Schröder macht die Merkel-Nummer Von Severin Weiland
Wagnis für den Kanzler: Statt seine Reformpläne auf einem Sonderparteitag zu vertreten, beruft er Regionalkonferenzen ein, um den Rückhalt der SPD-Basis zu erhalten. Die Strategie ist nicht neu: Ähnlich war Angela Merkel vorgegangen, als sie nach der CDU-Spendenaffäre für ihren Kurs warb. Berlin - So viel war am Montag schon einmal sicher. "Wir haben uns als Führung der SPD verständigt, dass wir nicht wackeln wollen", resümierte SPD-Generalssekretär Olaf Scholz die Präsidiumssitzung. 72 Stunden nach seiner Reformrede war das für den Kanzler immerhin ein positives Signal, nachdem am Wochenende linker Flügel und Gewerkschaften Widerstand gegen seine Reformpläne angekündigte hatten. Im Präsidium, so Scholz, habe es "keine Kritik" gegeben. Man sei sich einig, dass die Reformvorhaben ganz schnell angepackt werden müssten.
Für Schröder steht viel auf dem Spiel. Wenn er jetzt nicht handelt, wenn er sein Paket nicht versanden lassen will, muss er Druck machen. So verkündete denn auch sein Generalsekretär: "Das Jahr 2003 muss ein großes Reformjahr werden". Doch bevor es dazu kommt, beginnen für den Kanzler und SPD-Parteichef erst einmal die Mühen der Ebenen. Die Basis, vor allem die Parteilinke und die Gewerkschaftsmitglieder, müssen überzeugt werden. Die Fraktionslinke will noch diese Woche über ihren Kurs beraten. Bislang versucht sie, den Kurs des Kanzlers zu stützen. Natürlich gebe es in der parlamentarischem Umsetzung "auch noch Gestaltungsspielraum", meinte Fraktionsvize Michael Müller.
Wie weit der seine wird, dürfte sich in den kommenden Wochen zeigen. Immerhin mutet Schröder den Traditionskorps der Sozialdemokratie viel zu. Zwei Kernelemente hatten bereits am Wochenende die Linke aufgebracht: Das Arbeitslosengeld für über 55-jährige soll auf 18, für die Jüngeren auf 12 Monate reduziert, die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zusammengelegt und in der Regel auf selbem Niveau liegen. Weitere Einschnitte im Gesundheits- und Rentensystem könnten folgen - die Rürup-Kommission wird hierfür Vorschläge bis zum Sommer liefern.
Das birgt Sprengstoff. Allein die Zusammenlegung der Arbeitslosen- mit der Sozialhilfe bringt eine Reihe von Fragen auf: Wie weit soll der Abstand des künftigen Arbeitslosengeld II vom Sozialhilfeniveau sein (wenn überhaupt)? Scholz meinte am Montag wolkig, dies solle sich am "Modell der Lebensbedarf-Sicherung orientieren". Der Kanzler hatte am Freitag davon gesprochen, "in der Regel" solle die Arbeitslosen- auf dem Niveau der Sozialhilfe liegen. Die Debatte in der SPD ist noch nicht abgeschlossen. Zumal mit dem neuen Arbeitslosengeld II eine Reihe weiterer praktischer Fragen zusammenhängen. Was geschieht etwa mit dem Privatvermögen des Empfängers? Wird es, wie bereits bei der Sozialhilfe heute üblich, mit dem neuen Arbeitslosengeld II verrechnet und zum Lebensunterhalt herangezogen? Darüber, so Scholz am Montag, sei noch keine Entscheidung getroffen worden.
Details, das ist deutlich, sind noch nicht abschließend geregelt. Schröder muss noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Die soll auf vier Regionalkonferenzen im Mai und Juni erfolgen. Diese Form der Basis-Kommunikation hatte bereits auf bundespolitischer Ebene erfolgreich die politische Konkurrenz angewandt. Angela Merkel nutzte den Auftritt vor Regionalkonferenzen, um nach der Spendenaffäre vor der CDU-Basis für sich und ihren Kurs zu werben. Damit sicherte sie sich jenen moralischen Rückhalt der einfachen Mitglieder, der nicht ohne Rückwirkung auf die Rest-Partei blieb. Auf dem Wahl-Parteitag schlug sich das in einem hervorragenden Wahlergebnis für Merkel nieder. Für Schröder dürfte es ungleich schwerer werden. Er muss innerhalb der einfachen Mitgliedschaft für eine Reform werben, die im Kern nur neue Lasten bringt. Das ist unpopulär. Die Einberufung von Regionalkonferenzen ist also nicht nur ein geschickter Schachzug, sondern auch ein Wagnis. Zum einen sind sie ein Gradmesser für die Stimmung an der Basis. Ist diese ablehnend, dürfte dies auf Schröder, den Instinktmenschen, wohl nicht ohne Wirkung bleiben. Andererseits können die Regionalkonferenzen, von der Führung entsprechend gut vorbereitet, seinen Kurs zusätzlich abstützen. Einer Sorge ist Schröder auf jeden Fall enthoben: Entscheidungsbefugnisse haben die Regionalkonferenzen nicht.
So war es auch kaum überraschend, dass Generalsekretär Olaf Scholz am Montag die Idee eines Sonderparteitags verwarf. Das macht aus Sicht der Führung Sinn. Denn ein SPD-Parteitag könnte mit Anträgen die Reformvorschläge öffentlichkeitswirksam niederstimmen. Ob der Verzicht auf einen Parteitag ein kluger Schachzug ist, wird sich noch zeigen. Schließlich kann die Fraktion weitaus wirksamer die Reformpläne verwässern als es ein Parteitagsantrag je könnte.
Schröder zeigte sich am Montag zuversichtlich. "Es geht jetzt um die praktischen Umsetzungsschritte und nicht mehr um die Debatte über den Inhalt als solchen,", meinte er am Montag nach der Kabinettssitzung. Bis zum Mittwoch kommender Woche soll der Zeitplan für die Reformvorhaben stehen. Auch die Fraktionen von Grünen und SPD würden die Pläne mittragen, glaubt der Kanzler. Schließlich, so Schröder, hätten diese bei der Erarbeitung ja "mitgesprochen".
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,240672,00.html |