isa-Affäre Verschleppt, verzögert, verschworen? Von Peter Carstens, Berlin
16. März 2005 Die Diplomatin H. habe Morddrohungen erhalten. Sie stehe unter ukrainischem Polizeischutz. Auch andere Mitarbeiter der Visa-Stelle seien bedroht oder gar verletzt worden. - All diese alarmierenden Angaben schickte das Auswärtige Amt in Briefen im Sommer 2003 dem Kölner Landgericht. Der Grund: Die Kanzlerin Erster Klasse Klara H., ehemalige Leiterin der Visa-Stelle in Kiew konnte, wollte oder sollte im Kölner Schleuserprozeß nicht als Zeugin aussagen. Ein „personalfürsorgerechtlicher” Fall, wie das Auswärtige Amt in seinen Schreiben zu bedenken gibt? Oder, wie der Kölner Richter Höppner vermutet, Teil einer „Hinhaltetaktik” der Ministerien?
Im Urteil gegen den Schleuser Anatoli B. taucht die Diplomatin H. dann doch auf. Sie war vor Gericht erschienen, nachdem der Richter gedroht hatte, dem Minister zu schreiben, „oder gar dem Bundeskanzler”. Im Kölner Urteil steht, „falsch” sei der Hinweis des Auswärtigen Amts gewesen, daß „gegen die Zeugin H. eine Morddrohung bestünde”. Höppner hatte irgendwann bei Frau H. angerufen und nach den Drohungen gefragt. Die Zeugin „wußte hiervon nichts”.
Ein Fall für den Untersuchungsausschuß
Der Richter sei sehr wütend gewesen, berichten Prozeßteilnehmer, als er ihnen von dem Telefonat mit Frau H. erzählte. Man habe versucht, ihn zu hintergehen, habe er geschimpft. Das Außenministerium hält bis heute an der „Morddrohung” fest - ein Fall für den Untersuchungsausschuß. Daß der Richter die Drohungen als „unerheblich” eingestuft habe, sei „mit erheblichem Befremden aufgenommen worden”, schrieb das Amt im Juli 2003. Dieser Austausch von Unfreundlichkeiten war einer von vielen Tiefpunkten in der Zusammenarbeit zwischen Ministerien und Justiz.
Als die Kölner Staatsnwaltschaft vor drei Jahren der staatlich beschleunigten Schleuserkriminalität auf die Spur kam, konnte sie selbstverständlich erwarten, daß die betroffenen Ministerien alles tun würden, was zur Aufklärung dieser gewerbs- und bandenmäßig verübten Straftaten beitrüge. Jedoch irrte, wer annahm, Briefe aus Köln wären rasch beantwortet, Akten unverzüglich überstellt worden. Nichts von alledem. Dabei hatten zahlreiche Bundesbedienstete die Kölner Ermittlungen vorangebracht: Kriminalisten der Bundesgrenzschutzdirektion und des Bundeskriminalamt, Mitarbeiter einzelner Botschaften, auch der vielgescholtenen in Kiew, halfen bei der Aufklärung, so Berlin sie ließ.
Bürokratischer Widerstand
Die Ministerien hingegen ziehen eilig Mauern hoch. Offenbar wird rasch klar, daß der Visa-Schlamassel seinen Anfang in Berlin genommen hat. Um so energischer der bürokratische Widerstand, der von September 2002 an der zunächst erstaunten, dann gewitterlich gestimmten Kölner Staatsanwaltschaft und dem Gericht entgegenschlägt. Es beginnt damit, daß Briefe der Staatsanwaltschaft mit Fragen an Innen- und Außenministerium wochenlang unbeantwortet bleiben. Und zwar nicht etwa aus Vergeßlichkeit, vielmehr wird die Zeit genutzt, um Antworten abzusprechen.
Am 5. November 2002, sechs Wochen nach ihrem Eintreffen im Ministerium, wird der „Fragenkatalog” der Staatsanwaltschaft von der Abteilung M2 dem Innenminister Schily vorgezeigt. Am 13. November ergehen dann angeblich sehr ähnlich lautende Antworten beider Ministerien. Die angeforderten Akten aus den beiden Häusern treffen neun beziehungsweise elf Monate nach Beginn der Hauptverhandlung in Köln ein.
Dafür-war-ich-nicht-zuständig
Und dann die Zeugenaussagen der Abteilungsleiter, Visa-Stellenverantwortlichen und Ministerialdirektoren: Die vielen Dafür-war-ich-nicht-zuständig und Dazu-kann-ich-nichts-sagen-Aussagen der vor dem Kölner Gericht auftretenden Ministerialbeamten nährten den Verdacht, hier seien aus den Ministerien heraus die Ermittlungen behindert worden. „Natürlich, die Problematik war uns klar, nur: was will man machen?” sagt ein Beamter aus dem Auswärtigen Amt. „Wissen Sie, der Tag vergeht so schnell”, antwortet ein Regierungsdirektor aus dem Innenministerium dem Richter auf die Frage, ob man nicht mal wen hätte benachrichtigen müssen über die Zustände in Kiew. Ein Abteilungsleiter will nicht einmal eine Chronologie herausrücken, die er zur Verhandlung mitgebracht hat. Da muß der Richter wieder einmal drohen: „Und wenn wir die nach § 96 beschlagnahmen?”
Doch die Zeugen aus den beiden Ministerien sind nicht bloß mit hausgefertigten Chronologien ausgestattet und mit dem juristischen Beistand eines Bonner Strafrechtsprofessors versehen worden. Die Einzelbefragungen von einem halben Dutzend Zeugen aus dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium hatte sich das Gericht womöglich sparen können, wenn es gewußt hätte, daß die Ministerien hinter seinem Rücken und ganz offenbar mit Wissen der Amtsleitung Absprachen organisierten.
Zeugen sollen schweigen
Im Auswärtigen Amt wurden kurz vor den Zeugenanhörungen unter den betroffenen Referaten E-Mail verschickt, in denen unter anderem berichtet wird, was das Innenministerium aus den Ermittlungsakten erfährt. Dann heißt es, beispielsweise: „Vielleicht könnte sich Herr von K. am Montagmorgen ... melden, um die Informationen abzugleichen und die Marschroute ... festzulegen”. Im Oktober 2003, wenige Tage vor dem Auftritt von Zeugen aus dem Auswärtigen Amt und dem Innenministerium treffen sich Mitarbeiter beider Häuser zu einer „Ressortbesprechung”.
Auch dabei geht es um Absprachen. Das Außenministerium informiert: „Das Gericht soll dazu bewegt werden, von der Vernehmung weiterer Zeugen aus dem AA möglichst abzusehen”. Das „BMI informiert: ... BMI überlegt, ebenso wie wir einen Zeugenbeistand zu engagieren, möglichst auch Prof. Dahs. Auch das BMI wolle versuchen, weitere Ladungen zu vermeiden. Sodann beschließt man „Gemeinsames Vorgehen: Es bestand Einigkeit über das gemeinsame Interesse, im Gerichtsverfahren eindeutig klarzustellen, daß der behauptete ,Menschenschmuggel' von der Bundesregierung nicht erleichtert oder geduldet wurde.”
„Ein Schlenker über Berlin”
Weiterhin regen auswärtige Zeugen des Außenministeriums an: „Da wir wohl zu unterschiedlichen Terminen geladen sind, scheint es mir am praktikabelsten zu sein, daß wir alle in unserer Reise einen Schlenker über Berlin/508 einbauen”. Damit ist gemeint, daß die Zeugen auf dem Weg von ihren Dienstorten Kiew, Caracas oder Den Haag im Referat 508 (Visumrecht) vorbeischauen, zwecks Instruktion. Eine Beamtin schreibt im September 2003 aus Peking an mindestens sechs ebenfalls vorgeladene Kollegen, ihr wäre es vor ihrer Zeugenvernehmung „sehr wichtig, mich zuvor noch einmal mit Ref. 508 abzustimmen”. Denn, „es wäre allerdings peinlich, wenn ich gegebenenfalls doch im Zusammenhang mit diesem Herrn Barg einen Erlaß an die Botschaft Kiew verfaßt haben sollte...”. Nach Auffassung der Diplomatin sei es „sehr wichtig, daß wir alle im selben Tenor antworten”. Sie könne sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, und es wäre „sicher nicht im Interesse des Amtes” wenn sie vor Gericht unzutreffende Äußerungen mache.
Das Innenministerium versuchte offenbar zudem im Februar 2003 einen Polizeihauptmeister des Bundesgrenzschutzes als „Prozeßbeobachter” für das Ministerium zu gewinnen. Der Polizist, der bis dahin als Zuhörer in dem eben begonnenen Schleuserprozeß gesessen hatte, teilte der Kölner Staatsanwaltschaft telefonisch mit, er sei dazu „angehalten worden”. Die Staatsanwaltschaft wies den Polizisten daraufhin an, davon Abstand zu nehmen, und dies seinen Dienstvorgesetzten auch zu melden. Anderenfalls wolle man ihn als weiteren Zuhörer von der Hauptverhandlung auszuschließen. Auch sonst muß dann vor Gericht doch einiges schief gelaufen sein, denn im Nachgang zu dem Kölner Prozeß wurden von der dortigen Staatsanwaltschaft mehrere Ermittlungsverfahren unter anderem wegen des Verdachts falscher uneidlicher Aussage und der Bestechlichkeit eingeleitet, von denen einige noch immer laufen.
Text: F.A.Z., 17.03.2005, Nr. 64 / Seite 2 |