18. Mai 2006
Politik und Wirtschaft sind nicht immer die besten Freunde. Das liegt vor allem daran, daß sie schlicht unterschiedliche Interessen haben, die sich nicht immer decken. Privatanleger sind dabei immer wieder in einer zwiespältigen Situation. Denn bisweilen sind politische Maßnahmen zu ihrem eigenen Schutz erst einmal recht unbequem.
Das könnte auch mit einem neuen Gesetz so sein, daß der amerikanische Kongreß derzeit berät. Demnach sollen die Unternehmen angesichts der Krise der amerikanischen Autobauer verpflichtet werden, Finanzierungslöcher in ihren Pensionsplänen zu stopfen.
Lücken bei Goodyear oder Eastman Kodak
Das könnte für manche Unternehmen sehr unangenehm werden, vor allem weil sie dazu liquide Mittel oder Kredite aufwenden sollen. Das Defizit, daß amerikanische Unternehmen in ihren Pensionskassen vor sich herschieben, wird derzeit auf insgesamt 500 Milliarden Dollar beziffert.
Der Reifenhersteller Goodyear hatte beispielsweise nach Berechnungen von Morgan Stanley Ende des vergangenen Jahres Pensionsverbindlichkeiten und ähnliche Verpflichtungen, die eine Finanzierungslücke von 3,8 Milliarden Dollar aufwiesen. Goodyear-Sprecherin Tricia Ingraham versicherte der Nachrichtenagentur Bloomberg, das Unternehmen habe ausreichend Barreserven, um seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Außerdem habe man Verbindlichkeiten refinanziert, um einen Liquiditätsengpaß durch die Pensionszahlungen zu vermeiden.
Eastman Kodak hat ungedeckte Verpflichtungen von 3,5 Milliarden Dollar, so schrieben die Analysten von Lehman Brothers. Indes handelt es sich dabei nicht allein um Pensions-, sondern auch um Krankenversicherungsverpflichtungen. Und laut den Analysten von Goldman Sachs sind die das wahre Problem.
Noch größere Lasten aus der Krankenversicherung
Zwar beziffern sie die Pensionsverpflichtungen mit brutto 1,2 Billionen Dollar auf etwa das Dreifache der Krankenversicherungsverpflichtungen unter den Unternehmen des S&P-500. Doch sind diese Ausgaben fast völlig ungedeckt. Die Unterdeckungslücke beträgt laut Goldman Sachs fast 350 Milliarden Dollar oder rund 80 Prozent und ist damit dreimal größer als die Lücke bei den Pensionsverpflichtungen.
Als die Fluggesellschaften Northwest Airlines, Delta und der Automobilzulieferer Delphi im Herbst Gläubigerschutz anmeldeten und die zahlungsunfähigen Fluggesellschaften erklärten, ihren Pensionsverpflichtungen nicht nachkommen zu können, fielen nicht nur die Kurse der Anleihen der betroffenen Unternehmen, sondern auch von Unternehmen wie Goodyear, bei denen die Existenz von Deckungslücken bekannt war. Mittlerweile haben sich die meisten Papiere allerdings wieder erholt.
„Der Markt will die Risiken nicht sehen“, erläutert Scott MacDonald vom Hedge Fonds Aladdin Capital Management. „Er sagt, die Risiken sind noch nicht da. Solange sie nicht näher kommen, warum sollen wir uns Sorgen machen?“
Buchwerte könnten gegen Null gehen
Genau das aber könnte mit der Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes, das die Interessen Tausender amerikanischer Wähler schützen soll, passieren. Nach einem der Entwürfe sollen Pensionen voll finanziert sein. Gegenwärtig sind dies nur 90 Prozent abgedeckt sein. Zusätzlichen Druck auf die Unternehmen gibt es vom Ausschuß für Bilanzstandards, der fordert, daß Lücken in der Pensionsfinanzierung in den Bilanzen ausgewiesen werden müssen und nicht wie bislang lediglich in den Fußnoten der Finanzberichte.
Dies könnte zur Folge haben, daß bei den 545 Unternehmen, deren Papiere in den Investmentgrade- und Junkbonds-Indizes von Lehman Brothers das Eigenkapital um 537 Milliarden Dollar schrumpfen würde, so David Heike, Chef-Kreditanalyst des Hauses für den amerikanischen Markt. 40 bis 50 Emittenten würden rund die Hälfte ihres Eigenkapitals einbüßen, bei Goodyear, Eastman Kodak, U.S. Steel und zwölf weiteren Gesellschaften würde der Buchwert gegen Null gehen.
Morgan Stanley wiederum berichtet, die Zahl der Unternehmen steige an, bei denen eine Finanzierungslücke in den Pensionsplänen klaffe. 47 Prozent der Unternehmen mit einem Investmentgrade-Rating hätten Ende 2005 bei Pensionsplänen mit festen Leistungen ein Defizit von 20 Prozent oder mehr zu verzeichnen gehabt. 2004 habe die Quote noch bei 44 Prozent gelegen.
Analyst: Britische Pensionsfonds schichten massiv zu Anleihen um
Bei Unternehmen mit einem Junk-Rating habe dieser Prozentsatz von 60 auf 64 Prozent zugenommen. „Je mehr man die einzelnen Schichten abpellt, desto schlimmer sieht es aus“, sagte Brian Arsenault, Stratege für Junkbonds bei Morgan Stanley in New York.
Die Zahlen werden „einige Anleger wachrütteln und zu einiger Volatilität an den Anleihe- und Aktienmärkten führen“, schrieb Heike seinerzeit. Denn die Folge dürfet sein, daß mehr Unternehmen gleich General Motors gezwungen sein könnten, hohe Anleihe-Volumina aufzulegen, um Lücken in der Pensionsfinanzierung zu schließen. Dafür aber müssen sie höhere Renditen bieten. Denn mit der größeren Hebelung der Bilanz wird ihr Rating sinken.
Daß die Pensionsverpflichtungen einer derjenigen Faktoren, die zu heftigen Marktbewegungen führen können, zeigt sich auch anderenorts. Dambisa Moyo, Anlayset bei Goldman Sachs, der den britischen Pensionsmarkt beobachtet. Moyo schätzt das „Duration Gap“ in britischen Pensionskassen auf 800 Milliarden Dollar, 575 Milliarden dabei auf betriebliche Altersvorsorgepläne von Unternehmen des FTSE-350-Index.
Das „Duration-Gap“ mißt den Unterschied zwischen der Duration der Aktiva und der Passiva und drückt damit letztlich die Zinsreagibilität des Eigenkapitals aus. Je größer der „Duration Gap“ ist, desto stärker wirken sich Zinsänderungen auf den Wert des Eigenkapitals aus.
Diese Lücke habe sich bei vielen Unternehmen in den vergangenen Monaten aufgrund der gut laufenden Aktienmärkte und der schwachen Rentenmärkte verringert und so rechnet Moyo mit Maßnahmen einiger Unternehmen zur Schließung des „Duration Gaps“. Dabei, so der Analyst, könnte ein Großteil der Unternehmen 95 Prozent seiner Aktienbestände verkaufen und 90 Prozent der Erlöse in festverzinsliche Anlagen investieren.
Er beziffert den möglichen Verkauf von Aktien auf einen Zeitwert von 69 Milliarden Dollar und die Nachfrage nach Rentenpapieren auf über 62 Milliarden. Allerdings sei dies für die Aktienmärkte von geringerer Relevanz, weil die Pensionsfonds weiter auf Derivate setzen würden. Den britischen Rentenmarkt können solche Umschichtungen dagegen deutlich stützen.
Die in dem Beitrag geäußerte Einschätzung gibt die Meinung des Autors und nicht die der F.A.Z.-Redaktion wieder.
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