In seiner größten sportlichen Krise muss der Hamburger SV weitere Nackenschläge verkraften, und Thomas Doll bleibt Trainer auf Abruf. Die seit Wochen gebetsmühlenartig wiederholten Treueschwüre der Klubführung klingen angesichts der dramatisch verschärften Lage eher verzweifelt als überzeugend.
"Wir haben gesagt, wir ziehen das bis Weihnachten durch. Dabei bleibt es", sagte der frustrierte Clubchef Bernd Hoffmann nach dem bitteren 1:2 (1:1) im Kellerduell beim VfL Bochum.
Der Revierclub, der erstmals seit dem 1. Spieltag die Abstiegsränge verließ, feierte den dritten Heimsieg ausgelassen. "Der Dreier ist überlebenswichtig", freute sich VfL-Coach Marcel Koller, und blickte dem Hinrunden-Ende erwartungsfroh entgegen. "Es sind noch zwei Spiele. Jetzt wollen wir über dem Strich überwintern."
"Es kommt knüppeldick"
Sein leidgeprüfter Kollege Doll mochte sich zu seiner Zukunft "nicht mehr äußern". Blass und mit starrem Blick mühte sich der 40- Jährige, die Geschehnisse zu verarbeiten. "Zur Zeit kommt es knüppeldick", gestand er. Zwar zeigte seine ersatzgeschwächte Elf nach dem frühen 0:1 durch Christoph Dabrowski (5.) mit dem Ausgleich von Danijel Ljuboja (42.) eine Reaktion.
Doch nach dem Ausscheiden von Collin Benjamin, der sich eine noch nicht genau diagnostizierte Armverletzung zuzog, überwand VfL-Spielmacher Zvjezdan Misimovic (70.) per Freistoß den unsicheren Keeper Stefan Wächter und versetzte dem HSV den K.o.-Schlag in der hart umkämpften Partie.
Van der Vaart gehen die Nerven durch
Danach brannten ausgerechnet Rafael van der Vaart die Sicherungen durch. Nach einem bösen Frustfoul (80.) an Tommy Bechmann sah der HSV-Kapitän von Schiedsrichter Wolfgang Stark (Ergolding) zu Recht "Rot" und muss mit einer längeren Sperre rechnen. Die Disziplinlosigkeit des Niederländers, der für seinen Ausraster um Verständnis warb, mochte Doll nicht akzeptieren. "Rafael sind die Nerven durchgegangen. Das geht überhaupt nicht. Gerade er als Kapitän darf so ein Foul nicht begehen. Er hat uns einen Bärendienst erwiesen", schimpfte der HSV-Coach, der in den Partien bis zur Winterpause gegen Nürnberg und in Aachen nun auch noch seinen besten Spieler ersetzen muss. "Wir haben eine ganz schlimme Phase. Alles läuft gegen uns", meinte Doll. Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer ging mit van der Vaart hart ins Gericht ("Das darf nicht passieren") und kündigte eine Strafe an. "Dafür haben wir Regelungen."
Doll glaubt weiter an seine Philosophie
23 Pflichtspiele und nur ein Sieg, Platz 17, vier Punkte Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz - eine Horrorbilanz. Der Bundesliga- Dinosaurier steht am Abgrund. Doll gestand, dass "wir zu wenig investiert haben", um das Spiel noch aus dem Feuer zu reißen. "Aber das hat nichts damit zu tun, dass ich die Spieler nicht mehr erreichen würde. Wichtig ist, dass wir weiter an uns glauben."
Doch die Vorgabe von Beiersdorfer, neun Punkte aus den letzten drei Spielen bis zur Winterpause zu holen, ist schon Makulatur. "Ich weiß, ich habe keine Argumente, weil die Resultate fehlen", räumte Doll ein. "Uns bleibt nicht viel Zeit. Wir müssen ja auch mal punkten."
Wütende Fans blockieren Mannschaftsbus
Während die Fans auf die Barrikaden gehen, steht die Mannschaft weiter zu ihrem Coach. "Ich hoffe, dass der Trainer bleibt. Wir müssen alle Kräfte bündeln, um den Abstieg zu verhindern", sagte Bastian Reinhardt, der Referee Stark heftig attackierte. Er habe "persönlich" gehört, wie dieser in der Halbzeit angekündigt habe, "einen Spieler vom Platz zu schmeißen", so der Abwehrspieler. "Das ist skandalös. In solchen Spielen braucht man einen Schiedsrichter, der Ruhe ausstrahlt und nicht die Stimmung noch anheizt."
Der Druck auf Doll, die Mannschaft, die dem Nervenspiel im Abstiegskampf nicht gewachsen scheint, und den Vorstand hat fast unerträgliche Ausmaße erreicht. Gleichwohl schreitet Doll mit fast bewundernswerter Tapferkeit weiter voran. "Ich habe noch genügend Kraft", betonte der 40-Jährige. Als einige Fans am rewirpower-Stadion eineinhalb Stunden nach Spielende die Abfahrt des Mannschaftsbusses blockierten, war es Doll, der ausstieg und die Anhänger beruhigte. Am Ende gab es Applaus für den Coach. Doch wie lange noch?
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