Künstlerin Shirin Neshat "Enden wir alle im Lager?"
Die aus dem Iran stammende Künstlerin Shirin Neshat, eine der wichtigsten Vertreterinnen zeitgenössischer Kunst, hat die Nahost-Politik der USA und die "eindimensionale Perspektive" der amerikanischen Medien gegenüber der muslimischen Welt scharf kritisiert. In ihrer Wahlheimat New York fühle sie sich als Exilantin zunehmend unwohl.
DPA Künstlerin Neshat (2001 mit ihrem Kunstwerk "Wachsame Treue"): "wer schweigt, steht auf der Seite des Bösen" "Werden wir alle in einem Lager enden, so wie die Japaner? Es klingt lächerlich, aber man denkt über so etwas nach", sagte Neshat am Mittwoch in Anspielung auf die Diskriminierung der US-Japaner nach dem Angriff auf Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg. Die Stimmung gegenüber Exilanten sei in Amerika derzeit sehr "zwiespältig". Früher habe sie sich in ihrer Wahlheimat New York wie zu Hause gefühlt. "Jetzt fühle ich mich weder in meiner Heimat noch in meinem Gastland wirklich willkommen", fasste die aus dem Iran stammende Künstlerin ihre Gemütslage zusammen.
Die mehrfach preisgekrönte Teilnehmerin zahlreicher Biennalen und der Documenta hatte eindeutige politische Stellungnahmen bisher vermieden, obwohl sie sich in ihrer Arbeit insbesondere mit der Lage von Frauen in der muslimischen Welt auseinander gesetzt hat. Doch seit dem 11. September habe sie ihre Position überdacht. Sie sei "hundertprozentig gegen" die derzeitige Nahostpolitik der USA. "Man muss gegen diese Politik aufstehen und protestieren", sagte Neshat, 45, bei einem Pressegespräch anlässlich der Verleihung einer Honorarprofessur an der Berliner Universität der Künste (UdK). "Wer schweigt, steht auf der Seite des Bösen."
Ihr letzter, auf der Documenta 11 gezeigter Film "Tuba" sei zugleich ihre bisher politischste Arbeit. Man sehe eine kleine Machtriege von Männern, die sich über das Volk setze. Dies sei sowohl für die USA, als auch für Länder wie Iran zutreffend. "Ich habe jedes Vertauen in Machtstrukturen verloren. Sie sind korrupt, egal ob im Westen oder im Nahen Osten", sagte Neshat. Umso wichtiger sei, es auf die Bevölkerung zu setzen: "Jeder Einzelne kann sich mehr Kraft und Kontrolle verschaffen."
Neshat kritisierte zugleich die "eindimensionale Perspektive" der amerikanischen Medien. "Man muss den Diskursraum offen halten gegen den simplizistischen Dialog, den die US-Medien am liebsten vormachen." Es sei um so wichtiger, in diesen Zeiten komplexe, vielschichtige Kunst zu ermöglichen. So kritisiere sie die Regimes im Nahen Osten, wolle aber zugleich auf die "wundervolle Komplexität" der muslimischen Welt hinweisen. In Europa würde dies zur Zeit besser verstanden als in den USA. Neshat hat dennoch nicht vor, nach Berlin überzusiedeln. Die Honorarprofessur verbunden mit dem undotierten "01 award" der UdK und der Deutschen Bank ist lediglich ein Ehrenpreis.
Henrike Thomsen
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