HANDELSBLATT, Mittwoch, 11. Juni 2008, 12:40 Uhr | Energiepreise
Außer Kontrolle Von Dirk Heilmann
Die stark gestiegenen Ausgaben für Öl und Gas lösen weltweit Proteste in der Bevölkerung aus. Die Politik agiert hilflos. Mögliche Steuererleichterungen und Subventionen vergrößern das Problem der schwindenden Ressourcen. Die Macht des Ölkartells wächst.
| | Schlange stehen für Gas in Bhopal, Indien: Rapide gestiegene Rohstoffpreise wirken sich weltweit auf die Verbraucher aus. Foto: dpa |
LONDON. Der Aufruhr kennt keine Grenzen: Die Fischer streiken in Italien, Spanien und Portugal, Bauern protestieren in Frankreich, Lastwagenfahrer blockieren englische Autobahnen. Europa hat die höchsten Benzinpreise der Welt, doch auch anderswo ist der Zorn über steigende Preise groß. Proteststreiks in Indien, Blockaden in Südkorea, Demonstrationen in Indonesien. Kein Preis hat eine solche Signalfunktion für Konsumenten und Kleinbetriebe wie der Preis für Benzin und Diesel. Durch ihn wirken die rapide steigenden Rohölpreise direkt auf den Endverbraucher. Doch die Treibstoffpreise sind auch politische Preise, in manchen Ländern durch Steuern aufgebläht, in anderen durch Subventionen gedrückt. Das macht die Proteste verständlicher - der Benzinpreis ist ein politischer Preis, weil der Staat ihn manipuliert. Kein Wunder, dass sich Regierungen weltweit zu Reaktionen herausgefordert sehen. In Österreich hat die Regierung bereits eine Anhebung der Pendlerpauschale versprochen. Die britische Regierung hat ihre Heizkostenhilfen für Einkommensschwache erweitert und denkt darüber nach, auf die geplante Anhebung der KFZ- und Benzinsteuer zu verzichten. Auch in Italien und Frankreich wollen die Regierungen den Bürgern helfen. Bildergalerie: Was in puncto Gaspreis auf die Verbraucher zukommt. So verständlich das aus kurzfristigen politischen Erwägungen sein mag: Die relativ hohen Energiepreise in Europa haben in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend dazu beigetragen, dass die Ölnachfrage des Kontinents trotz steigender Wirtschafts- und Fahrleistung von 1980 auf 2006 um rund drei Prozent zurückging. Hohe Preise reizen den Verbraucher zum sparsameren Umgang mit dem schwarzen Gold - das ist aktuell in den USA zu beobachten, wo der lange Boom der Geländewagen und Kleinlaster abrupt zu Ende ging. Hier lag der aktuelle Verbrauch laut Energieministerium im Mai um ein Prozent niedriger als vor einem Jahr. Das Problem ist nur, dass die sinkende Nachfrage in Europa, Japan und jetzt auch in Nordamerika von dem steigenden Bedarf in China, Indien und anderen Schwellenländern mehr als kompensiert wird. Hier steigt die Nachfrage ungebrochen, und eine der Ursachen dafür ist, dass viele dieser Länder Treibstoff subventionieren, im Gegensatz zu Europas Regierungen also per Staatseingriff verbilligen. Lesen Sie weiter auf Seite 2: Wodurch die größte Verzerrung des Ölmarktes entsteht |
| | Steiler Anstieg: Die Preise am Rotterdammer Spotmarkt explodieren. Grafik: Handelsblatt |
"Die größte Verzerrung des Ölmarktes entsteht durch den weitverbreiteten Einsatz von Treibstoffsubventionen in Schwellenländern", kritisiert Adam Sieminski, Chef-Energieökonom der Deutschen Bank in New York. Er hat errechnet, dass der Ölverbrauch in Ländern, in denen die Regierung die Treibstoffpreise subventioniert, seit 2000 um 5,7 Prozent gestiegen ist. In den Industriestaaten der OECD sei er hingegen um 0,1 Prozent gesunken und außerhalb der OECD in Ländern ohne Subventionen nur um 2,3 Prozent gestiegen. » 12 Fakten: Was jeder über Erdöl wissen sollte
Nach einer Studie der Investmentbank Morgan Stanley kommt fast die Hälfte der Weltbevölkerung in den Genuss von Treibstoff-Subventionen. In China liegt der Preis etwa bei einem Drittel des deutschen Niveaus, in Indien bei der Hälfte. Der Internationale Währungsfonds hat in einer Studie 2007 nachgewiesen, dass die für Subventionen aufgewendeten Milliarden den Armen viel mehr helfen könnten, wenn sie in den Aufbau einer sozialen Grundsicherung fließen würden. Die Regierungen vieler Schwellenländer haben bereits erkannt, dass sie mit ihren Subventionen letztlich gegen einen teilweise selbst verursachten Anstieg der Ölpreise ankämpfen. Das halten die Staatshaushalte nicht mehr lange durch. China senkt allmählich die Subventionen; auch andere asiatische Staaten gehen diesen unpopulären Schritt. Indien denkt ebenfalls darüber nach. Jenseits von der Besteuerung oder Subventionierung von Benzinpreisen hat der jüngste Anstieg des Rohölpreises auf fast 140 Dollar je Barrel (159 Liter) auch die Diskussion über sogenannte "Windfall Taxes" angeheizt, also Zusatzsteuern auf die hohen Gewinne der Ölkonzerne. Im US-Wahlkampf haben sich dafür sowohl John McCain als auch Barack Obama ausgesprochen. Ökonomen warnen jedoch, dass eine solche Strafsteuer die Öl- und Gasproduktion hemmen werde - auch das wirke sich dann steigernd auf den Ölpreis aus. Das lässt sich zum Beispiel in Russland ablesen, wo der Staat die Steuern drastisch erhöht hat und jetzt feststellt, dass die Produktion im laufenden Jahr zu sinken beginnt. Eine ähnliche Erfahrung hat auch die britische Regierung gemacht, die den Öl- und Gasproduzenten in der Nordsee 2002 einen Aufschlag von zehn Prozentpunkten auf die übliche Unternehmensteuer verordnete und diesen Satz 2005 auf 20 Prozentpunkte erhöhte. Nach Einschätzung von Industrievertretern hat das den Rückgang der Produktion, der derzeit bei fünf Prozent im Jahr liegt, beschleunigt. "Politiker auf der ganzen Welt sollten lieber den Ölverbrauch kontrollieren und die Ölproduktion fördern, als Spekulanten die Schuld an steigenden Preisen zu geben", sagt Ökonom Sieminski. Denn die Schere zwischen der Angebots- und Nachfragekurve für Öl öffnet sich weiter, wie die jüngste Prognose der Internationalen Energie-Agentur zeigt. Sie korrigierte zwar ihre Prognose für die weltweite Ölnachfrage 2008 um 70 000 Barrel am Tag nach unten, senkte aber zugleich ihre Schätzung für die Ölproduktion außerhalb der Opec-Staaten um 300 000 Barrel am Tag. Wieder wird die Macht des Ölkartells ein Stück größer. » Bilderstrecke: Die Top-Ten der größten Ölfelder
Lesen Sie weiter auf Seite 3: Berlin für Wettbewerb Berlin für Wettbewerb Wenn es schwierig wird, ruft der Deutsche nach Hilfe vom Staat. Aus fast jeder Partei fordern Politiker neue Subventionen, um wahlweise Pendler oder Verbraucher mit niedrigen Einkommen bei Benzin, Heizöl oder Gas zu entlasten. Die CSU macht die Forderung nach Wiedereinführung der Pendlerpauschale zum Wahlkampfschlager. SPD-Politiker fordern Sozialtarife von den Stromkonzernen, die auf die übrigen Stromkunden umgelegt werden sollen. Die FDP verlangt, den niedrigen Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, der heute für Lebensmittel gilt, auf Energieprodukte auszudehnen. Die Bundesregierung stemmt sich gegen diese Forderungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) seien sich völlig einig, dass kurzfristiger Aktionismus mehr schade als nutze, hieß es in Regierungskreisen. Finanzstaatssekretär Thomas Mirow sagte, es sei ein "falsches Signal", Energiesteuern abhängig vom Ölpreis zu senken. Produzenten und Energiehändler würden nur neue Preiserhöhungsspielräume sehen. Der Verbraucher hätte nichts davon. Kurzfristig sieht die Regierung keine Möglichkeit, national Energiepreise einzudämmen. International will sie, etwa auf dem G7-Finanzministertreffen nächstes Wochenende, diskutieren, wie die Industriestaaten gemeinsam gegen die Preisspirale vorgehen könnten. Langfristig soll national mehr Wettbewerb unter den Anbietern den Preisanstieg dämpfen. Viel zu wenige Verbraucher nutzten die Möglichkeit, den Lieferanten zu wechseln, beklagen Preisvergleichsagenturen. Energiesparprogramme und der Ausbau erneuerbarer Energien sollen die Abhängigkeit von Öl und Gas mindern. Die Union drängt zudem auf längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. (Donata Riedel; Sven Afhüppe) Lesen Sie weiter auf Seite 4: In Südeuropa wächst der Zorn In Südeuropa wächst der Zorn Leere Regale in den Supermärkten, Tankstellen ohne Benzin: In Spanien droht der erst am Montag begonnene Streik der Lastwagenfahrer gegen die hohen Spritpreise die Wirtschaft des Landes lahmzulegen. Fabriken wie das Hauptwerk von Seat nahe Barcelona unterbrachen wegen fehlender Teile die Produktion. Aus Angst vor Versorgungsengpässen in den kommenden Tagen kauften die Spanier die Regale der Supermärkte leer. Die LKW-Fahrer fordern von der Regierung eine Senkung der Mineralölsteuer. Doch Madrid weigert sich bislang, Zugeständnisse zu machen. Auch in Frankreich empören sich seit Wochen Fischer, LKW-Fahrer und Bauern über die hohen Ölpreise und fordern staatliche Maßnahmen. Landwirtschaftsminister Michel Barnier versprach den Fischern 40 Mill. Euro, LKW-Fahrer sollen ihre Sozialabgaben zu einem späteren Zeitpunkt zahlen können. Die französische Regierung, die kaum finanziellen Spielraum hat, setzt ihre Hoffnung auch auf den französischen Ölkonzern Total. Die Nummer vier der Branche weltweit wird zur Kasse gebeten. Total-Chef Christophe de Margerie versprach am Montag, Geld zu einem Hilfsfonds beizusteuern. Damit unterstützt die Regierung sozial Benachteiligte, die mit Öl heizen. Schon im vergangenen Winter erhielten rund 700 000 Haushalte staatliche Hilfen. Total hatte sich damals schon beteiligt. Für kommenden Winter garantiert Margerie wieder die Summe von 102 Mill. Euro. Allerdings verlangte er, dass auch andere in Frankreich aktive Ölkonzerne zur Kasse gebeten werden. In Italien, wo die Fischer streiken, will Wirtschaftsminister Giulio Tremonti die Gewinne der Ölkonzerne stärker besteuern, um damit den Bedürftigen zu helfen. Er hofft, dass andere europäische Länder mitmachen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte schon versucht, die EU zu mobilisieren. Er wollte die Steuer auf Mineralöl einfrieren, scheiterte aber am Widerstand in Brüssel. (Tanja Kuchenbecker; Anne Grüttner) » Wohin die Opec-Ölströme fließen: Interaktive Opec-Übersichtskarte
Lesen Sie weiter auf Seite 5: Peking fürchtet Inflation Peking fürchtet Inflation Auch Chinas Brummifahrer spüren die hohen Ölpreise. Zwar müssen sie für den Liter Sprit nicht mehr Geld bezahlen, denn die Benzinpreise werden von der Regierung künstlich niedrig gehalten. Dafür brauchen die Lastwagenfahrer aber viel Geduld: Vor allem an den Diesel-Zapfsäulen im Land staut sich der Schwerverkehr inzwischen über Kilometer. Und nach Ansicht der Experten werden die Engpässe bei Benzin und Diesel in China noch zunehmen. Das schwere Erdbeben in Sichuan hat einige Raffinerien beschädigt und zugleich die Nachfrage nach Diesel erhöht. Zudem will Peking die Benzinlager momentan füllen, um für die Olympischen Spielen gerüstet zu sein. Vor allem aber haben Chinas Ölriesen trotz hoher Nachfrage die Produktion zum Teil gedrosselt. Denn die Kosten sind für die Hersteller mit Blick auf den billigen, staatlich vorgegebenen Verkaufspreis zu hoch, sagt Gideon Lo, Analyst von DBS Vickers. Sinopec - einer der großen Ölkonzerne in der Volksrepublik - verliert momentan mehr als 3 000 Yuan (rund 300 Euro) bei jeder Tonne Benzin oder Diesel aus den eigenen Raffinerien. Die von der Regierung dafür gewährten Steuererleichterungen könnten diese Verluste bei weitem nicht auffangen, so der Konzern. Chinas Ölriesen müssen inzwischen große Mengen Öl importieren, um den enormen Bedarf im Reich der Mitte zu decken. Peking hat aber den Benzinpreis an den Tankstellen nur einmal in den vergangenen zwei Jahren erhöht. Mit rund 50 Euro-Cent pro Liter ist Kraftstoff in China relativ günstig. Die chinesische Regierung sträubt sich aber, die Benzinpreise anzuheben, da dies die Inflation weiter antreiben könnte. Die liegt bereits jetzt bei acht Prozent und damit auf dem höchsten Niveau seit mehr als zehn Jahren. (Andreas Hoffbauer) |