Manche Leute zocken mit Aktien, von denen wir nicht einmal die Namen kannten. Ein Blick in die Welt der Männer mit Nerven aus Stahl.
Gefühlskalt, arrogant, hartherzig. Das sind Charakterzüge, mit denen man keine Freunde gewinnt. Aber Geld. Das jedenfalls wollen US-Wissenschaftler herausgefunden haben. Sie beobachteten erfolgreiche Spekulanten und analysieren: Wer zu viel grübelt oder gar Skrupel an den Tag legt, der verliert an den Aktien- und Devisenmärkten bares Geld. Jedenfalls öfter als seine eiskalten Konkurrenten. Wenn das stimmt, ist Ulf H. alles andere als ein typischer Spekulant. Der 34-Jährige schwitzt, schimpft und schnattert, was das Zeug hält. "Hm, hm, hm, hm", brummt er, die Augen starr auf den Kurs-Chart auf seinem Bildschirm gerichtet wie der Adler aufs Kaninchen. "Der trend ist mein friend, aber stell ich glatt, bin ich satt", purzeln ihm die Spontanreime aus dem Mund. Zum x-ten Mal in zwei Minuten reibt sich H. die verschwitzen Handflächen an seiner braunen Cordhose trocken. "Ach", entfährt es ihm jetzt, "hau weg das Zeug!" Ein Klick, vorläufiger Tagesgewinn: 3000 Euro. Immer mit vollem Einsatz Ulf H. ist Zocker. Mit Leib und Seele. Nicht immer läuft es so gut. Mit 18 fing er an, am Wochenende in Casinos Roulette und Black Jack zu spielen. "Schon mit 14 oder 15 habe ich ganze Nächte durchgepokert; häufig setzte ich das Taschengeld von drei Monaten auf eine Karte. Ich habe noch andere, nicht so ganz legale Spiele gespielt." Und immer mit vollem Einsatz. Mit 23, als Student an der TU München, war er das erste Mal am Ende. Hoch verschuldet, ließ er sich in den Spielcasinos Bayerns und den grenznahen Salons Österreichs sperren. Auf Lebenszeit. Für den Nervenkitzel braucht er die behäbigen Kurorte inzwischen nicht mehr. Den sucht der passionierte Uhrensammler und Porsche (Xetra: 693773.DE - Nachrichten) -Fahrer lieber an der Börse. Ganz legal. "Man bekommt heute für so viele ausgefallene Aktien Kurse, und es gibt fast jeden Tag ein paar neue Hebelpapiere, da herrscht kein Mangel an spekulativen Investments", freut er sich. Lesen Sie weiter auf Seite 2: Tatsachen, Trend oder Totentanz? Wie bei einem Schneeballsystem Sein neustes Steckenpferd sind Aktien kleiner Kupfer- und Uranminen. "Da habe ich einige potenzielle Verzehnfacher im Depot", schwärmt Ulf, der im Hauptberuf als Softwarespezialist arbeitet. Titel wie Deep Yellow. Die Aktien der Australier stiegen an einem Tag ohne ersichtlichen Grund um 30 Prozent - zu viele Zocker gleichzeitig wollten mitfahren. Seine Anteile an Paladin Resources (London: PLR.L - Nachrichten) hat H. jetzt versilbert; er hatte für seine Verhältnisse sehr beharrlich an der Aktie festgehalten: mehr als ein Jahr lang. Der Kurs kletterte in der Zeit um mehr als 1000 Prozent. Hohe Gewinne allein sind für Ulf noch kein Grund auszusteigen, die Story der Australier hat den knorrigen Bayern überzeugt: "Paladin fördert auch in Malawi, das darf nicht jeder." Trotzdem ist er raus: "Jetzt sitzen mir schon zu viele auf dem Trend." Ein paar Aktien fasst selbst Ulf nicht an: hinter denen kein Geschäftsmodell steht, kein operativer Umsatz. Andere Zocker stört das nicht. Um 134 Prozent jagten sie die Aktie des Internetreisebüros Invicta Travel Group aus Miami Beach (Umsatz 2004: rund 600 000 Dollar) in nur zwei Stunden nach oben, erzählt Ulf kopfschüttelnd, "der Tipp kam von einem Börsennewsletter". Bis zum Abend sackte Invicta wieder um mehr als 50 Prozentpunkte ab. "Das Spiel geht so lange gut, wie sich in den Diskussionsforen im Internet genügend Käufer für die angebliche Wahnsinnsstory begeistern lassen", sagt Oliver Opgen-Rhein, Aktienhändler bei HSBC Trinkaus in Düsseldorf. "Irgendwann ist die kritische Masse erreicht, wer auf Gewinnen sitzt, will Kasse machen, und das Ding implodiert." Wie bei einem Schneeballsystem. Zocken wie zu Neuer-Markt-Zeiten Derzeit ist die Zockergemeinde wieder schwer aktiv, weltweit. Und sie wird immer größer. "Mit den sehr spekulativen Aktien nähern wir uns wieder den Rekordumsätzen von 1999 und 2000", sagt Arabela Militaru. Sie ist an der Londoner Börse zuständig für Privatanleger an der AIM, dem Segment mit den Risikopapieren. Die Londoner handeln auch so genannte GDRs von Aktien aus Ländern, an denen Ausländer normalerweise keinen Zugang zur Börse haben, etwa russische Ölsucher. Während das Gros der Privatanleger schon Dax (Xetra: Nachrichten) -Aktien zu riskant findet, wächst zugleich wie eine Subkultur die Schar der Renditesüchtigen. "Am Renten- und Geldmarkt sind die Zinsen mickrig, an den etablierten Börsen findet man kaum noch unterbewertete Aktien", begründet Markus Jakubowsi, Derivatehändler der Société Générale (Paris: FR0000130809 - Nachrichten) in Frankfurt, den Boom. Hedgefonds treiben Kurse hoch Während selbst die meisten Aktien aus klassischen Schwellenmärkten wie Brasilien, Taiwan oder Malaysia seit Jahresbeginn nur leicht zulegten, werden die Ziele der Zocker immer exotischer. Kasachstan, die Ukraine, Serbien, der Irak - her mit den Aktien. Und mit den Anleihen. So trieben renditesuchende Hedgefonds den Kurs der serbischen Staatsanleihen um mehr als 100 Prozentpunkte nach oben. "Vergangene Pleiten wie in Argentinien blenden die meisten derzeit schon wieder völlig aus", sagt Richard Segal, Chefanalyst des Londoner Anleihenhändlers Exotix. Faszination der Exoten Pleiten ausblenden, das hilft auch bei Aktien. Kursbewegungen von 100 Prozent an einem Tag sind keine Seltenheit - natürlich nicht im Dax, man sollte schon ein bisschen Sinn fürs Exotische mitbringen: "Goldminen aus der Mongolei wie Asia Gold oder Kupferminen aus Papua Neuguinea wie Bougainville Copper, chinesische Ölsucher wie China Oilfield Services - der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt", schwärmt Ulf H. Auch nicht in Deutschland. Die Aktie von Marbert etwa trieben Anleger zwischenzeitlich um fast 400 Prozent nach oben. Dabei ist es den meisten ziemlich wurscht, dass die Rückkehr in die Gewinnzone nur durch den Verkauf der Namensrechte erreicht wurde. "Wenn DaimlerChrysler (Xetra: 710000.DE - Nachrichten - Forum) seine Rechte an der Marke Mercedes verkaufen würde, wäre mir das auch egal, Hauptsache die Aktie steigt", sagt Ulf, "schließlich bin ich kein strategischer Investor." Die Zeppeline fliegen wieder Und war da nicht mal was mit Zeppelinen an der Börse? Richtig: Irgendein Adeliger baute irgendwo in den Weiten Ostelbiens eine sehr, sehr große Halle; darin wollte er ein Schwerlasttransportluftschiff zum Fliegen bringen: Cargolifter (Xetra: 540261.DE - Nachrichten - Forum) , so hieß das Ding. Dabei hob zunächst allerdings nur die Aktie ab, der Zeppelin blieb am Boden, und die Anleger setzten Millionen in den märkischen Sand. Nun fliegen wieder Zeppeline an der Börse: Das Unternehmen Globetel will mit Luftschiffen über unseren Köpfen kreisen und so ein ultraschnelles Kommunikationsnetz bauen, besser als Satellitentechnik. In den Köpfen der Zocker kreist die Idee bereits: Sie zogen die Aktie (Umsatz 2005: 0,00 Dollar, Umsatz 2006: voraussichtlich 0,00 Dollar) von 0,20 Dollar auf 5,40 Dollar je Stück und damit auf einen Börsenwert von schneidigen 210 Millionen Dollar. Wen stört da schon, dass das die Globetel-Leute bisher nicht belegen konnten, ob ihre Idee technisch funktioniert. Risiken für Haus und Hof "Der Reiz liegt doch darin: Ein paar Treffer, und du bist saniert", sagt Brendan Caldwell, Vice-President beim Brokerhaus Caldwell Securities in Toronto, "wenn sich von zehn Aktien eine vervierzigfacht, wen kümmern dann die neun anderen?" Da ist was dran. Aber ein paar Mal zu oft daneben, und man ist pleite. Das sagt der Broker nicht. Es soll nicht nur in Kanada Leute geben, die ihr Haus beliehen und den vollen Betrag auf zwei bis drei Aktien setzten. "Wir haben eine kleine, aber stetig wachsende Schar ausländischer Investoren hier in Toronto", sagt Caldwell, "seit einigen Jahren übrigens immer mehr aus Deutschland." Die Teutonenzocker lockt das Risikosegment der Börse Toronto TSX, das sinnigerweise Venture heißt. Dort sind Minenaktien wie Entree Gold oder Odyssey Exploration zu haben, die offenbar einen transatlantischen Reiz ausüben. Allein im Juni verzeichnete TSX Venture zwölf Börsengänge, mehr als in Deutschland im gesamten vergangenen Jahr. Das Handelsvolumen hat sich in zwölf Monaten fast verdoppelt. "400 bis 2000 Prozent Gewinn pro Jahr", schätzt Broker Caldwell, ließen sich locker mit Aktien von Goldminen machen - falls mal eine irgendwo eine ergiebige Ader findet. Meist männliche Zocker Was sind das für Leute, die auf Goldfunde in Kanada hoffen? "Der typische Zocker in Deutschland ist weit über 50", sagt Stephan Thiede, Direktor Derivates Trading bei HSBC, "die spekulieren mit Werten, von denen wir oft nicht mal die Namen kennen." Wenn die HSBC-Leute Seminare für besonders riskante Zertifikate anbieten, sind die Teilnehmer zu 95 Prozent Männer und haben zweierlei im Überfluss: Geld und Zeit. Jüngeren Zockern mangele es meist an einem von beiden, meint Thiede. "Sie sind zu hibbelig. Wenn einer dreimal in einer Viertelstunde anruft und einen Rat haben will, weiß ich schon: Der machts nicht lang." Die Zocker-Regionen Der Renner bei den harten Männern sind zurzeit Werte aus dem Nahen Osten. Der ägyptische Telefonkonzern Orascom etwa stieg seit Ende 2002 um mehr als 8500 Prozent und ist mit einem Börsenwert von 11,2 Milliarden US-Dollar inzwischen der größte Nicht-Öl-Wert der arabischen Welt. Das Schwesterunternehmen Orascom Construction steigerte seinen Wert in drei Jahren um 2000 Prozent. Ein Blick in die Gewinnerliste der 79 von Bloomberg erfassten Länderindizes zeigt die Fantasie exotischer Märkte: Börse Ägypten plus 125 Prozent seit Jahresbeginn, Jordanien plus 106, Vereinigte Arabische Emirate plus 92, Dubai 77. Nicht erfasst werden die kleineren Börsenplätze wie Palästinas Al-Quds Index, in einem Jahr mehr als verdreifacht. Für Ausländer gibt es noch kaum eine Möglichkeit, sich am märchenhaften Börsenboom im Orient zu beteiligen. "Ein paar westliche Hedgefonds mögen dabei sein", sagt Kerry McEwen, Portfoliomanagerin für Schwellenländer bei JP Morgan Fleming in London., "aber für Privatkunden gibt es nichts; keine Indexzertifikate, keine Beteiligungsscheine, nichts." Basteln an der Cuba Stock Exchange "An den meisten kleinen Börsen gibt es zu viele Restriktionen", sagt Aktienhändler Oliver Opgen-Rhein von HSBC Trinkaus, "man muss Devisen hinterlegen, oft sind Ausländer gar nicht zugelassen." In Afrika etwa, für viele Emerging-Markets-Experten der Kontinent mit dem größten Potenzial, kann man bisher nur wenige Werte aus Ägypten und Südafrika kaufen. "In zehn Jahren handeln wir da", ist Nebenerwerbszocker H. überzeugt. An Börsen wie der Bourse Régionale des Valeurs Mobilières vielleicht, kurz BVRM, an der Aktien aus dem Benin, aus Burkina-Faso, aus Mali, Niger, dem Senegal und Togo gehandelt werden. Ob sie funktioniert, ist Ansichtssache. Für afrikanische Verhältnisse könnte man es bejahen; immerhin wird für manche Papiere einmal am Tag ein Kurs gestellt. Auch das ehemals kommunistische Vietnam eröffnete vor kurzem eine Börse. Sogar Nordkorea verhandelt mit ausländischen Unternehmen über den Aufbau eines Handelsplatzes. Die Pjönjang Stock Exchange ist wohl nur eine Frage der Zeit. Und einige Exilkubaner basteln schon fleißig an ihrer Cuba Stock Exchange. Für die Zeit nach dem Ableben Fidel Castros. Sie stellen sogar schon Kurse - für 15 Aktien aus der Prä-Castro-Ära und für eine kubanische Staatsanleihe von 1905. Spekulationen mit Contracts for Difference Mit Contracts for Difference (CFD) schwappt derweil die neueste spekulative Welle aus England zu uns herüber. CFD ermöglichen Anlegern Kurswetten mit einem Hebel von bis zu 100, was sonst nur im Futures-Handel erreicht wird. Hebel 100 bedeutet: Der Anleger wettet auf ein bestimmtes Papier, zum Beispiel eine Aktie. Steigt der Aktienkurs um einen Prozentpunkt, steigt der CFD um das 100-Fache. Mit kleinem Einsatz und bis zu 100-mal mehr geliehenem Geld kann so, wer sich traut, reich werden - oder sich um Kopf und Kragen spielen. Der Zocker hinterlegt nur einen kleinen Teil Eigenkapital, Margin genannt; den Rest borgt er sich vom CFD-Anbieter für drei Prozent Zinsen plus Euribor, ein gängiger Banken-Zinssatz. Zusammen also noch nicht mal teuer. Geht die Aktie, auf die man wettet, in die falsche Richtung los, kommen bei ein paar Tausend Euro Einsatz und Hebel 100 schnell Hunderttausend Schulden zusammen. Offenbar schreckt selbst das die Zocker nicht ab. In England machen CFD schon 30 Prozent der Börsenumsätze aus. Handelsblatt.de |