BAGDADS SCHUTZTRUPPE
"Schroetter? Gutt Mann, gutt!"
In Bagdad drängeln sich internationale Friedensaktivisten aller Couleur. Sie alle, besonders die friedensliebenden Deutschen, sind Saddam höchst willkommen. Als menschliche Schutzschilde wollen sie versuchen, unter Einsatz ihres Lebens irakische Einrichtungen vor feindlichen Raketen zu verschonen.
Aus Bagdad berichtet Holger Kulick Bagdad - Zwei Deutsche kennt Aman, der junge irakische Soldat: Oliver Kahn und Gerhard "Schroetter". Die seien beide "good, very good". Zaghaft winkt er, formt mit den Händen eine Kamera. Er will fotografiert werden. Zwei Kameraden, die zusammen mit ihm am Bagdader Busbahnhof vor einer Moschee Wache schieben, raten ihm ab. Doch reden will er, obwohl auch das den Militärs eigentlich verboten ist.
Aman schwärmt von "Bayer Leverkus" und weniger von "Bayern Munich", er kennt die Teams aus dem Fernsehen. Und den "Schrötter", den kennt er auch - und lobt ihn sehr. Weil der für den Frieden sei. "Warum dieser Krieg", fragt Aman. Warum bloß, wo doch der Irak niemand angreifen wolle? Und dann droht er: "Wir werden Amerika zerstören, wenn es uns attackiert." Die Amerikaner würden geschlagen, glaubt er, denn "wir lieben unser Land". Liebt er auch Saddam Hussein? "Wieso nicht? Er ist unser Führer."
"Wir sind keine Taliban"
"Nieder mit Amerika!", solche Propagandatransparente hängen in der irakischen Hauptstadt. Selbst auf Bagdads Flughafenteppich ist diese Feindbild-Parole gesprüht. Aber erst, seit Amerika dem Irak den Krieg erklärt habe, sagt eine Stewardess. Vorher hätten die Menschen keine so krassen Feinbilder gehabt, schließlich seien die Iraker keine verblendeten Taliban wie in Afghanistan.
Nun aber hat die Angst vor dem Krieg alles überlagert, ist allgegenwärtig. Wie Donnerstagabend, in einer katholischen Kirche in Bagdad. Eigentlich ist es ein Hochzeitsgottesdienst. Doch der Patriarch lässt erst einmal für den Frieden beten. Am kommenden Sonntag sollen in allen Kirchen und Moscheen zugleich Friedensgottesdienste stattfinden, kündigt er an. Und dann lobt er die Franzosen und die Deutschen. Die würden wenigstens ihre eigene Meinung verteidigen und sich gegen die gängigen Feindbildklischees wehren.
Deutsche werden besonders respektiert
Amerikanische Friedensaktivisten, die nach Bagdad gereist sind, werden freundlich behandelt. Aber wer als Deutscher erkannt wird, genießt besonderen Respekt. In einer Basargasse in der Altstadt ziehen mich zwei junge Leute in eine kleine Druckerei, in der eine Uralt-Maschine aus Hamburg rattert. Sofort kommt die sechsköpfige Belegschaft zusammen. "Wir sind Ihrem Land so dankbar", sagt der Firmenchef und preist den deutschen Kanzler: "Schroetter, gutt Mann, Schroetter gut".
Doch auch dem "gute Mann" traut man kaum noch zu, den Krieg zu stoppen. "Keiner will gerne kämpfen, aber jetzt ist die Angst einfach groß", sagt der Drucker. Aus Furcht hätten sich viele Leute Waffen gekauft, um ihre Familien zu verteidigen. Ja, auch der Staat habe Waffen an Privathaushalte verteilt.
"Den Menschen helfen, nicht dem Regime"
Der deutsche Friedenswille macht auch vor den Toren Bagdads nicht halt. Mitten im Marktgetümmel, zwischen bettelnden Kindern und überforderten Verkehrspolizisten, entrollen plötzlich zwei dutzend Deutsche ein Transparent. "International Solidarity. No war, no embargo for Irak! Friedensinitiative Weyhe".
Weyhe? Weyhe liegt in der Nähe von Bremen. Seit Ausbruch des Afghanistan-Krieges hält dort ein gebürtiger Ägypter, der Kaufmann und SPD-Stadtverordnete Sabry Ibrahim, jeden Montag eine Friedensmahnwache ab. Um die Weihnachtszeit wuchs daraus die Idee, auch praktisch zu handeln - mit einer Reise in den Irak. "Nicht, um ein Regime zu unterstützen, sondern um etwas für die Menschen zu tun, die nichts für ihre schlimme Lage können und mit einem Krieg noch mehr bestraft werden sollen", begründet Ibrahim seine Aktion. Via Internet suchte er. Er fand: eine Rentnerin aus München, einen deutsch-irakischen Kinderarzt aus Moers, einen Palästinenser im deutschen Exil, zwei türkische Gewerkschafter aus Detmold und Bremerhaven, den Leiter eines Münchener Vereins "Muslime helfen" und eine Mutter aus Weyhe, die ihrer Familie lieber nicht sagte, wo die Reise hingeht. "Wir haben früher unseren Eltern vorgeworfen, dass sie nichts gegen den Krieg getan haben", sagt sie. Dies wolle sie sich später nicht fragen lassen müssen.
Auch ein Henningsdorfer Geschäftsmann ist zu der Gruppe gestoßen - aber eher, um Geschäftskontakte zu knüpfen. Die Friedensbewegten sind beunruhigt. Der Geschäftsmann versichert, er werde "natürlich nur im legalen und allenfalls grauen Bereich", agieren. Er darf mit.
650 Kilo Medikamente für Krankenhäuser hat die Gruppe im Gepäck und zahllose Stofftiere für Waisenkinder. Und so werden sie willig herumgeführt durch die langen weißen Gänge der Hospitäler. Hier erzählen Väter von ihrer Existenznot, denn das Durchschnittseinkommen sei in einem Jahrzehnt von rund 500 auf 30 Dollar gesunken. Mütter mit Babys, von weither angereist, schildern die unzureichende medizinische Versorgung - in einem Land, das in dieser Hinsicht in den achtziger Jahren als Muster galt. Seit dem ersten Golfkrieg aber hat sich Kindersterblichkeit versiebenfacht, sagen die Klinik-Ärzte. Das liegt an dem unsauberen Wasser, weil die Klärwerke zerstört wurden. Auch die Krebsrate sei explodiert.
Zu all dem kommt das Uno-Embargo. Zahlreiche Medikamente und Wirkstoffe kommen seit Jahren nicht mehr ins Land, weil einzelne Substanzen daraus auch zum Waffenbau benutzt werden könnten. "Dies ist der eigentliche Krieg gegen unser Volk", sagt ein Stationsarzt. Der ist derzeit mehr mit ausländischen Gästen beschäftigt als mit kranken Kindern: schon seit Wochen reißt der Pilgerstrom internationaler Friedensaktivisten nicht mehr ab. Die Hotels sind vollgestopft mit "Friedenskämpfern" aus aller Welt - die Regierung hat sie dankend ins Land gelassen. Die Gäste meinen es gut, tun nicht weh - und sind sehr brauchbar als menschliches Schutzschild.
Die Friedenslust treibt bislang bizarr-naive Blüten. Hossam Shaltout, ein junger Kanadier, tippt eifrig einen Reformplan für eine Regierungsumbildung in den Hotelcomputer. Den will er Saddam Husseins Sohn überreichen. Zwei Türken wollen mit Saddam Hussein neue Friedenswege besprechen und sind überzeugt, einen Termin bei ihm zu kriegen. Schließlich sind sie 16 Tage lang zu Fuß nach Bagdad gelaufen und wurden sogar schon von CNN interviewt.
Deutsche und Amerikaner versuchen, Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter nach Bagdad zu bewegen, während die portugiesischen Gewerkschaftsvertreter verstimmt abfahren. Nachdem sich ihre Regierung entgegen aller Absprachen der europäischen Ländergruppe zur Unterstützung der USA angeschlossen hat, fühlen sie sich in Bagdad nicht mehr wohl.
Angst vor Spitzeln und Verfolgung
Denn natürlich ist der Alltag im Irak durch brutale Repressionen geprägt - auch, wenn niemand offen darüber reden kann. Kaum hat eine Frau im Krankenhaus ihrer Wut über die staatliche Desinformation Luft gemacht, erschrickt sie über sich selbst und fleht, ihren Namen nicht zu nennen. Besser noch: Das Gespräch habe niemals stattgefunden.
Am Busbahnhof will ein alter Lehrer über seine Alltagssorgen berichten. Plötzlich entdeckt er einen Spitzel im Gemenge, wendet sich ab, läuft davon. "Fragen sie mich bitte alles über Literatur, aber nicht über Politik, ich will keinen Ärger", bittet Karim, der fliegende Buchhändler. Würde ein Krieg diesen Zustand nicht beenden? "Das ist keine Lösung. Sie wissen doch: Im Krieg leiden immer die Falschen."
Saddam Hussein ist sich dem erzwungenen Gehorsam seiner Untertanen offenbar so sicher, dass sich die Gäste aus dem Ausland relativ frei bewegen dürfen - natürlich immer unter Beobachtung. Saddam gibt sich offen. Dem Heidelberger Unternehmensberater Wolfgang Reineke, ein führender Kopf aus der "deutsch-irakischen Gesellschaft", gelang es sogar, am Donnerstag, einen Termin beim stellvertretenden Innenminister Tarik Azis zu bekommen. Sieben Mercedes-Limousinen holten ihn und seine Gruppe ab, ohne jede Ausweis- oder Taschenkontrolle werden sie in einen der gigantischen Regierungspaläste geführt.
Im Büro von Azis laufen Euronews und CNN. "Wir ergeben uns nicht", sagt Azis. Um den Krieg zu verhindern, würde der Irak zwar alles tun, die Bedingungen der Uno zu erfüllen. Aber jetzt, da "Europa gespalten" sei, werde immer klarer, dass alles für die Verteidigung in die Wege geleitet werden müsse.
Azis rechnet mit großer arabische Solidarität, vielen freiwilligen Kämpfer aus den Nachbarstaaten - und mit einer zunehmenden Zahl von ausländischen Friedensaktivisten, die sich mit ihren Leibern schützend vor Krankenhäuser, Brücken, Elektrizitäts- oder Wasserwerke aufstellen. "Menschliche Schutzschilde" klinge ihm aber zu hart, er will sie lieber "Botschafter des Friedens" nennen. Ob sie ihr Leben riskieren würden? Natürlich, sagt er. Verletzungen kann man nicht ausschließen. "Krieg ist eben Krieg."
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