Wenn private Investoren Zinsen, Dividenden oder Kursgewinne realisieren, wird die Bank ihnen diese ab 2008 möglicherweise nicht mehr in vollem Umfang gut schreiben. Denn die Bundesregierung will zur Besteuerung von Kapitalerträgen eine pauschale Abgeltungssteuer einführen, die direkt von den Kreditinstituten ans Finanzamt weitergeleitet wird. Zwar sind Details noch nicht bekannt, die öffentliche Diskussion kommt dagegen in Fahrt. Für besonderen Aktionismus beim Handel mit Zertifikaten besteht wegen der Ankündigung der Abgeltungssteuer derzeit kaum Anlass.
Betrachtet man die derzeit gängige Ertragsbesteuerung bei Zertifikaten und Optionsscheinen, lassen sich die Derivate grob in zwei Gruppen einteilen: In risikobehaftete Wertpapiere auf der einen und so genannte Finanzinnovationen auf der anderen Seite. Bei risikobehafteten Wertpapieren ist die Höhe des zurückzuzahlenden Kapitals in der Regel vom Preis eines Basiswertes am Laufzeitende abhängt. Ob Index- oder Basketzertifikat, Discount- oder Airbag-Zertifikat, Bonus- oder Express-Zertifikat, Outperformer oder Optionsschein: Immer dann, wenn ein Totalverlust des eingesetzten Kapitals (theoretisch) möglich ist, hatte der Anleger bislang im Hinblick auf die Besteuerung im Wesentlichen lediglich auf die Spekulationsfrist zu achten. Werden derartige Papiere länger als zwölf Monate im Depot gehalten, können entstandene Kursgewinne nach derzeitiger Gesetzeslage steuerfrei vereinnahmt werden. Eine Teilabsicherung steht dem dabei nicht entgegen.
Erfolgt der Verkauf dagegen innerhalb dieser Spekulationsfrist, ist der Zugewinn abzüglich etwaiger Werbungskosten als ?Erträge aus privaten Veräußerungsgeschäften? in voller Höhe mit dem persönlichen Steuersatz zu versteuern, sofern innerhalb des Kalenderjahres die vom Gesetzgeber eingeräumte Freigrenze von 512 Euro pro Person überschritten wird. Umgekehrt können innerhalb der Spekulationsfrist angefallene Verluste geltend gemacht werden, wobei diese nur mit Gewinnen aus derselben Einkunftsart verrechnet werden dürfen.
Grundlegend anders als bei Risiko behafteten Zertifikaten ist die Besteuerungssituation derzeit bei den Finanzinnovationen. Ihr wesentliches Merkmal ist, dass entweder eine Zinszahlung erfolgt oder die Rücknahme zu einem bestimmten Wert zugesagt wird. Garantiezertifikate sind Beispiele für solche Finanzinnovationen. Entsprechende Papiere fallen unter Paragraph 20 Absatz 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes. Bei Endfälligkeit oder vorzeitigem Verkauf führen Kursgewinne bei Finanzinnovationen stets zu Erträgen aus Kapitalvermögen ? völlig unabhängig von der Haltedauer. Sofern kein Freistellungsauftrag erteilt wurde, unterliegen sie damit der auf die persönliche Einkommensteuerschuld anrechenbaren Zinsabschlagsteuer von 30 Prozent.
Auch bei Aktienanleihen mit Rückzahlungswahlrecht des Emittenten (zum Nominalbetrag oder durch Lieferung des Basiswertes) sind Kursgewinne und Zinsen grundsätzlich bei den Erträgen aus Kapitalvermögen anzusetzen. Ob auch Zertifikate, die sich auf Anleihen oder Rentenindizes beziehen und bei denen der vollständige Verlust oder ein Teilverlust faktisch ausgeschlossen ist, als Finanzinnovation gelten, ist aktuell noch nicht abschließend geklärt.
So gut wie überhaupt noch nicht geklärt ist, wie es in den nächsten Jahren mit der Besteuerung weitergehen wird. Denn die derzeitige Besteuerungspraxis steht offensichtlich vor ihrem Ende. Im Zuge der geplanten Unternehmenssteuerreform hatte sich die Bundesregierung vor der Sommerpause auch auf die Einführung einer so genannten Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge geeinigt. ?Dabei werden Steuern zum Beispiel auf Zinsen pauschal mit einem festen Satz erhoben. Der Steuerabzug würde dann direkt bei der auszahlenden Bank vorgenommen und an das Finanzamt weitergeleitet?, heißt es in einer entsprechenden Erklärung aus Berlin. ?In der Steuererklärung brauchen diese bereits besteuerten Kapitalerträge dann nicht mehr angegeben werden.?
Steuervereinfachung ist das Ziel der Abgeltungssteuer, Details der neuen Regelung stehen jedoch noch nicht fest. Diskutiert wird im Finanzministerium, Zinsen, Dividenden und Kursgewinne ab dem 1. Januar 2008 einer pauschalen Abgeltungssteuer von zunächst 30 Prozent zu unterwerfen ? und zwar unabhängig von der Haltedauer der jeweiligen Wertpapiere. Ab 2009 soll der Satz dann auf 25 Prozent sinken. Ob zusätzlich noch der Solidaritätszuschlag erhoben wird, ist offen.
Anleger mit einem persönlichen Steuersatz unterhalb der genannten Marken können sich einen Teil des gezahlten Betrags über die Steuererklärung vom Fiskus zurückholen. Doch was geschieht mit den Verlusten? Können sie auch zukünftig noch in vollem Umfang geltend gemacht werden und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt? Werden sie direkt von der Bank mit bereits gezahlter oder noch zu zahlender Abgeltungssteuer verrechnet oder findet ein Ausgleich erst im Rahmen der Einkommensteuererklärung statt?
Letzteres hätte zur Folge, dass denjenigen, die besonders häufig mit Wertpapieren handeln, relativ schnell das Geld ausgehen könnte. Werden beispielsweise bei einer Position 100 Prozent Gewinn realisiert, eine andere mit gleichem Ausgangswert aber ?ausgeknockt?, hat sich bei vollkommener Aufhebung von Gewinnen und Verlusten der für die Wiederanlage zur Verfügung stehende Betrag aufgrund der einbehaltenen Abgeltungssteuer zunächst auf 85 Prozent reduziert. Nach vier derartigen Kombinationen sind nur noch rund 50 Prozent übrig. Ausländische Discountbroker und Onlinebanken reiben sich bei diesem Gedanken und den zu erwartenden Mittelzuflüssen aus Deutschland vielleicht schon die Hände.
Unklar ist auch, was mit den Wertpapieren passiert, die bereits vor dem 1. Januar 2008 erworben wurden. Werden die neuen Regelungen auch für sie gelten und wenn ja, welche Einstandskurse sind dabei maßgeblich? Die ursprünglichen oder die vom 1. Januar 2008? Können nach dem alten System angesammelte Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gegen gerechnet werden oder verfallen diese mit Beginn der neuen Zeitrechnung? Fragen über Fragen ? zu denen es aus Berlin derzeit noch keine Antworten gibt. Lobbyisten und Anlegerschützer warnen bereits vor Nachteilen für Sparer und Privatanleger. ?Je mehr wir uns mit der seitens des Bundesfinanzministers geplanten Abgeltungssteuer beschäftigen, desto mehr müssen wir feststellen, wie unausgegoren das ganze noch ist?, sagt beispielsweise Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW).
Trotz ungeklärter Details: Einige Konsequenzen, die die Einführung einer solchen Abgeltungssteuer mit sich bringt, lassen sich bereits erahnen. So wird der steuerliche Vorteil von Index- und Basket-Zertifikaten bei einer Haltedauer von über zwölf Monaten gegenüber einem Direktinvestment in die jeweiligen Aktien zukünftig wohl nivelliert. Auch die Nachsteuererträge von Teilschutzprodukten werden unter der Ausdehnung der Bemessungsgrundlage leiden.
Von einer Neuregelung profitieren könnten dagegen konservative Anleger, denen es insbesondere um eine vollständige Kapitalgarantie geht. Als Finanzinnovation mussten Erträge aus diesen Produkten bisher durchweg mit dem persönlichen Steuersatz versteuert werden, der bei vermögenden Anlegern deutlich über 25 Prozent liegen kann. Auch kurzfristig orientierte Börsenspekulanten, die mit ihren Investments nicht das Ende der Spekulationsfrist erreichen, würden profitieren.
Die Emittenten von Zertifikaten haben sich auf die Diskussion um mögliche Änderungen in der Besteuerung bereits eingestellt. So wurden in den vergangenen Wochen verstärkt Produkte ? insbesondere Discount-Zertifikate ? emittiert, deren Fälligkeitstermin im Dezember 2007 liegt. Heute oder in näherer Zukunft gekauft, werden sie erst nach Ablauf der Spekulationsfrist, aber vor einer möglichen steuerlichen Neuregelung zurückgezahlt.
Somit lassen sich zumindest Liquiditätsreserven noch zu vergleichsweise attraktiven Konditionen parken. Denn während Festgeld aktuell etwa 3,3 Prozent Zinsen vor Steuern einbringt, ist mit Discount-Zertifikaten auf den DAX mit einer Laufzeit bis Ende 2007 und einem aktuellen Sicherheitspuffer von rund 75 Prozent eine Rendite von 3,4 Prozent per annum möglich - und zwar ohne, dass das Finanzamt davon einen Teil einbehält.
Aber auch bei Index-, Basket- oder Teilschutzprodukten mit längerer Laufzeit bietet sich der Einstieg für optimistisch gestimmte Anleger zum jetzigen Zeitpunkt noch an, um sich ein Maximum an Flexibilität zu sichern. In elf Monaten ? also vor dem Ablauf der Spekulationsfrist ? dürfte klar sein, wie es ab dem 1. Januar 2008 weitergeht. Je nach Wertentwicklung und dem Wissen über die neue steuerliche Behandlung von Derivaten kann der Anleger dann entscheiden, ob er das Zertifikat behalten oder verkaufen möchte. Und wer weiß? Vielleicht wird die Einführung der Abgeltungssteuer bis dahin auch noch einmal verschoben oder sogar ganz fallengelassen.
Egal, wie es kommt: Wertpapiertransaktionen sollten nie allein aus steuerlichen Gründen getätigt werden. Dienen Käufe oder Verkäufe ausschließlich der Steuervermeidung, stellt dies den strafbaren Tatbestand der Steuerumgehung dar. In diesem Punkt gibt es beim Gesetzgeber nichts zu diskutieren |