Rechtsprechung des Landgerichts Nürnberg-Fürth in Zivilsachen
Geldanlage / Aktienkauf / Brokergeschäfte
Hier: Haftung des Brokers beim Online-Broking / Phone-Broking
Schadensersatzanspruch des Kunden wegen verzögerter Durchführung eines Auftrags:
Broker hatte in Broschüren verbindlich zugesagt, Aktien-Order innerhalb weniger Sekunden an die Handelsplätze weiter zu leiten.
Wegen eines Software-Fehlers verzögerte sich die Abwicklung. In der Zwischenzeit stieg der Kurs der Aktie. Der Kunde musste deshalb für die bestellten Aktie mehr bezahlen als bei sofortiger Ausführung des Auftrags.
Broker muss dem Kunden den vermeidbaren Mehrpreis erstatten.
Kernaussage der Entscheidung (nicht-amtliche Zusammenfassung)
Ist beim sogenannten Online- bzw. Phone-Broking die verbindliche Zusage der Weiterleitung einer Kundenorder an die Handelsplätze in wenigen Sekunden zur Vertragsgrundlage des zwischen zwischen dem Broker-Unternehmen und dem Kunden bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrages geworden, so haftet das Broker-Unternehmen dem Kunden auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung, wenn die sofortige Durchführung der Kunden-Order zum Ankauf von Aktien bei Börsenbeginn infolge eines von dem Broker-Unternehmen zu vertretenden Umstands unmöglich geworden.
BGB §§ 325, 276
Sachverhalt (zusammengefasst)
Der Kläger macht gegen die verklagte Broker-Gesellschaft Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Abwicklung eines über Telefoncomputer erteilten Auftrags zum Ankauf von Aktien geltend.
Der Kläger orderte über Telefon durch Einwahl in das Computersystem der Beklagten am 16.07.1998 um 8.18 Uhr 500 Stück I-Aktien über den Börsenplatz B. Über seine Order erhielt der Kläger seitens der Beklagten um 8.19 Uhr eine Bestätigungsordernummer zugeteilt. Handelsbeginn an der Börse in B. war um 8.30 Uhr. Der erste Tageskurs am 16.07.1998 für die I-Aktie betrug dort 244,00 DM.
Um 8.36 Uhr wurden an der Börse in B. 150 Aktien zu einem Kurs von 234,00 DM und 1.220 Aktien zu einem Kurs von 239,00 DM gehandelt. Um 8.47 Uhr betrug der Kurs 268,00 DM.
Aufgrund eines Software-Fehlers in der Computeranlage (sogenanntes Routingproblem) führte die Beklagte den Auftrag des Klägers nicht sofort bei Börsenbeginn, sondern erst später zu einem Kurs von 268,00 DM pro Aktie aus. Demgemäß rechnete die Beklagte den Kauf der Aktien wie folgt ab:
Kurswert:..........134.000,00 DM Provision:.................201,00 DM Courtage:.................107,20 DM eigene Spesen:............13,00 DM
Gesamtbetrag:....134.321,20 DM
Der Kläger geht davon aus, daß sein Aktienkauf zu einem Kurs von 239,00 DM abzurechnen sei. Diesbezüglich stützt sich der Kläger auf eine von der Beklagten vorgelegte "Kursauskunft Reuters", die mit Kursen um 8.36 Uhr von 234,00 DM und 239,00 DM - jeweils mit dem Zusatz "b" beginnt.. Der Kläger ist der Ansicht, insbesondere aufgrund der ihm von der Beklagten zusammen mit den Kontoeröffnungsunterlagen zugesandten Broschüren mit dem Titel "online an die Börsen der Welt" und "Wertpapier-Wegweiser" sowie mit ihrer ständigen Werbung habe die Beklagte eine sekundengenaue Abwicklung im Börsensaal zugesagt. Eine solche sei aber aufgrund Verschuldens der Beklagten nicht eingehalten worden. Das technische System der Beklagten sei dem Kundenansturm nicht gewachsen gewesen, da die Beklagte es versäumt habe, dieses System auf die zahlenmäßige Vervielfachung der Kundschaft aufzurüsten. Deshalb sei das "Phone-Broking-System" der Beklagten am 16.07.1998 technisch erweitert worden.
Soweit die Beklagte sich auf eine Service-Garantie berufe (siehe unten), sei diese entgegen der Ausführungen der Beklagten nicht in dem "Wertpapier-Wegweiser" enthalten.
Aufgrund der Differenz zwischen dem abgerechneten Kurs von 268,00 DM und dem ihm zu gewährenden Kurs von 239,00 DM errechne sich bei 500 Stück Aktien ein Schaden in Höhe von 14.500,00 DM, den der Kläger mit der Klage geltend macht.
Die Beklagte bestreitet die bei ihr aufgetretenen Routing-Probleme nicht. Sie trägt vor, sie habe ihren Kunden eine Service-Garantie mit folgendem Wortlaut gewährt:
"Via T-Online, Internet und Phone-Broking werden Ihre Aufträge in der Regel innerhalb von 30 Sekunden an die Deutschen Präsenzbörsen geleitet. Sollte eine korrekt eingegebene und entgegengenommene Order nach 1/2 Stunde nicht an der Börse vorliegen, garantieren wir Ihnen den Ausführungskurs, der Ihnen zusteht. Darüber hinaus erlassen wir Ihnen die Transaktionsprovision."
Die Beklagte behauptet, diese Service-Garantie sei in ihrem Wertpapier-Wegweiser auf Seite 6 enthalten. Danach habe der Kläger lediglich einen Anspruch auf den 30 Minuten nach seiner Ordereinstellung um 8.17 Uhr, d. h. also um 8.47 Uhr an der Börse B. festgestellten Kurs. Dieser betrage 268,00 DM. Im übrigen meint die Beklagte, aus ihrer Werbung ergebe sich kein Rechtsanspruch auf den Ausführungskurs, da es sich bei dieser Werbung lediglich um eine Anpreisung bzw. unverbindliche Beschreibung der Zugangsmöglichkeiten handele. Eine zugesicherte Eigenschaft, für die die Beklagte bei Fehlern einzustehen hätte, ist darin nicht zu sehen. Die Aussage sei nicht Vertragsbestandteil geworden, da sich in den Kontoeröffnungsunterlagen, die die Rechtsgrundlage der Geschäftsbeziehung bilden, keine diesbezügliche Vereinbarung finde. Außerdem habe die Beklagte keine Gewähr dafür übernommen, daß der Kundenauftrag von der Börse zu dem vom Kunden gewünschten Kurs oder "bestens" auch tatsächlich durchgeführt werde. Dies könne sie auch nicht, weil die Verträge zwischen den Kunden und den von der Beklagten frei und unabhängig handelnden Börsenmaklern zu schließen sind.
Die Beklagte könne auch aufgrund der Eigenart des von ihr betriebenen Geschäfts für die sofortige Weiterleitung eingehender Aufträge gerade keine uneingeschränkte Garantie übernehmen, zumal die Beklagte hier maßgeblich vom öffentlichen Telefonnetz abhängig ist und dessen Störungen ebensowenig verantworten kann, wie Störungen im eigenen EDV-Netz.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im wesentlichen auch begründet.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gemäß § 325 Abs. 1 Satz 1 BGB in Höhe von 12.027,60 DM zu, da der Beklagten die sofortige Durchführung des Auftrages des Klägers zum Ankauf von 500 Stück I-Aktien am 16.07.1998 bei Börsenbeginn um 8.30 Uhr infolge eines von ihr zu vertretenden Umstandes unmöglich geworden ist.
Durch die Order des Klägers am 16.07.1998 um 8.18 Uhr, die von der Beklagten um 8.19 Uhr durch Zuteilung der Bestätigungsordernummer angenommen worden ist, kam zwischen den Parteien ein Geschäftsbesorgungsvertrag dahingehend zustande, daß die Beklagte bei Börsenöffnung um 8.30 Uhr in B. 500 Stück I-Aktien zum Eröffnungskurs kaufen sollte. Vertragsgrundlage dieses Geschäftsbesorgungsvertrages war nach Ansicht der Kammer die beim XY-Online-Broking zugesagte Weiterleitung der Kundenorder über das Routing-System an die Handelsplätze in wenigen Sekunden. Diese Zusage findet sich in den dem Kläger mit seinen Kontounterlagen zugesandten Broschüren "Online an die Börsen der Welt" und "Wertpapier-Wegweiser". Diese Broschüren sind Grundlage der jeweiligen Geschäftsbesorgungsverträge zwischen den Parteien bei Inanspruchnahme des XY-Phone-Broking und des XY-Online-Broking. Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 7.10.1998 ausführt, es handele sich bei dieser Werbung lediglich um eine Anpreisung bzw. unverbindliche Beschreibung der Zugangsmöglichkeiten, welche nicht Vertragsbestandteil geworden sei, da sich in den Kontoeröffnungsunterlagen, die die Rechtsgrundlage der Geschäftsbeziehung bilden, keine diesbezügliche Vereinbarung findet, kann die Kammer dem nicht folgen. Zum einen ist im Konto-/Depoteröffnungsantrag des Klägers überhaupt keine Regelung über die Eröffnung eines Depots und eines Kontokorrentkontos zu Verrechnungszwecken hinaus enthalten. Zum anderen ging die Beklagte in ihrem früheren schriftsätzlichen Vorbringen im Rechtsstreit selbst davon aus, daß der "Wertpapier-Wegweiser" Bestandteil der vertraglichen Vereinbarung der Parteien ist. In diesem ist auf Seite 13 folgende Aussage enthalten:
"Ein spezielles Routing-System leitet Ihre Order, in wenigen Sekunden, direkt an die Handelsplätze."
Auf Seite 15 findet sich folgende Aussage:
"Wie bei T-Online geben Sie Ihre Käufe und Verkäufe schnell und bequem auf und senden sie in Sekunden direkt an die Börse."
Hinsichtlich des YY-Phone-Broking findet sich auf Seite 16 folgende Aussage:
"Mit XY-Phone-Broking erledigen Sie sämtliche Wertpapiergeschäfte schnell und professionell - auch unterwegs. Sie agieren direkt im Börsensaal - ohne Zeitverzögerung - und zu unschlagbaren Konditionen."
Vergleichbare Aussagen finden sich in der Broschüre "Online an die Börsen der Welt" auf Seite 15, 17 und 19.
Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei sogar um eine Garantie handelt, d. h. um ein Versprechen eines sekundenschnellen Börsenzuganges durch die Beklagte, bei deren Nichteinhaltung sie in jedem Fall für den Schaden des Kunden einstehen will. Denn jedenfalls sind die dargestellten Aussagen bzw. Zusagen der Beklagten Vertragsgrundlage zwischen den Parteien für das Online-Broking bzw. Phone-Broking geworden.
Unstreitig hat die Beklagte die vertraglich zugesagte Weiterleitung der Order des Klägers am 16.07.1998 um 8.18 Uhr nicht eingehalten. Ein Ankauf von I-Aktien zum Kurs bei Handelsbeginn um 8.30 Uhr an der Börse Berlin ist der Beklagten dadurch unmöglich geworden, daß die Order des Klägers erst verspätet - zu welchem genauen Zeitpunkt ist nicht vorgetragen - an die Börse Berlin weitergeleitet worden ist. Dadurch konnte ein Aktienkauf zum Eröffnungskurs nicht mehr stattfinden. Dieses nachträgliche Unmöglichwerden hat die Beklagte auch gemäß § 276 BGB zu vertreten. Wie der Kläger unbestritten vortrug, war das technische System der Beklagten dem Kundenansturm nicht gewachsen, durch das Versäumnis der Beklagten, dieses System auf die zahlenmäßige Vervielfachung der Kundschaft aufzurüsten. Der Kläger trug des weiteren unbestritten vor, daß das Phone-Broking-System der Beklagten um den 16.07.1998 durch die Beklagte bzw. in deren Auftrag technisch erweitert worden sei und daher Unregelmäßigkeiten der technischen Anlage der Beklagten verständlich seien. Der Kläger erhob bereits in der Klageschrift gegenüber der Beklagten den Verschuldensvorwurf. Diesem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Bei der gegebenen Sachlage, d. h. den Problemen in ihrem System, hätte es der Beklagten oblegen, substantiiert dazu vorzutragen, daß ihr ein Verschuldensvorwurf, d. h. wenigstens ein Vorwurf der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht zu machen sei.
Soweit die Beklagte sich auf die oben genannte Service-Garantie beruft, steht dies einem Anspruch des Klägers im vorliegenden Verfahren nicht entgegen. Zum einen dürfte diese Garantie eine Verschuldenshaftung nicht ausschließen. Zum anderen hat die Beklagte nicht bewiesen, daß konkret diese Service-Garantie Vertragsbestandteil geworden ist. In dem vom Kläger vorgelegten "Wertpapier-Wegweiser" ist die von der Beklagten angeführte Bestimmung nicht enthalten. Die Beklagte, die einerseits die Zusendung der vom Kläger vorgelegten Broschüren zusammen mit dessen Kontounterlagen an den Kläger nicht bestreitet, hätte andererseits konkret dazu vortragen und Beweis anbieten müssen, daß ihre "Service-Garantie" - möglicherweise nachträglich - Vertragsbestandteil zwischen den Parteien geworden ist.
Die Nichtweiterleitung der Order des Klägers an die Börse ist auch kausal für die Entstehung des vom Kläger geltend gemachten Schadens. Soweit die Beklagte vorträgt, es sei nicht gewährleistet, daß überhaupt Aufträge durchgeführt werden oder alle Aufträge zum Zuge kommen, d. h. daß bestritten werde, daß die Börse in B. und einer der dort tätigen Makler den Auftrag des Klägers vor 8.45 Uhr überhaupt angenommen hätte, kann sie damit keinen Erfolg haben. Der Kläger hat unwidersprochen - unter Bezugnahme auf den von der Beklagten vorgelegten Kursverlauf "Reuters" - vorgetragen, daß die Anmerkung "b" hinter den Kursen bedeutet, daß spätestens um 8.36 Uhr 500 Stück der I-Aktie mit dem durch den Kläger eingeklagten Kurs von 239,00 DM tatsächlich gehandelt worden sind. Danach wurden in der Zeit von 8.36 Uhr bis 8.38 Uhr insgesamt 2.214 Aktien mit einem Kurs von 239,00 DM gehandelt, des weiteren 321 Aktien mit einem Kurs von 238,00 DM und 150 Aktien mit einem Kurs von 234,00 DM.
2. Die Höhe des dem Kläger zu ersetzenden Schadens beträgt 12.027,60 DM.
Unstreitig betrug der Kurs der I-Aktie am 16.07.1998 zu Handelsbeginn 244,00 DM. Soweit der Kläger sich im Rechtstreit unter Bezugnahme auf die von der Beklagten vorgelegte Kursmaklertabelle auf einen Kurs von 239,00 DM bezieht, der um 8.36 Uhr gehandelt wurde, kann dieser nicht zur Grundlage seines Schadenersatzanspruches gemacht werden. Die Kursmaklertabelle wurde von der Beklagten vorgelegt, um den Kursstand um 8.47 Uhr mit 268,00 DM nachzuweisen, nicht jedoch um den Anfangskurs um 8.30 Uhr bzw. 8.31 Uhr darzulegen. Für die Kammer ist aufgrund Vorlage der Kursmaklertabelle nicht ersichtlich, ob die unterste Zeile der Tabelle, die den Kurs um 8.36 Uhr mit 234,00 DM ausweist, tatsächlich den ersten an diesem Tag gehandelten Kurs darstellt, oder ob bereits vorher Kurse ausgehandelt worden sind, die möglicherweise nicht auf der Tabelle mit abgedruckt wurden. Es ist deshalb von dem vom Kläger bereits in der Klage bezeichneten Kurs von 244,00 DM auszugehen, den die Beklagte im Schriftsatz vom 15.02.1999 auch bestätigt hat.
Für den Kauf von 500 I-Aktien zu je 244,00 DM wären dem Kläger folgende Kosten entstanden:
Kurswert:...................122.000,00 DM Provision 1,5 Promille:.......183,00 DM Courtage 0,8 Promille:.........97,60 DM eigene Spesen:.....................13,00 DM
Gesamtkosten:..............122.293,60 DM.
Aus der Differenz zum tatsächlich berechneten Kurs ergibt sich der dem Kläger zu ersetzende Schaden.
Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.05.1999, Az. 14 O 9971/98; rechtskräftig |