrage abgewürgt wird. Tatsächlich sind die Lebenshaltungskosten in Irland weiterhin hoch, und die Wirtschaft leidet eh schon unter Kaufzurückhaltung. Vor diesem Hintergrund wirken die von Lenihan zugrunde gelegten Annahmen zum Wirtschaftswachstum reichlich optimistisch. Sprünge von 2,75 Prozent im Jahr waren für den keltischen Tiger einst ein Leichtes. Doch für ein Land auf Sparkurs erscheinen sie wie ein Ding der Unmöglichkeit. Die irischen Steuerzahler werden 2014 im Schnitt fünf Prozent weniger Geld in der Tasche haben. Spätestens seit Sonntag kein Spielraum mehr Die irische Regierung jedoch beharrt darauf, dass es keine Alternative gebe. Nächstes Jahr müsse das Defizit unter zehn Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden, sagte Lenihan. Alle anderen Europäer seien schließlich auch im einstelligen Bereich. Das irische Defizit, in diesem Jahr noch 11,7 Prozent, soll dann 9,1 Prozent betragen. Bis 2014 soll es auf den europäischen Grenzwert von drei Prozent sinken. Zuallererst müsse man die Schuldenspirale unter Kontrolle bringen, sagte Lenihan. Das sei der einzige Weg, um Vertrauen bei Investoren zu schaffen. Sein Plan müsse auch die Basis für die Wirtschaftsdebatten im Wahlkampf nächstes Jahr sein. "Alles andere wäre Unsinn." Tatsächlich hat Lenihan spätestens seit Sonntag keinen Spielraum mehr. Seit Irland um einen "Dispo" bei der EU gebeten hat, wie Premier Cowen es ausdrückte, sind die Handlungsmöglichkeiten der Regierung eingeschränkt. Auch ein Regierungswechsel, der voraussichtlich nach der Wahl im Frühjahr erfolgt, wird daher nicht zu einer Abweichung vom Sparkurs führen. Die EU-Kommission jedenfalls beurteilte das Sparprogramm als gute Basis für die beantragte EU-Hilfe. "Der Vier-Jahres-Plan ist ein wichtiger Beitrag, um die öffentlichen Finanzen Irlands zu stabilisieren", sagte Währungskommissar Olli Rehn laut Mitteilung. Der Plan sei eine stabile Grundlage für die Verhandlungen über haushalts- und strukturpolitische Reformen, die der internationalen Finanzhilfe zugrunde liegen. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,731040,00.html |