Den meisten Anlegern ist intuitiv bewusst, dass mit dem KGV wenig anzufangen ist, wenn die Gewinne einer Firma oder einer Volkswirtschaft im Keller sind.
Den wenigsten ist allerdings klar, dass das auch im umgekehrten Fall gilt, dann nämlich, wenn die Gewinne auf zyklischen Spitzenmargen beruhen.
Würden, um ein Beispiel zu machen, die Gewinne im Dax auf das trostlose Niveau der frühen 2000er-Jahren zurückfallen - etwa wegen einer Rezession -, notierte der Index plötzlich mit einem KGV von 50. Niemand würde im diesem Falle ernsthaft ein angemessenes KGV von 15 postulieren - respektive einen fairen Wert von 2250 Zählern, der sich eben dann ergäbe, wenn man den unterstellten Rezessionsgewinn schlicht mit 15 multipliziert.
Ebenso abenteuerlich ist es indessen, einmal erreichte Spitzenmargen einfach in die Zukunft fortzuschreiben, wie es derzeit geschieht. In Europa sind Rentabilitätsdaten dünn gesät. Als Indiz mag jedoch dienen, dass der Anteil der Unternehmens- und Vermögenseinkommen am deutschen Volkseinkommen zuletzt sogar noch eine Spur größer war als im Hoch Anfang der 70er. Seit dem Tief von 24,9 Prozent 1980 ist er nunmehr auf satte 35,4 Prozent gestiegen. Der "Gewinnanteil" bewegt sich damit um ganze sechs Prozentpunkte über dem Durchschnitt seit 1970. In den USA liegt die Gewinnspanne der Kapitalgesellschaften um fast die Hälfte über dem Mittel seit 1970. Bei "normaler" Rentabilität notierten US-Aktien also mit einem KGV von 23,5.
Irgendwo in dieser Gegend dürfte auch das "normalisierte" KGV in Deutschland liegen. Der aus demografischen Gründen zu befürchtenden Verknappung des Faktors Arbeit zum Trotz und in dem ökonomischen Irrglauben, die Firmen könnten von nun an für immer das fast Doppelte der Kapitalkosten einfahren - etwa wegen der Globalisierung -, haben die Anleger es also längst etwas zu weit getrieben. Ähnlich wie Anfang der 70er setzen sie darauf, dass die alten Margenrisiken - Wettbewerb, Regulierung, Angebotsschocks, Rezession, Überhitzung, Überinvestition, Inflation, Deflation - in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Zwischen Anfang 1970 und 1982 war der MSCI Deutschland real um gut die Hälfte gefallen.
Dazu muss es diesmal nicht kommen. Dennoch haben die Investoren völlig aus dem Blick verloren, dass Aktien an Umsatz, Buchwert, Cashflow oder Dividenden gemessen extrem teuer geworden sind. Und das gilt trotz der niedrigen Realzinsen, der Quelle der Hausse, die langsam zu versiegen droht.
Quelle: Das Kapital
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