Bernd Niquet: The Writing on the Wall vom 01.10. 10:43 (Dr. Bernd Niquet) Bernd Niquet: The Writing on the Wall
Heute läßt sich die Zeitung wirklich wieder einmal mit Erleichterung aufschlagen. Günter Grass, T-Aktie und Lafontaine sind die Schlagzeilen und auch die Börsennachrichten sind wieder gut. Doch ist das wirklich ein zutreffendes Bild oder verstecken sich die Beklemmungen derzeit nur?
1) Gestern dominierten noch die Schlagzeilen, dass die Bundesregierung nun wohl doch eine einmalige Vermögensabgabe beschließen will, was natürlich der Irrsinn pur wäre. Denn neben den ohnehin ungelösten Veranlagungsproblemen (Stichwort: Einheitswert von Immobilien, hohe Erhebungskosten, Bundesverfassungsgericht) signalisiert die Regierung hiermit das Gleiche wie bereits in ihrer Rentenlösung:
Es geht nicht mehr um verläßliche Regeln und um Systematik, sondern nur noch darum, irgendwie das nötige Geld herbeizuschaffen. Deshalb sind wohl auch Analogien mit einem amoklaufenden und wild um sich schießenden Familienvater sicherlich nicht allzu weit hergeholt.
2) Noch größer scheint mir die Not einiger Unternehmen am Neuen Markt zu sein. So habe ich gestern mit Fassungslosigkeit gelesen, dass bei mb-Software anscheinend eine Kapitalerhöhung gescheitert ist, weil der- oder diejenigen, die gezeichnet hatten, schlichtweg nicht gezahlt haben. So ist man nun gezwungen, doch an den Kapitalmarkt zu gehen, traut sich jedoch nicht, eine normale Kapitalerhöhung zu machen und den Aktionären ein Bezugsrecht einzuräumen, sondern gewährt ohne Abwicklung über ein formales Bezugsrecht den Altaktionären junge Aktien im Verhältnis 10:1 zum Kurs von knapp über 15 Euro.
Und das bei einem gegenwärtigen Kurs der Aktie von etwa 44 Euro! Man muss also, so kann man hier nur schließen, so dringend Geld brauchen, dass man sich dafür fast auf der Straße verkauft. Das alles hat nichts mehr mit einer geordneten Börsensituation zu tun, sondern deutet nur noch auf nackte Panik hin. Und die nächsten Geldtanker sind sicherlich bereits in der Pipeline.
3) Fast am schlimmsten jedoch der Fall Japan. Mein Gott, was ist aus diesem Land geworden? Vor 10 Jahren noch das große Vorbild und jetzt müssen alle armen Schuldner dieser Welt, an der ersten Stelle die Vereinigten Staaten, den größten Gläubiger retten, nur um damit das Weltfinanzsystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren.
Und wie leicht derartige Krisen dort genommen werden, sieht man ja am gegenwärtigen Atomunfall. The same procedure as ever: Erst verschweigen, dann vertuschen - und dann die anderen den Schaden beheben lassen. So scheint also mittlerweile ganz Japan zu einer riesigen Zeitbombe geworden zu sein.
Bernd Niquet, Freitag, 1.Oktober 1999: berndniquet@iname.com
(Neuer Artikel in DER AKTIONÄR, 20/1999, "Was Greenspan wirklich will".
Neuer Artikel in EURO AM SONNTAG von letztem Wochenende "Gewürfelte Ergebnisse" über die Bilanzierungsdifferenzen bei Unternehmen des Neuen Marktes nach HGB und US-GAAP.
ich kann mich nur anschließen und sagen, wer heute den mehr als 20-fachen prognostizierten gewinn für aktien bezahlt, wird sehr bald erleben, wie diese aktien zu weniger als KGV 15 gehandelt werden. |