Dubioses vom Neuen Markt
Der Griff nach der vollen Kasse
Der Internetdienstleister Adori ist gescheitert, aber immer noch attraktiv genug für ein gutes Geschäft – auf Kosten der Kleinaktionäre
Von Thomas Öchsner
Unternehmen am Neuen Markt wählen mit Vorliebe klangvolle Namen. Stefan Kreidl (31), ein Regensburger Internetpionier, mochte es besonders ausgefallen. Er nannte seine Gesellschaft, die Webdesign, Software und die gesamte Logistik für Online-Händler anbietet, Adori. Der Name stammt von einer indischen Tempeltänzerin, die Schönheit und Klugheit miteinander vereint haben soll. Kreidls Adori wird aber vermutlich nicht mehr lange tanzen, jedenfalls nicht so, wie es sich der Gründer vorgestellt hatte. Das Geschäftskonzept des Internet-Dienstleisters scheiterte kläglich. Die Adori-Aktie, für 13,50 Euro an die Börse gekommen, ist heute noch 1,82 Euro wert.
Als das Fachblatt e-Market den Jungunternehmer einige Woche nach dem Börsengang von Adori im Mai 2000 fragte, wie er sich die „Online-Apokalypse“ vorstelle, antwortete Kreidl: „Jeder surft und keiner kauft.“ Etwa ein Jahr später muss Kreidl langsam klar geworden sein, dass er mit seinen düsteren Vorahnungen richtig gelegen hatte. Adori machte mehr Verlust als Umsatz, und ein Ende der Misere war nicht in Sicht. Es begann die Suche nach Alternativen – und damit ein Tauziehen, das an einen Wirtschaftskrimi erinnert und die dubiosen Machenschaften am Neuen Markt um ein weiteres Kapitel bereichert. Dieses Mal geht es um den Versuch, ein Unternehmen auf Kosten der Kleinaktionäre auszuplündern.
Begehrte 56 Millionen DM
Das Objekt der Begierde ist die volle Kasse von Adori, in der nach letzten Angaben noch gut 56 Millionen DM aus dem Börsengang schlummerten, zu mehr als 90 Prozent in festverzinslichen Wertpapieren angelegt. Zu den Hauptdarstellern und Nebenfiguren in dem Stück gehören einige illustre, deutsche Unternehmer-Persönlichkeiten: Der Chef der Wagniskapitalgesellschaft Knorr Capital Partner (KCP), Thomas Knorr; der Gründer des Computerhändlers Vobis und Aufsichtsratschef von Adori, Theo Lieven; der Marketing-Experte und Adori-Aufseher Christoph Gottschalk, bekannt aus der gemeinsamen Werbung mit seinem Bruder Thomas für die Postaktie; der bereits erwähnte Kreidl, ein leidenschaftlicher Ferrari-Fahrer; Konrad Keil, Gründer und Hauptaktionär von Plan + Design Netcare (PDN), ein Nürnberger Unternehmen, das Telekommunikationsnetze aufbaut und wartet. Das Publikum, allen voran die Kleinaktionäre, sollten allerdings ausgeschlossen werden. Der nächste Akt: Die Aufsichtsratssitzung der Adori AG an diesem Montag.
Die Öffentlichkeit erfuhr Anfang Oktober von Adori nur Bruchstücke: Demnach hat Lieven, der 1996 Vobis für einen dreistelligen Millionenbetrag an Metro veräußerte und viel Geld in Neue-Markt-Unternehmen schoss, seinen 22- Prozent-Anteil von Adori an Keil verkauft. Firmengründer Kreidl, im Besitz eines weiteren 22-Prozent-Pakets, überträgt seine Stimmrechte ebenfalls an den PDN-Hauptaktionär. Ein Verkauf solle später erfolgen.Während Adori seinen neuen Nürnberger Hauptaktionär präsentiert und eine „Neuausrichtung der Gesellschaft“ inclusive einer Fusion mit der PDN ankündigt, wird hinter den Kulissen emsig daran gearbeitet, um sich der vollen Adori-Kasse im Handstreich zu bemächtigen.
Seit Anfang Oktober geht es Schlag auf Schlag: Am 5. Oktober legt Lieven sein Aufsichtsratsmandat nieder. Gottschalk, an dessen Dolce Media der Vobis-Gründer eine kleine Beteiligung hat, folgt ihm. Beide halten zu diesem Zeitpunkt ihre Mission für abgeschlossen. Gottschalk sagt: „Die Geschäftsidee von Adori hat nicht funktioniert, da ist es besser, kein Geld mehr herauszuschmeißen.“ Beide halten deshalb einen Zusammenschluss mit der noch nicht an der Börse notierten PDN für sinnvoll.
Hauruck-Aktion
Am 11. Oktober bestellt das Amtsgericht Regensburg auf Vorschlag des Vorstandes von Adori zwei neue Aufsichtratsmitglieder: Robert Straubinger, Vorstandschef der PDN und Peter Koll, der PDN-Finanzvorstand. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende bleibt der Kölner Rechtsanwalt Andreas Scheuermann. Scheuermann wurde von Brainpool in das Kontrollgremium entsandt. Das Medienunternehmen hat einen Anteil von 7,5 Prozent der Adori- Aktien.
Am 18. Oktober geht dem noch amtierenden Aufsichtsrat eine Vorlage für eine Art Ermächtigungsbeschluss zu, dem das Kontrollgremium schriftlich bis zum nächsten Tag, 10 Uhr zustimmen soll: Adori-Gründer Kreidl und sein Kollege Paul Smyth sollen als Vorstände abberufen, die Berater Stefan Fiebach und Andreas Kornowski, beide maßgeblich an der Ausarbeitung des Sanierungskonzepts beteiligt, sollen dafür in das Leitungsgremium einrücken. Gleichzeitig soll der Aufsichtsrat zustimmen, dass der Adori-Vorstand notwendige Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens umsetzen darf, „insbesondere den Erwerb von Unternehmensanteilen an der PDN AG sowie die Optimierung des bestehenden Wertpapierportfolios“. Da Scheuermann diese Hauruck-Aktion ablehnt, muss die Beschlussvorlage auf den 5. November vertagt werden. Der Vorstandschef von Brainpool, Jörg Grabosch, nennt dieses Verfahren „ziemlich ungewöhnlich“. Er hat den Verdacht, dass „hier die Adori-Kasse genutzt werden soll, um Partikularinteressen einzelner Aktionäre zu unterstützen, während die Kleinaktionäre in die Röhre gucken müssen“.
Schaut man sich die Details der Pläne näher an, erscheinen die Sorgen von Grabosch berechtigt: Bei einer Präsentation schlug die PDN als Kaufpreis 10 Euro pro Aktie vor. Der Unternehmensberater Fiebach erwähnt in seinem Sanierungskonzept ebenfalls die 10 Euro, also knapp 20 DM, pro Aktie und schreibt weiter: „Ich schlage daher vor, bis zu 2,3 Millionen Aktien der Netcare zu erwerben“. Das Gesamtkapital von PDN liegt bei etwa elf Millionen Aktien. Bei einer Kaufsumme von umgerechnet rund 45 Millionen DM müsste Adori also fast seine gesamte Kasse opfern, um nicht einmal ein Viertel der PDN- Anteile zu bekommen.
Vollendete Tatsachen
Der amerikanische PDN-Partne LCC zahlte im August 2000, als die Euphorie um die UMTS-Lizenzen noch groß war, für einen PDN-Anteil von 15 Prozent weitaus weniger, nämlich 2,7 Millionen US-Dollar. Bei einem damaligen Dollarkurs von umgerechnet 2,17 DM sind dies knapp sechs Millionen DM oder 3,55 DM je Aktie. Grabosch hält zwar den Telekommunikationsdienstleister PDN (70 Millionen Umsatz, 400 Mitarbeiter, Gewinn unbekannt) für ein solides Unternehmen, der vorgeschlagene Kaufpreis sei aber „zu hoch und nicht fair“. Vier bis fünf Euro je Aktie könnten seiner Ansicht nach angemessen sein, sofern diesen Wert ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer in einem neuen Gutachten bestätigt.
Trotzdem könnten ein neuer Vorstand und Aufsichtsrat vollendete Tatsachen schaffen und mit einfacher Mehrheit die Beschlussvorlage durchpauken. Zwar sieht das Aktiengesetz eindeutig vor, dass Aufsichtsräte nicht die Interessen einzelner Gruppen, sondern aller Aktionäre zu vertreten haben. Sicher ist aber, dass in dem Kontrollgremium die PDN-Manager die Mehrheit übernehmen. Ähnlich sieht es im Vorstand aus: Die beiden vorgeschlagenen Manager entstammen dem Dunstkreis von KCP. Und Knorr Capital Partner hat eine Minderheitsbeteiligung an PDN von 15,8 Prozent.
Kornowski firmiert auf seiner Visitenkarte als Partner von KCP in Eschborn. Auf Fiebachs Visitenkarte ist die Anschrift von Netcare, aber eine E- MailAdresse von Knorr Capital. Auf der Homepage von KCP darf sich der „Mitarbeiter“ Fiebach über Nachfolgeregelungen in deutschen Unternehmen ausbreiten. Knorr bezeichnet Fiebach auf Befragen der SZ dagegen als Mitarbeiter von PDN.
Der Vorstandschef von KCP sagt, er habe das Zusammengehen von Adori mit der PDN unterstützt. Von einem Konzept, das vor einer Verschmelzung und einer Hauptversammlung Fakten geschaffen werden sollen, wisse er allerdings nichts. Wenn das so wäre, „müsste ich dies wissen“, sagte er der SZ.
Aktionäre der Adori halten dies für wenig glaubwürdig: „Keil handelt im Auftrag von Knorr. Ich glaube nicht, dass Keil über die finanziellen Mittel verfügt, um die Adori-Pakete von Lieven und Kreidl zu kaufen“, sagt einer aus dem Kreis der beteiligten Wagniskapitalgesellschaften. Sie verweisen darauf, dass Knorr für Keil gebürgt hat, um den Verkauf von Lievens 22-Prozent-Paket zu unterstützen. Ist Keil also nur ein Strohmann von Knorr? Der KCP-Chef hält diesen Vorwurf für absurd.
Bei Adori engagierte Finanzinvestoren vermuten dagegen ein Überkreuzgeschäft: Der Erwerber der Adori-Aktien erzielt erst durch den Verkauf der PDN-Papiere die Mittel, um den an die Herren Kreidl und Lieven geschuldeten Kaufpreis zu zahlen. Würde Knorr, so ihre Annahme, seine PDN- Aktien auf diese Weise abstoßen, hätte er vermutlich einen zweistelligen Millionengewinn gemacht, der der Unternehmensbilanz von KCP und dem Aktienkurs gut tun würde.
Überkreuzgeschäft
Für das Überkreuzgeschäft spricht, dass Lieven nach eigenen Angaben noch immer auf sein Geld wartet. Nachdem am 18./19. Oktober der Ermächtigungsbeschluss des Vorstands von Adori nicht durchkam, wurde sein Vertrag verlängert. Der nächste Zahlungstermin ist Anfang dieser Woche, also ausgerechnet dann, wenn die nächste Aufsichtsratssitzung ansteht, auf der Weg weisende Beschlüsse gefällt werden könnten.
Sollten diese Befürchtungen zutreffen, hätten die Kleinaktionäre das Nachsehen: Immerhin liegt der Streubesitz bei rund 26 Prozent. Die Wagniskapitalgesellschaften Plug-in-Equity, die Kapitalbeteiligungsgesellschaft der Deutschen Versicherungswirtschaft, Brainpool und andere Investoren kommen auf einen Anteil von etwa 30 Prozent. Sie hätten nach dem Transfer der Adori-Kasse nur noch Anteile an einem Unternehmen, das aus einem Börsenmantel besteht, ohne an der Transaktion der Kasse einen Euro mitverdient zu haben. Wohin der Aktienkurs von Adori dann abstürzt, bedarf keiner großen Vorstellungskraft.
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