Was bringt das 700 Mrd.$ schwere Troubled Asset Relief Program (TARP) der US-Regierung? Klaus Singer von TimePatternAnalysis zu den Folgen und Entwicklungen von TARP
TARP
Innerhalb von nur sechs Monaten kam für die Ära der Investment-Banken an Wall-Street das Aus. Mit der Pleite von Bear Stearns im März begann der Anfang vom Ende, die Pleite von Lehman Brothers beschleunigte den Verfall dramatisch. Die Institution hinterlässt Schulden in Höhe von 613 Mrd. Dollar, die Assets summieren sich angeblich auf 639 Mrd. Dollar. Sogleich schlüpfte Merrill Lynch unter das Dach der Banc of America. Und die verbliebenen Geschäftsmodelle, Goldman Sachs und Morgan Stanley, mutieren zu „richtigen“ Banken. Sie unterliegen damit der Regulierung durch die Fed, haben im Gegenzug aber auch Zugang zu den „unbegrenzten“ Mitteln der Zentralbank.
Das Ende dieser Ära, die vor vierzig Jahren mit dem Ende des Goldstandards in ihre heiße Phase eintrat und ganz wesentlich die Globalisierung mit prägte, ist aber nur ein Baustein in der Abwicklung des auf 10 Bill. Dollar geschätzten Schatten-Bank-Systems. SIVs und Conduits stolperten zuerst, jetzt sind die Investment-Banken abgeschafft. Geldmarkt-Fonds sind nach dem Abfluss von netto rund 200 Mrd. Dollar allein in der vergangenen Woche in Not – so sehr, dass die Bush-Regierung weitreichende Garantien geben musste.
Der Stress in den Geldmärkten wird deutlich, wenn man sich z.B. den TED-Spread ansieht – er lag zuletzt wieder bei über 300 Basispunkten. Die eff. Target-Rate der Fed fiel am Donnerstag auf 1,19 Prozent (bei einer Target Rate von 2,00 Prozent!). Der Spread zwischen der Rendite für 13-wöchige TBills war schon in der Vorwoche bis auf 300 Basispunkte angewachsen. Alles Anzeichen dafür, dass die Geldmärkte kurz vor einem Herzinfarkt stehen, wie es ein Beobachter formulierte.
Hoch gehebelte Hedge-Fonds könnten die nächsten Dominosteine sein, die fallen - in London, so wird berichtet, wird diesen einstigen Stars der Investment-Branche in großem Umfang Liquidität entzogen.
Der 700 Mrd. Dollar schwere Plan der US-Regierung zur Rettung aus der Finanzkrise hat jetzt auch einen Namen: Troubled Asset Relief Program (TARP). Sein Herzstück ist der Rückkauf von notleidenden, in Zusammenhang mit der Immobilienkrise stehenden Assets, vielleicht zu ‘hold to maturity’-Preisen, wie Bernanke es formuliert, vielleicht auch höher. Dabei soll das Finanzministerium weitestgehend nach Belieben schalten und walten können. Ich hatte mich am 22. September 2008 in einem Artikel ausführlich mit dem Plan beschäftigt.
Die ökonomischen Beobachter rund um den Globus schlagen in seltener Einmütigkeit die Hände über dem Kopf zusammen und fordern im Gegenzug zu den subventionierten Aufkäufen von „Assets“ zumindest einen Aktienanteil, damit der Staat an einer eventuellen Erholung teilhaben kann. Weitergehende Vorschläge zielen auch auf die Senkung der Hypothekenschulden. Das sei am Ende immer noch billiger als ein Bankrott der Schuldner und/oder die Enteignung. Neben Wall Street müsse auch Main Street herausgehauen werden, heißt es griffig.
Gestern sah es so aus, als könne das Paket die Gesetzgebungs-Hürden nehmen. So hoffnungsvoll der Tag begann, die Aktienmärkte liefen schon einmal vor, so schlecht endete er. Einige Republikaner stellten sich quer – die Gespräche in unterschiedlichen Zusammensetzungen endeten im Chaos. In dessen Verlauf soll Finanzminister Paulson vor Nancy Pelosi auf die Knie gefallen sein und um Zustimmung gebeten haben. Die Demokratin erwiderte, das läge nicht so sehr an ihrer Partei.
TARP ist nicht das Ende der Wall Street. Aber die Finanzkrise stellt eine mindestens so schwere Zäsur dar wie das Ende des Goldstandards (nur in der Gegenrichtung). TARP federt diese Zäsur für die Finanzindustrie ab, um das einmal vornehm auszudrücken. Natürlich muss etwas getan werden. Aber vor allem etwas, dass über eine reine Feuerwehraktion hinaus eine langfristige Perspektive hat. Das ist bei TARP genauso wenig zu erkennen, wie bei früheren Krisen, als man auch nur eines kannte – Liquidität zu schütten. Und hat damit den Grundstein gelegt für die nächst größere Blase und die nächst schwerere Krise.
Notwendig wäre eine Abkehr vom neoliberalen Laissez-faire hin zu sinnvollen RAHMEN-Bedingungen. Aber da hört man nicht viel, bzw. nicht viel Gutes. So knicken zum Beispiel die Brüsseler Bürokraten ein in ihrem Vorhaben, künftig zu verlangen, dass Banken beim Weiterverkauf von Krediten einen bestimmten Anteil behalten müssen. Zunächst war 10 Prozent im Gespräch, aber nach einem Aufschrei der Finanzindustrie denkt man jetzt nur noch über 5 Prozent nach. Zwei Lehren: Erstens scheint die Bürokratie weiterhin willfährig der Finanzindustrie gegenüber. Zweitens hat die Finanzindustrie offenbar nichts dazu gelernt. Gestern trat dann auch noch der deutsche Finanzminister hervor und will Leerverkäufe grundsätzlich verbieten. Ein wirklich guter Vorschlag, aber nur dann, wenn insbesondere in Blasenzeiten auch Long-Positionen verboten werden! Zudem stellte er die USA in einer Art an den Pranger, da kann man nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
In den USA will man jetzt den auf über 60 Bill. Dollar geschätzten CDS-Markt an die regulatorische Leine legen. Der Staat von New York hat nämlich entdeckt, dass credit default swaps am Ende auch Versicherungen sind, mithin also ein Fall für seine Versicherungs-Regulierer. Ein Aufschrei der International Swaps and Derivative Association folgte: Das sei möglicherweise gefährlich, weil die Regulierung den Markt destabilisieren könne. Soso!
Die Zuspitzung der Finanzkrise und der Rettungsplan geben den Demokraten zweifellos einen, vielleicht den entscheidenden Vorsprung bei der Präsidentschaftswahl. Denn viele unentschlossene Wähler werden jetzt sagen, Wall-Street füllt sich die Taschen und holt es sich beim Steuerzahler.
Wie dumm von der republikanischen Bush-Adminstration! Oder auch nicht: Zwar verlieren die Republikaner wahrscheinlich die Wahl, stellen aber vorher die Weichen so stringent in ihrem (und Wall-Streets) Sinne, dass die dort ungeliebten Demokraten an einer kurzen finanzpolitischen Kette liegen. Die können nach ihrer Wahl die geweckten Hoffnungen nicht einlösen, mit breit angelegten Steuersenkungen und Hilfspaketen der Bevölkerung direkt unter die Arme zu greifen.Denn das dürfte mangels Masse kaum noch Chancen haben. So verlieren sie schnell an Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Das bereitet den Boden für ein Revival der Republikaner – die hätten zwar eine Schlacht verloren, könnten aber vielleicht den Krieg gewinnen.
Da könnte nun jemand unterstellen, das sei alles kühles, taktisches Kalkül – die Finanzmärkte führen den Crash vor, nur damit die Republikaner zur Hilfe herbei springen und damit die Demokraten in vermeintliche Sachzwänge sperren. Eine perfide Verschwörungstheorie!
TARP ist sicher geeignet, kurzfristig wieder etwas Ruhe und Vertrauen in die Finanzindustrie zu bringen. Aber eine solide langfristige Lösung ist das nicht. Schon bald werden neue Begehrlichkeiten aufkommen und neue Löcher in den unregulierten Segmenten aufreißen, die bisher niemand kennt oder kennen will.
Sollte TARP so durchkommen, dann würde die US-Regierung bis jetzt schon Mittel von mehr als 1 Bill. Dollar vorsehen, die zurückliegenden Aktionen mit eingerechnet. Schätzungen belaufen sich auf im Zuge der Hypothekenkrise insgesamt auflaufende Gesamtverluste von 2 Bill. Dollar.
Auch von folgender Überlegung aus ist es plausibel, dass dem Finanzsystem noch mehr Ungemach droht: Das Gesamtvolumen an Derivaten hat sich in den vergangenen sechs Jahren versechsfacht auf mittlerweile über 500 Bill. Dollar weltweit. Das ist fünf mal so viel wie das Gesamtvolumen der Aktien- und Bondmärkte und das Zehnfache des globalen BIP. Ein solcher Hebel birgt gewaltigen Sprengstoff. Hier geht noch manche Bombe hoch, wenn die Realwirtschaft nicht bald wieder auf Touren kommt.
Und danach sieht es momentan nicht aus: Die jüngsten Makrodaten zeigen auch nicht den geringsten Ansatz einer makroökonomischen Stabilisierung. Die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe steigen in den USA auf fast 500.000. Vom Hausbereich kommen weiterhin keine Indizien, die auf ein Ende der Depression hier hindeuten – im Gegenteil.
Die USA sind jetzt besonders darauf angewiesen, dass das Ausland ihre Schulden kauft. Früher hieß es flapsig, die Chinesen leihen dem Amerikanern Geld, damit diese sich gegenseitig ihre Häuser verkaufen können. Heute müssen die Chinesen den Amerikanern Geld leihen, damit diese nicht als Nachfrager für chinesische Produkte ausfallen.
In dieser Situation kommt dem Dollar eine besondere Bedeutung zu. Die USA können sich einen schwachen Greenback nicht mehr leisten, das Ausland würde sonst nur mit kräftigem Risikoausgleich zu bewegen sein, amerikanische „Assets“ zu kaufen. Risikoausgleich, das bedeutete extra hohe Renditen, bzw. deutliche Kursabschläge.
Gut zu sehen, wie der Euro/Dollar zurzeit immer wieder von der langfristigen Marke bei rund 1,4650 angezogen wird. Wenn sich das Währungspaar hier nicht bald dynamisch nach oben absetzen kann, geht es in die Gegenrichtung, der Dollar erstarkt. Ein längerfristiges Ziel läge dann bei rund 1,20, und auch das muss noch nicht das Ende der Fahnenstange sein. Bei diesem Szenario mag mitspielen, dass in Krisenzeiten US-Kapital aus dem Ausland heimgeholt wird. Entscheidend aber ist wohl, dass die Investoren für die USA keine markant schlechtere Perspektive als für den Rest der Welt sehen.
Und: TARP lässt sich als ein gigantisches Subventionsprogramm für die Finanzindustrie ansehen, das ihr im globalen Vergleich einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Und da die Finanzindustrie mittlerweile zur beherrschenden Branche aufgestiegen ist, kann das auf die US-Ökonomie insgesamt übertragen werden.
Aber: Subventionen entfachen häufig beliebte Strohfeuer, führen aber übergeordnet zu einer Fehlallokation von Ressourcen. Zum Beispiel dergestalt, dass das Leben von überholten Firmenkulturen und Geschäftsmodellen künstlich verlängert wird. Mit diesem Aspekt hatte ich mich in dem oben angesprochenen Artikel ebenfalls beschäftigt.
Klaus Singer
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