5 Jahre Frauen in der Bundeswehr - Ein Großversuch

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8970 Postings, 7516 Tage bammie5 Jahre Frauen in der Bundeswehr - Ein Großversuch

Vor fünf Jahren hat sich die Bundeswehr für Soldatinnen geöffnet. Die Veränderung bekommt ihr sehr gut

Von Susanne Gaschke

Lage: 50 Jahre lang war die Bundeswehr im Kern eine Männerbastion. Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2000 ist sie gezwungen, Frauen gleichberechtigt aufzunehmen. Dies geschieht gegen Vorbehalte eines Teils der männlichen Soldaten. Die Öffnung der Bundeswehr für Frauen ist zudem Gegenstand eines erheblichen öffentlichen Interesses, wobei die Vorstellung von Frauen in Uniform vor allem die fragwürdigeren Fantasien von Journalisten zu beflügeln scheint.

Auftrag: Militärische und politische Führung der Bundeswehr sind sich einig, dass die Integration der Frauen eine Erfolgsgeschichte werden muss.

Sie sind Rekrutinnen. Sie pflegen ein fröhliches Selbstbewusstsein. Und sie kommen gar nicht mehr auf den Gedanken, dass jemand sie diskriminieren wollen könnte. In Bad Salzungen, bei der Panzerpionierkompanie 390, haben Annika Müller (21), Dajana Schüllow (17), Annika Klee (19) und Sylvana Neunes (21) zusammen mit 68 männlichen Kameraden die Grundausbildung absolviert. Alle vier haben das Gefühl, den körperlichen wie den geistigen Anforderungen der Ausbildung gewachsen zu sein – in den vier Jahren, für die sie sich verpflichtet haben, sollen sie Stabsgefreite werden. Annika Müller, von Beruf Köchin, hat sich durch Extratraining im Sportstudio vorbereitet, »denn Köche machen nun einmal nicht so viel Sport«. An der Bundeswehr reizt sie vor allem die Möglichkeit, hier kostenlos ihren Meister zu machen. Dajana Schüllow hat sich für den Militärdienst entschieden, weil sie viele Freunde bei der Bundeswehr hatte. Sylvana Neunes schulte von Friseurin auf Bürokauffrau um, war danach kurz arbeitslos, bewarb sich beim Zentrum für Nachwuchsgewinnung in Berlin – und hatte einen neuen Job. Annika Klee schließlich ist der sportliche Star ihrer Rekrutengruppe, die Zweitschnellste in der ganzen Ausbildung, sie boxt, spielt Fußball, wollte immer schon zur Polizei oder zum Bundesgrenzschutz – da kam ihr die Öffnung der Bundeswehr gerade recht. »Natürlich guckt mancher Kamerad etwas verdutzt aus der Wäsche, wenn Frau Klee an ihm vorbeizieht«, sagt der Kompaniechef, Major Hans-Martin Gieseler. Und sieht dabei sehr zufrieden aus. Und wie stehen die Frauen zum Töten? Na ja, man hofft immer, dass es nicht dazu kommt. Diskriminierung, dumme Sprüche, Belästigung, Überforderung? Man könnte die vier Mädels packen und schütteln: Fehlanzeige. Vieles sei anstrengend, aber nichts wirklich schrecklich, sagen sie; die Kameradschaft großartig.

Trotz dieses allfälligen Pragmatismus ist die Integration von wenigen Frauen (rund 6000 seit 2001) in eine Gruppe von vielen Männern (etwa 250000 Soldaten) ein soziologischer Großversuch. »Die vollständige Öffnung der Bundeswehr für Frauen markiert für eine solche Männerorganisation eine tiefe Zäsur, die jeden einzelnen ihrer Soldaten vor enorme Herausforderungen stellt«, schreibt Gerhard Kümmel vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SoWi). »Mit beträchtlichen Anpassungsproblemen war infolgedessen zu rechnen.«

Diese Anpassungsprobleme werden sichtbar in einer ganzen Reihe von Vorbehalten und Vorurteilen, die Bundeswehrangehörige allerdings kaum noch offen äußern, weil ihnen klar ist, dass die militärische Führung die Integration der Frauen vorbehaltlos durchsetzen will. So fürchten manche, die Armee werde im Zuge ihrer Feminisierung verweichlicht; andere sorgen sich um die Vermännlichung der Soldatinnen. Im Frühjahr 2000 befragte das SoWi 3300 Soldaten nach ihren Erwartungen an eine gemischtgeschlechtliche Armee. Während die Mehrheit der neuen Situation gegenüber positiv eingestellt war (nicht zuletzt erhofften die Männer sich einen angenehmeren Umgangston), hätte immerhin ein Viertel der Befragten die Beschränkung der Frauen auf den Sanitätsdienst richtig gefunden. Ein harter Kern von 15Prozent lehnte Frauen beim Militär ganz und gar ab. 23Prozent fürchteten angesichts der zusätzlichen Konkurrenz schlicht um ihren Arbeitsplatz. Außerdem hatten 84Prozent der Soldaten das Gefühl, dass »die mit Sexualität verbundenen Probleme mit Sicherheit zunehmen würden«. Tatsächlich halten die sich aber für ein Großunternehmen mit einer Viertelmillion uniformierter Mitarbeiter in engen Grenzen: 40 Verdachtsfälle auf Übergriffe mit sexuellem Hintergrund wurden dem Wehrbeauftragten im Jahr 2004 gemeldet.

Schon vor dem Gerichtsurteil arbeiteten 50000 Frauen beim Bund

Die Bundeswehr hat mehr Erfahrungen mit Frauen in ihren Reihen, als oft angenommen wird. Schon ehe vor fünf Jahren das Urteil des Europäischen Gerichtshofs die Streitkräfte zur Gleichberechtigung verpflichtete, waren mehr als 50000 Frauen in der Zivilverwaltung der Bundeswehr tätig, organisierten die Verpflegung für Schiffe, zahlten Sold aus, betreuten Liegenschaften. Im Sanitätsdienst hatte die Bundeswehr zudem, seit es Mitte der siebziger Jahre Personalengpässe gab, Ärztinnen zugelassen. Ende 1999 dienten im Sanitäts- und Militärmusikbereich rund 4500 Frauen, die für Notwehr- und Nothilfezwecke auch schießen können mussten. »Die Bundeswehr sah also nie ein Problem darin, ihre Funktionsfähigkeit von Frauen sichern zu lassen«, sagt Ingrid Lietzow, Frauenbeauftragte der Standortverwaltung Kiel. Nur beim weiblichen Waffendienst gab es traditionell Vorbehalte.

Die vier angehenden Stabsgefreiten mit dem fröhlichen Selbstbewusstsein entsprechen ziemlich genau dem sozialen Profil, das Mitarbeiter des SoWi für die Soldatin des 21. Jahrhunderts erstellt haben: Sie ist zwischen 19 und 23 Jahre alt, stammt meist aus einer Kleinstadt und meist aus den neuen Bundesländern, ist überwiegend konfessionslos, kinderlos und hat einen festen Freund. Die meisten Soldatinnen (60 Prozent) entscheiden sich für die Unteroffizierslaufbahn, zwölf Prozent versuchen Offiziere zu werden, der Rest schlägt die Mannschaftslaufbahn ein. Der weitaus größte Teil der Frauen dient beim Heer, je rund zehn Prozent sind bei Marine und Luftwaffe. Bei der Marine, die mit ihrem Ruf von Weltoffenheit und eleganten Umgangsformen für junge Männer wie Frauen besonders attraktiv zu sein scheint, streben überdurchschnittlich viele Frauen in die Offizierslaufbahn: Von den Bewerbern, die in der Marineschule in Mürwik bei Flensburg die Ausbildung beginnen, sind inzwischen fast 25 Prozent Frauen.

Auch »Klamottenschwimmen« in voller Montur ist kein Problem
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Stefanie Dehmel (22), Mary Schwarz (21), Maika Nitzsche (24) und Hylya Dumanoglu (22) sind Offizieranwärterinnen. Fühlen sie sich benachteiligt, haben sie es besonders schwer bei der Marine? Wieder allgemeines Kopfschütteln. »Ich glaube eher, es sind die Leute im zivilen Bereich, die sich die Bundeswehr nicht mit Frauen vorstellen können«, sagt Hauptgefreite Stefanie Dehmel. Seit Juli 2003 ist die gelernte Vermessungstechnikerin dabei. Nach dem einjährigen Lehrgang wird sie an der Bundeswehrhochschule in Hamburg Maschinenbau studieren. »In meinem zivilen Beruf saß ich als Frau ganz schnell im Büro, und die Jungs fuhren auf die Baustelle«, sagt Dehmel. Sie und ihre Kameradinnen sind sich einig, dass die körperlichen Anforderungen der Ausbildung – 30-Kilometer-Marsch, »Klamottenschwimmen« in voller Montur – auch für Frauen zu bewältigen seien.

Gelitten haben sie alle unter Seekrankheit an Bord, aber das tun auch die Männer. Schwierigkeiten in ihren Beziehungen gibt es, weil Soldaten nun einmal häufig Wochenendbeziehungen führen und manchmal auch an Weihnachten Dienst tun müssen: kein Frauenproblem. Um ein Problem, das auf sie zukommt, wissen sie: wenn sie, frisch von der Uni, ihren ersten Posten als Offizier auf einem Boot einnehmen und Befehle geben sollen. Aber vor diesem Augenblick zittern auch die männlichen Jungoffiziere.

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An Quote und Gleichstellungspolitik glauben diese jungen Frauen nur begrenzt. Nach dem neuen »Soldatinnen- und Soldaten-Gleichstellungs-Durchsetzungsgesetz«, das seit Januar 2005 in Kraft ist, sind sowohl gezielte Frauenförderung als auch Teilzeitarbeit immerhin möglich. Bei gleicher »Eignung, Befähigung und Leistung« werden Frauen bevorzugt befördert. Und zwar »so lange, bis sie 50 Prozent des Sanitätspersonals und 15 Prozent in den übrigen Verwendungen stellen«, sagt die Vorsitzende Sanitätsdienst des Bundeswehrverbandes, Hauptmann Katja Roeder. Männliche Soldaten reagierten, zumal in Zeiten des Personalabbaus, unwirsch auf weiblichen Konkurrenzdruck.

Doch die Soldatinnen tragen, ob mit oder ohne Quote, nicht nur lästigen Wettbewerb in die Bundeswehr. Sie sind auch der Anlass dafür, dass diese Großorganisation endlich ein paar unausgesprochene Voraussetzungen ihres Funktionierens unter die Lupe nimmt: namentlich die bisher stillschweigend erwartete Bereitschaft der Soldaten-Ehefrauen, ihre Männer uneingeschränkt zu unterstützen, die häufigen Versetzungen mitzumachen und neuerdings lange Abwesenheit durch Auslandseinsätze klaglos zu ertragen. »Den Preis dafür zahlten wir seit Jahren in Form steigender Scheidungsraten«, sagt Werner Heiser, Leiter eines der 20 hauptamtlichen Familienbetreuungszentren der Bundeswehr. »Ganz abgesehen davon, dass die Ehefrauen heute meist ihre eigene Berufstätigkeit haben und die Familien zwei Einkommen brauchen.« Vielen mag Teilzeitarbeit in einer Armee nicht als der richtige Weg erscheinen, um solche Probleme zu lösen. Aber die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht auch die Bundeswehr, neuerdings.


DIE ZEIT 27.10.2005 Nr.44
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