@FunMan: Es kommt nicht so sehr darauf an, ob ein Staat laut Landkarte zu Europa oder Asien bzw. Afrika gehört. Vielmehr geht es um die kulturelle und geistige Hinwendung zu Europa. Die ist m.M.n. bei Malta und Zypern gegeben, bei der Türkei aber bestenfalls zu einem kleinen Teil.
@KarlchenI: Ich frage mich, was der dauernde Hinweis auf die überseeischen Besitzungen Frankreichs soll. Dabei handelt es sich um von Paris abhängige Gebiete, die auch in der EU von Frankreich repräsentiert werden. Sie sind anders als die Türkei kein Staat mit Sitz und Stimme in den Gremien der Gemeinschaft. Wegen der Größe der Bevölkerung, die zudem in den nächsten Jahren weiter wachsen wird, wäre die Türkei mit ihrer Aufnahme in die EU ein bedeutender politischer Faktor.
@Ruhrpottzocker zu 1: Nein, natürlich muß Europa nicht in Europa enden. Theoretisch können wir auch noch Marokko, Tuneseien, Ägypten und Israel in die EU aufnehmen. Haben wir das dann geschafft, können wir uns nach Schwarzafrika, Asien und den amerikanischen Kontinent vorarbeiten. Dann haben wir irgendwann eine richtig schöne große Freihandelszone. Aber sollte Europa nicht eigentlich mehr sein als nur ein deregulierter Waren- und Dienstleistungsverkehr? So wurde das den Bürgern jedenfalls immer verkauft.
zu 2: Sicher, die Menschenrechtssituation hat sich in der Türkei gegenüber früher verbessert. Dennoch ist die Lage dort im Vergleich zu europäischen Standards immer noch katastrophal. Daß jetzt schnell die Gesetze geändert werden, weil Ankara unbedingt in die EU aufgenommen werden will, sagt noch nichts. Schließlich müssen die neuen Regeln auch in der anatolischen Provinz tatsächlich umgesetzt werden. Und ob das klappt, ist noch keineswegs sicher. Im Übrigen frage ich mich, ob die mit z.T. sehr heißer Nadel gestrickten Novellierungen tatsächlich nachhaltig sind - oder in erster Linie als Mittel zum Zweck dienen.
zu 3: Was Weizsäcker als eine krasse Fehleinschätzung betrachtet, wird von Experten sowohl in Deutschland als auch der Türkei selbst genau so gesehen. Die Prognosen schwanken zwischen 5 und 18 Millionen Zuwanderern in die EU und hier vor allem nach Deustschland. Die auch mittelfristig eher schwache türkische Wirtschaft und der hohe Geburtenüberschuß vor allem in Ostanatolien sorgen für den entsprechenden Zuwanderungsdruck. Die Auswanderungswilligen werden vor allem nach Deutschland kommen, weil hier nämlich schon 2,5-3 Mio. Türken und Kurden leben. Das ist auch der entscheidende Unterschied zu den osteuropäischen Beitrittsländern. Übrigens: Die volle Freizügigkeit gilt für die Bürger der osteuropäischen Beitrittsländer erst ab 2007. Deshalb kann es noch gar keine Zuwanderung aufgrund der Aufnahme dieser Länder in die EU geben.
zu 4: Sorry, aber diese Aussage ist schlicht Unsinn. Das osmanische Reich erstreckte sich über den Nahen und mittleren Osten, das war der Orientierungspunkt für Ankara. Mit Europa stand die Türkei in ihrer Geschichte sehr viel häufiger im Konflikt- und Spannungsverhältnis als daß man sich auf Europa zubewegte. Außerdem: Je mehr Länder der EU angehören, desto schwieriger wird es, einen einheitlichen Nenner als Ausgangspunkt für eine gemeinsame Politik zu finden. Das gilt natürlich vor allem dann, wenn mit der Türkei ein Land in die Gemeinschaft aufgenommen würde, daß historisch und kulturell relativ weit von Europa entfernt ist.
zu 5: Meiner Meinung nach sind die finanziellen Zuwendungen, die die Türkei im Falle eines Beitritts aus der EU-Kasse zu erwarten hätte, eine ganz wichtige Motivation für Ankara, diesen Beitritt zu forcieren. Außerdem: Nehmen wir einmal an, die EU würde ihr Finanzsystem ändern, es gäbe speziell für die Landwirtschaft, die knapp 60% des EU-Haushaltes ausmacht, weniger Geld. Gleichzeitig müßte die Türkei das Land für Importe aus der EU öffnen. Was würde passieren? Die arbeitsintensive türkische Landwirtschaft hätte gegen die zunehmend auf Kosteneffizienz getrimmte industrialisierte Landwirtschaft der mittel- und später auch osteuropäischen EU-Staaten keine Chance bzw. müßte sich anpassen. Viele Menschen, die heute noch im primären Sektor beschäftigt sind, würden ihre Arbeit verlieren. Nur ein Teil würde in der Industrie unterkommen, der Rest wäre wohl arbeitslos. Das aber würde den Druck, sein Glück im europäischen Ausland zu suchen, weiter steigern und damit die Zuwanderung erhöhen. Die EU-Staaten und allen voran Deutschland säßen deshalb in der Zwickmühle, würde die Türkei in die EU aufgenommen: Hält man an den heutigen Subventionen fest, würde die finanzielle Belastung für die Mitgliedsstaaten als Folge des EU-Beitritts der Türkei massiv ansteigen. Reformiert man das System, würde das die ohnehin erwartete Völkerwanderung aus der Türkei noch vergrößern.
zu 6: Wie ich schon weiter oben schrieb, ist ein Grundproblem die Nachhaltigkeit der jetzt angestrengten Reformen. Auch ich sehe das Problem, daß die EU von den regierenden Politikern in Ankara nur als ein Vehikel mißbraucht wird, um eine bestimmte politische Linie durchzusetzen. Ob sich die bewährt bzw. die Veränderungen tatsächlich von Dauer sind, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Erst wenn dem tatsächlich so ist, sollte man mit Verhandlungen über einen Beitritt beginnen - und nicht schon 3 Monate, nachdem das türkische Parlament fundamentale Rechtsänderungen beschlossen hat, die in der Gesellschaft vielfach noch gar nicht angekommen sind zunächst einmal verankert werden müssen.
zu 7: Du hast das Argument offenbar nicht verstanden. Außenminister Fischer und andere Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei behaupten stets, Ankara müsse Teil der EU werden, weil das positiv auf den gesamten mittleren Osten strahlen und die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten in der Region fördern würde, was sich im Ergebnis positiv auf die Sicherheit Europas und damit auch Deutschlands auswirken würde. Diese Logik ist aber äußerst zweifelhaft, weil die Türken hier eben nicht als Vorbild, sondern wegen ihrer Vergangenheit als wenig zimperliche Kolonialmacht eher als Feindbild angesehen wird. Auch dei Existenz Israels als ein demokratischer Rechtsstaat hat nicht auch zu einer Demokratisierung bzw. Befriedigung der Region geführt. Im Übrigen ist der Hinweis korrekt, daß die Türkei bereits seit 1949 Mitglied der NATO ist und durch diese Einbindung dem sicherheitspolitischen Aspekt hinreichend Berückscihtigung geschenkt worden ist.
zu 8: Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob die EU-Grenze gegenüber der Ukraine und Weißrußland geschützt werden muß oder gegenüber Syrien, dem Irak und dem Iran. Sollte es irgendwann einmal so etwas wie eine europäische Grenzpolizei geben, dann müßten ggf. auch deutsche Beamte an einer solchen Grenze Dienst tun. Die können wir dann ja einmal fragen, wo sie lieber Wache schieben wollen.
zu 9: Das ist die Meinung von Herrn v. Weizsäcker, der rot-grünen Regierung und einiger Wirtschaftsbosse, die wieder einmal auf große Profite hoffen. Die meisten Experten warnen vor einem Türkei-Beitritt aus den bereits genannten Gründen. Die Behauptung, mit dem Assoziierungsvertrag habe man Ankara das versprechen gegeben, in eine europäische polische Union aufgenommen zu werden, ist allein schon deshalb Unsinn, weil es die politische Union erst seit Maastricht und damit seit 1992 gibt. Das Versprechen bezog sich in der Tat nur auf die wirtschaftliche Einbindung. Außerdem halte ich es für ziemlich absurd, mit einem 40 Jahre alten Abkommen zu argumentieren, das unter völlig anderen Umständen geschlossen worden ist. Um es am Beispiel Zuwanderung fest zu machen: 1961 lebten in Deutschland etwa 7.500 Türken, heute sind es 2,5 Mio. Hinter uns liegt die Erfahrung von 40 Jahren Integrationspolitik, die im Hinblick auf die türkische Zuwanderergruppe leider als weitgehend gescheitert angesehen werden muß. Wenn - wie erwartet - die Aufnahme der Türkei in die EU zu einer neuerlichen Zuwanderunsgwelle nach Deutschland führt, wären die Auswirkungen auf den sozialen Frieden und die Stabilität in unserem Land gravierend. Deshalb macht es wirklich keinen Sinn, das Assoziationsabkommen von 1963 heranzuziehen und nach dem Motto "Augen zu und durch" stur an einer Aufnahme der Türkei in die EU festzuhalten, die seinerzeit unter völlig anderen Umständen und mit gänzlich anderer Intention avisiert wurde.
zu 10: Weil man dann die Regeln für alle ändern müßte und nicht bloß für ein Land. Dann wäre es nämlich kein Vollmitglied mehr, sondern hätte einen Sonderstatus, den ja auch die CDU will. Es ist aber sicherlich sinnvoll, in der EU grundsätzlich darüber zu diskutieren, ob es nicht Regeländerungen in den Verträgen geben sollte, etwa bei der Freizügigkeit. Denkbar wäre es z.B., den Mitgliedsstaaten das Recht zu geben, die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus anderen EU-Ländern zu beschränken, wenn die Erwerbslosigkeit im eigenen Land groß ist. Allerdings müssen diese Änderungen erst einmal beschlossen werden bevor man der Türkei eine Vollmitgliedschaft anbietet. Andernfalls sind das nicht mehr als bloße Worthülsen, die bestenfalls als eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit dienen. Ob es für solche Regeländerungen in der EU Mehrheiten gibt, wage ich außerdem zu bezweifeln. Speziell die Osteuropäer dürften dem nicht so ohne weiteres zustimmen.
J.R.
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