und machen sie sich nicht wichtiger als sie sind.. | Schröders Autobiographie
War da was? Von Nils Minkmar
| Mein Leben und ich: Schröder erzählt | 21. Oktober 2006 Er ist wieder da. Der siebte deutsche Bundeskanzler wird in der kommenden Woche seine Geschäfte aufnehmen, als sei er nie weggewesen. In „Bild“ und „Spiegel“ wird es losgehen mit der Werbung für seine Autobiographie, Auftritte im Hamburger Thalia-Theater, bei Wolfgang Herles, bei Beckmann und in der ganzen großen Republik werden folgen.
Wie sonst nur Benjamin von Stuckrad-Barre wird es Schröder gelingen, einmal durch die gesamte Medienlandschaft hindurchzusegeln und alle relevanten Sendungen und Periodika anzulaufen. Man sieht ihn schon bei „Let's dance“, bei „Wer wird Millionär“, im „Stadl“ bei Florian Silbereisen, auf Hafenrundfahrt mit Carlo von Tiedemann und mit dem Akkubohrer bei Tine Wittler. Irgendwann wird er bei Kerner enden, in einer dieser langen und unnötig weihevollen Sondersendungen, wie es sie mal für Boris Becker gab, an drei Abenden hintereinander, die Kategorie „In Deutschland weltberühmter Prominenter ohne Portefeuille“. Kommt da noch was? | Der Show-Kanzler: Wir kommen einfach |
Und am Ende dieser drei, vier Wochen Schröderfestspiele werden wir uns fragen, ob wir etwas übersehen oder nicht verstanden haben, und dumm gucken wie Waschbären, die von bösen amerikanischen Schulkindern Zuckerwatte bekommen haben, das Zeug artgemäß in Wasser tauchen und sich wundern: War da was? Es ist die gleiche Frage, die uns schon in den sieben Jahren seiner Kanzlerschaft begleitet hat: Ist der was? Je länger die Zeit verging, hieß es: Kommt da noch was? Dieses Mal ist freilich alles anders. Schröder wird in Sachen Schröder unterwegs sein, befreit von allem politischen Ballast wie einer Partei, einem großen Thema oder zumindest einem Anliegen. 300.000 Euro kostet es, die Sperrfrist seiner angekündigten Memoiren zu brechen, irgend etwas muß ja unternommen werden, um die Spannung zu steigern. Brennt irgend jemand auf das Buch? Wo soll sich im Leben von Schröder noch irgendein Arkanum verbergen? Ist da was? | Schröder, der Mittelstürmer: "Acker" |
Der Motor seiner Regierungsjahre war er selbst, er war sein eigenes Medium und seine Marke. Das Problem ist nicht, daß wir bezüglich Schröder noch Aufklärungsbedarf hätten, das Problem ist, daß wir schon immer zuviel über ihn wußten, bis hin zu seiner Scheidung (die Sache mit dem verweigerten Schnitzel, der Spitzname Gerda), die sorgsam durch Ulrike Posche in einfühlsamen Texten im „Stern“ aufbereitet wurden. Und irgendwann war ja jeder Fernsehzuschauer live dabei, auch über Niedersachsen hinaus. „Wir fahren nicht vor, wir kommen einfach“, hatte Schröder seinen Regierungsstil beschrieben. Und so hat er es dann auch gehalten, er kam, oft und fast überallhin. Wie viele Deutsche haben ihn persönlich getroffen? Eigentlich können nur Eremiten und Komapatienten in den letzten zehn Jahren dem Multimediaphänomen Schröder entkommen sein. Trotzdem blieb die Frage: Ist da was? Graue Jahre in Sachen Riester, Rürup, Hartz | Anwalt Schröder: Mandat übernommen |
Es war immer was los. Aber wo das Publikum Reden erwartet hatte, kamen bloß Plädoyers, ein Fall folgte bezugslos auf den nächsten. Schröder hat Politik gemacht wie ein Anwalt, sein erlernter, sein erwählter Beruf. Er übernahm Mandate, die schwierig erschienen und die andere schon abgelehnt hatten, ohne große Vorbereitungszeit: Oskar Lafontaine und Bodo Hombach sahen ihn als Anwalt ihrer Form sozialdemokratischer Modernisierung und verhielten sich wie seine mächtigen Klienten. Daß sie ihm zeitgleich widersprüchliche Mandate übertragen hatten, sahen sie nicht - er allerdings auch nicht. Nach den Höhen des Schröder-Blair-Papiers kamen die langen grauen Jahre in Sachen Riester und Eichel, Gerster und Rürup, später, gegen Ende, kam Peter Hartz, der merkwürdigste Klient von allen. Was für eine Szene: Der Bundeskanzler entwickelt sein wichtigstes politisches Vorhaben nicht selbst, er empfängt es am 16. August 2002 im Französischen Dom zu Berlin von einem durch keine Wählerstimme mandatierten weißhaarigen Manager, von dem wir heute auch ein bißchen mehr wissen, als uns lieb ist. Und Schröder versprach ihm und uns artig „die Umsetzung“. Abstumpfung wie bei Rilkes „Panther“ | Schröder, Mann der Öffentlichkeit |
In all diesen Fällen blieben die Blicke auf Schröder gerichtet. Das ergab mit der Zeit eine Abstumpfung wie bei Rilkes „Panther“, dem Lieblingsgedicht des Ex- Kanzlers. Man sah Schröder kraftvoll hin- und hergehen und begriff allmählich, daß seine so sorgfältig ausgestrahlte Macht bloß behauptet war und keineswegs groß genug. Der Anwalt entscheidet gar nicht über den Ausgang des Verfahrens. Es kommt in unserer formierten und verschränkten Gesellschaft, nach unserer föderal und sonstwie abgemilderten Verfassungsordnung eben doch nicht auf den Kanzler allein an. Chefsache und Richtlinienkompetenz sind schwache Zauberworte, selbst die Medien, seien sie noch so eng mit der Person des Bundeskanzlers verwoben, bewegen nicht das Land. Die Politik hat eigene Gesetze, die Schröder weit weniger virtuos zu nutzen verstand als die der Medien. Schröder war erst im April des Wahljahres 1998 ins Amt des Kanzlerkandidaten hineingeraten, er hatte vorher keine Zeit und nicht das nötige politische Kapital, Partei, Gewerkschaften und die sie stützenden sozialen Gruppen auf einen neuen Kurs einzuschwören. Er war ohnehin spät dran: Schon zehn Jahre zuvor hatte Kohl mit seinem Sturz durch innerparteiliche Verschwörungen gerechnet, dann kam die deutsche Einheit, die Jahre gingen ins Land. Sozialliberal sei ihm lieber gewesen | Koch und Kellner: lieber sozial-liberal |
Und daß es je ein rotgrünes Projekt gegeben habe, hat Schröder selbst in einem Interview mit Gunter Hofmann von der „Zeit“ in Frage gestellt. Sozialliberal sei ihm eh schon immer lieber gewesen. Trotzdem, es wäre von Anfang an mehr drin gewesen. Wenn man heute die von Reinhard Hesse in Schröders Namen verfaßten Briefe in dem als Wahlkampfmanifest gedachten Band „Und weil wir unser Land verbessern ...“ nachliest, kann es einem anders werden. Denn schon 1998 war alles da: die Rede von den Reformen, das Lob der Eigenverantwortung, die Überzeugung von der Notwendigkeit zur ambitionierten Neugestaltung der Politik und der Institutionen, der weiteren Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Nichts wurde bei Regierungsantritt beherzigt. Es kam das Scheinselbständigengesetz, eine halbgare Bulmahn-Wissenschaftsreform und eine Reihe von Niedrigverdienerbestimmungen, die allesamt den Leuten, die auf Schröder gesetzt hatten, das Leben schwergemacht haben. Dann kam Gasprom | Goldener Handschlag: Schröder und die Gazprom-Connection |
Immer, wenn es ernst wurde, gab es diese Schröderschen Sammelsuriumsreden, wo es schien, als hätten ihm all seine Klienten ihre Wünsche ins Manuskript diktiert; Reden, die über das Land gehen sollten und dann doch nur von kommunalen Finanzverfassungen und Pilzberatungsstellen handelten. Viel zu spät kam die Agenda 2010, darum war sie unausgewogen: die eingeforderten Härten bei Armen und Arbeitslosen wurden nicht in das Gesamtbild einer nationalen Anstrengung zugunsten eines höheren, gemeinsam zu erreichenden Ziels eingepaßt. So war das. Aber dann kam noch was. Lange blieb das Urteil über Gerhard Schröder in der Schwebe. Vergleiche mit Silvio Berlusconi und Jacques Chirac - beides übliche Verdächtige in allerhand Korruptionsaffären - und George W. Bush, bei dem darüber debattiert wird, ob er als der schlimmste oder nur der drittschlimmste Präsident der Vereinigten Staaten erinnert werden wird, haben die Urteilsfindung noch eine ganze Weile hinauszögern können. Denn, was immer man an Enttäuschungen über eine undurchdachte Politik formulieren mochte, korrupt ist Schröder nicht gewesen, kein Hauch von Skandal hing ihm an, und - mittlerweile muß man ja auch in Europa die Standards senken - es klebte kein Blut an seinen Händen. Er braucht uns mehr als wir ihn | Schröders Nähe zum Ex-Agenten |
Dann kam Gasprom. Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy ernannte Schröder daraufhin zum „Weltmeister in der Kategorie Korruption in einem demokratischen Staat“. Und hier muß, auch wenn es besonders gemein wirken mag, von Al Gore die Rede sein. In seiner Dokumentation „Eine unbequeme Wahrheit“ wird er einmal gefragt, wie sein Leben so weiterging, nachdem Bush 2000 zum Präsidenten ernannt worden war, und Gore antwortet: „Ich hab' halt wieder mit der Diashow angefangen.“ Man sieht Gore allein mit seinem Powerbook und Rollkoffern durch Hotels und Flughäfen ziehen, im Kampf gegen globale Erwärmung. Schröder entschied sich für Gasprom, für die Nähe zu Wladimir Putin, dem Ex-Agenten mit den kalten Augen und der nicht enden wollenden Blutspur, der jüngst erst dem israelischen Premier auftrug, Glückwünsche an Herrn Katsav auszurichten, weil der israelische Staatspräsident der Vergewaltigung angeklagt und schon sechzig ist und man ihm das nicht zugetraut hätte. Glückwünsche! Diesen Mann, dem zum Mord an Anna Politkowskaja bloß fiese Kommentare einfielen, nennt Schröder auch heute noch im „Spiegel“-Interview einen „lupenreinen Demokraten“. Putin war ein Klient zu viel. Seitdem und schon vor dem Buch ist das Verhältnis zwischen Schröder und der Öffentlichkeit geklärt: Er braucht uns mehr als wir ihn. |