Hans Eichel und der 700-Millionen-Dollar-Insider
Von Benjamin Winkler
Oracle-Chef Larry Ellison soll als Insider Millionen für sich abgezweigt haben. Dass er überhaupt in Schwierigkeiten kommen könnte, ist ein Verdienst von Börsegesetzen, die hier zu Lande völlig unterentwickelt sind.
AP Insider Ellison: Hat er oder hat er nicht? Der Kurssturz an den Wachstumsbörsen konnte Larry Ellison von Oracle bis vor ein paar Tagen eigentlich kalt lassen. Er hat seine Schäfchen längst ins Trockene gebracht. Im Januar hat er Aktien seines Unternehmens verkauft. Gewinn: circa 700 Millionen US-Dollar. Auch Oracle schien es blendend zu gehen. Wenige Wochen später aber wird bekannt gegeben, dass die Firma kränkelt. Diagnose: Gewinn- und Wachstumsschwäche. Die Aktie stürzt ab. Da kommt der Verdacht auf, dass Larry Ellison vor dem Verkauf seiner Aktien ein Orakel in Form des eigenen Finanzvorstandes befragt hat. Und das Orakel sagte: "Dem Unternehmen geht es schlecht, der Börsencrash ist nahe. Rette dein Geld. Übe deine Aktienoptionen aus und verkaufe anschließend die Aktien. Aber vor allem: Gib den Anlegern erst in ein paar Wochen Bescheid."
Deutschen Anlegern kommen derartige Geschichten in den letzten Monaten sattsam bekannt vor: falsche oder verspätete Informationen von Unternehmen, dubiose Insidergeschäfte. Die üblichen Verdächtigen sind fast immer im Neuen Markt zu finden. Aber Vorsicht: Den Oracle-Chef mit Herrn Haffa und anderen Glücksrittern des Neuen Marktes in einen Topf zu werfen ist sehr gewagt. Denn es gibt drei gute Gründe, die im Zweifel für den Angeklagten Larry Ellison und seine Firma Oracle sprechen.
Erstens bekommt der Oracle-Chef keinerlei Fixgehalt, dafür reichlich Aktienoptionen. Es ist ganz klar, dass er einen Teil seiner Aktienoptionen ausüben wird und die Aktien dann zu einem möglichst hohen Preis verkauft. Aktienverkäufe von Managern sind auch in dieser Größenordnung gar nicht mal so ungewöhnlich. Bill Gates hat im letzten Jahr für 2,5 Milliarden US-Dollar Microsoft-Aktien verkauft, und niemand hat sich daran gestört.
Zweitens sind die Aktienverkäufe von Ellison der Öffentlichkeit und vor allem der Börsenaufsicht in allen Details bereits seit einem halben Jahr bekannt. Die Informationen über Verkaufsdatum, Zahl der verkauften Aktien und den letzten Verkaufspreis sind über Finanzseiten im Internet sehr leicht zugänglich. Nur wenn Verkäufe von Insidern nicht gemeldet werden, gibt es ein echtes Problem. Die Börsenaufsicht ist in den USA kein zahnloser Tiger, die Strafen für Regelverstöße sind kräftig.
Drittens ist es vergleichsweise unwahrscheinlich, dass Oracle die Öffentlichkeit absichtlich falsch über die Unternehmenssituation informiert hat. Denn amerikanische Anleger haben bei Täuschung Anspruch auf Schadenersatz. Und Schadenersatz in den USA ist finanziell sehr schmerzhaft.
Von solch strengen Regeln, die auch noch umgesetzt werden, konnten Anleger in Deutschland bisher nur träumen. Aber jetzt kommt endlich Hans Eichel ins Spiel. Er hat diese Woche ein Wortungetüm veröffentlicht, den "Entwurf für das vierte Finanzmarktförderungsgesetz". Damit soll den Glücksrittern am deutschen Aktienmarkt das Abzocken in Zukunft schwerer gemacht werden. Der Finanzminister hat dabei so kräftig in den USA abgeschrieben, dass er dieses Ziel vielleicht sogar erreichen könnte.
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