Aus der FTD vom 24.10.2003 Grüne gegen höhere Steuern für Haushalt Von Timm Krägenow und Jens Tartler, Berlin
Die Grünen haben eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Stopfen von Haushaltslöchern grundsätzlich abgelehnt. Eine spätere Erhöhung schließen sie jedoch nicht aus.
"Es macht keinen Sinn, durch Vorziehen der Steuerreform die Steuern zu senken, und auf der anderen Seite die Binnenkonjunktur durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu drosseln", sagte der Wirtschaftsexperte der Partei, Fritz Kuhn, der Financial Times Deutschland. Damit weist der kleine Koalitionspartner Spekulationen zurück, das Haushaltsdefizit könne durch eine höhere Mehrwertsteuer verkleinert werden. Allerdings wollte Kuhn nicht auf Dauer höhere Verbrauchssteuern ausschließen. "Wenn wir eines Tages nach allen Reformen bei 37 Prozent Sozialversicherungsabgaben stehen und noch um drei Prozent runter wollen, können wir darüber reden. Das allerdings nur, wenn man das Geld konsequent und ohne jede Ausnahme zur Senkung der Lohnnebenkosten verwenden würde", sagte Kuhn. Nach dem Ausscheiden aus dem Parteivorsitz aus Satzungsgründen gilt der Wirtschaftsfachmann bei den Grünen als Kandidat für das nächste frei werdende Führungsamt. Für die Konsolidierung des Haushalts und selbst für die Finanzierung von Investitionen sei eine Mehrwertsteuererhöhung "völlig falsch", betonte Kuhn. Über solche Pläne war am Donnerstag in Berlin spekuliert worden. Auch die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel, warnte, dass allein die Diskussion über die Mehrwertsteuer schon der Konjunktur schade. Deshalb würden sich die Grünen daran auch nicht beteiligen.
Antizyklische Konsolidierungspolitik
Kuhn warnte Finanzminister Hans Eichel davor, die sich erholende Konjunktur durch Sparmaßnahmen abzuwürgen. "Wir müssen die Haushaltskonsolidierung abhängig von der Konjunktur machen. Wenn wir einen stabilen Aufschwung haben, der im Innern wie im Export getragen wird, dann wird es schneller gehen. Wenn nicht, wird es länger dauern." Deutschland brauche eine "antizyklische Konsolidierungspolitik". Trotz der schlechten Umfragewerte für die SPD sieht der ehemalige Grünen-Parteivorsitzende keinen Grund für Sorge um die Koalition. "Das Entscheidende ist für uns, dass wir konsequent auf Reformkurs bleiben. Dann kann man aus so einem Tal auch wieder rauskommen", sagte Kuhn. "Wenn wir die positiven Einflüsse der Weltkonjunktur im Innern verstärken können, wird die Arbeitslosigkeit zurückgehen." Dann sei ihm um die nächste Bundestagswahl und die Wahlkämpfe im nächsten Jahr nicht bange. Kuhn sagte, durch die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss sei die Union gezwungen, konkret ihre politischen Absichten zu benennen: "Jetzt kommen die Alternativen auf den Tisch." Die Union habe davon profitiert, dass sie den Leuten vorgegaukelt habe, sie bekämen alle Erleichterungen, ohne dass dies etwas koste. "Je konkreter die Union werden muss, desto mehr wird der Glanz abschmelzen", sagte Kuhn.
Kritik an Herzog-Kommission
Es sei widersprüchlich, wenn die Union den von der Regierung beschlossenen Pflegeversicherungsbeitragssatz von 1,7 Prozent für Rentner polemisch ablehne, gleichzeitig aber die Herzog-Kommission der Partei 3,4 Prozent vorschlage. "So etwas ist politisch obszön, und das werden die Wähler auch erkennen." Mit den Herzog-Beschlüssen zur Reform der Krankenversicherung mittels Kopfpauschalen habe die Union eine klare Differenz zu Rot-Grün in Fragen der sozialen Gerechtigkeit aufgebaut. "Erstmal verlassen sie das Solidarische des heutigen Krankensystems, um dann einen steuerlichen Lastenausgleich aufzubauen." Nach Kuhns Ansicht ist den Wählern dieser "Schutz vor Krankheit nach Kassenlage" nicht vermittelbar. "Möglicherweise wird man die Wahlauseinandersetzung genau um diesen Punkt führen." Auch in der Wirtschaftspolitik würden die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition wieder deutlich, sagte Kuhn. "Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat eine aberwitzige ökonomische Konzeption, wenn er sagt, Deutschland müsse mit tschechischen Löhnen konkurrieren", sagte Kuhn. "Wir müssen Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringen, die man - egal zu welchen Kosten - woanders gar nicht hinbekommt. Wir brauchen eine Innovationsstrategie." Zu niedrige Löhne würden die Kaufkraft schädigen. Quelle: http://www.ftd.de/pw/de/1066751774768.html?nv=hpm |