Nun zwingt die öffentliche Finanznot zur Umkehr. Die Chancen im Kampf gegen die Subventionitis sind so gut wie nie zuvor
So nett kann das Leben im Subventionsstaat sein, denn zahlen muss ja nur die Allgemeinheit: Die Besitzer des neu erworbenen Häuschens sind glücklich, weil ihnen die öffentliche Hand mit einem üppigen Zuschuss unter die Arme greift. Den Verkäufer freut, dass er dank dieser Unterstützung einen höheren Preis erzielt. Und die Obrigkeit ist mit sich zufrieden, weil sie den Bürgern Gutes tun kann. Eine einzige Idylle – dank der Eigenheimzulage.
Doch mit der komfortablen Unterstützung aus der Staatskasse wird es wohl bald vorbei sein, und nicht nur damit. In ihrer Not, immer größere Löcher in den öffentlichen Haushalten stopfen zu müssen, haben Politiker die Subventionen und Steuervergünstigungen als ergiebiges Sparpotenzial ausgemacht. Bundesfinanzminister Hans Eichel hat seine Beamten, die unter strenger Geheimhaltung bereits an einem Kürzungskatalog arbeiten, in typischer Politikersprache angewiesen: „Alles muss auf den Prüfstand.“ Auch die Union ist nach den Worten ihres Finanzpolitikers Friedrich Merz zu „tiefgreifenden Subventionskürzungen“ bereit. Und in den Ländern arbeiten die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen und Hessen, Peer Steinbrück (SPD) und Roland Koch (CDU), gemeinsam an einer Streichliste, um insgesamt 15 Milliarden Euro einzusparen.
Trotz aller sich abzeichnenden Konflikte waren die Chancen in der Bundesrepublik noch nie so gut, die Subventionen wirksam zu stutzen. Der Druck der leeren Kassen erzwingt, was Wirtschaftswissenschaftler seit langem fordern. Denn die Ökonomen sind sich einig, dass die weit überwiegende Mehrzahl der staatlichen Hilfen Wirtschaft und Gesellschaft mehr schadet als nutzt. Sie verzerren das Preisgefüge und den Wettbewerb, locken Kapital und Beschäftigte in unrentable Branchen und Unternehmen, fördern Konzerne, Mittelständler und Bürger, die es nicht nötig hätten, und nicht selten fördern sie ungewollt die Umweltverschmutzung. Für all das muss der Steuerzahler aufkommen. Bei jeder Subvention, so formuliert es der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Halle, Rüdiger Pohl, „gelingt es einer Minderheit, sich auf Kosten der Mehrheit zu bereichern“.
Warum Regierung und Parlament dennoch bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder neue Subventionen beschlossen haben, hat der Finanzwissenschaftler Karl-Heinrich Hansmeyer schon in den sechziger Jahren beschrieben. Solche Hilfen sind im akuten Fall schnell und einfach in die Tat umzusetzen und bestens geeignet, politische Klienten und protestierende Wählergruppen gezielt zu besänftigen; die zusätzliche Bürde, die allen Steuerzahlern aufgeladen wird, bleibt dagegen zunächst unbemerkt. Ein Beispiel, wie Politiker vorgehen, ist die Entfernungspauschale: Als im zweiten Halbjahr 2000 die Benzinpreise sprunghaft stiegen und die Autofahrerlobby protestierte, reagierte die rot-grüne Koalition reflexhaft. Die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz konnten fortan weitaus stärker steuerlich abgesetzt werden. Dass der Benzinpreis später wieder sank, ist egal. Die Vergünstigung gilt weiter.
Die Geschichte der Bundesrepublik ist von Anfang an eine Geschichte nahezu ständig steigender Subventionen und meist nur kläglicher Versuche, die Hilfen zu reduzieren. Heute wird fast alles subventioniert: veraltete Branchen wie Kohlebergbau und Landwirtschaft genauso wie High-Tech-Unternehmen und Existenzgründer. Ob der Bürger Miete zahlt, ein Eigenheim erwirbt, ob er ins Kino geht oder spart, ob er Schnittblumen oder Hundefutter kauft – stets zeigt sich der Staat als Gönner.
Was im Einzelfall für den Steuerzahler unmerklich ist, nimmt in der Summe erschreckende Ausmaße an. Im jüngsten Subventionsbericht des Bundes für das Jahr 2001 werden die Finanzhilfen, Steuervergünstigungen und so genannten Marktordnungsausgaben von Bund, Ländern, Kommunen und Europäischer Union auf zusammen 57,8 Milliarden Euro beziffert. Klingt hoch? Geflissentlich lässt der Bund „generelle Staatsaufgaben“ wie die Sozialpolitik und den Aufbau der Infrastruktur dabei außer Acht.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet dagegen auch sämtliche Leistungen für öffentlichen Personennahverkehr, Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten bis hin zum Sonderausgabenabzug für die Kirchensteuer zu den staatlichen Vergünstigungen. So kommen die Kieler auf ein Subventionsvolumen von 156 Milliarden Euro im Jahr. Würden diese Zuschüsse und Vergünstigungen komplett gestrichen, so rechnen die IfW-Subventionsexperten Alfred Boss und Astrid Rosen schon vor, „könnten die Einkommensteuersätze letztlich um fast zwei Drittel verringert werden“.
Tatsächlich ist selbst diese Auflistung nicht komplett. So überlassen Kommunen örtlichen Betrieben Grundstücke besonders billig. Auch Ermäßigungen bei der Umsatzsteuer sind mangels Statistiken nicht zu beziffern. Und die Vergünstigungen in Milliardenhöhe, die der Wirtschaft zugute kommen, weil in der Regel die steuerlichen Abschreibungsfristen deutlich kürzer sind als die tatsächliche Nutzungsdauer, werden nicht einmal erwähnt.
So umstritten die Definition der Kieler Wissenschaftler auch ist, für das rot-schwarze Streich-Duo Steinbrück/Koch ist deren Gutachten die Arbeitsgrundlage. Die beiden Ministerpräsidenten haben sich vorgenommen, im Prinzip alle Leistungen nach der so genannten Rasenmäher-Methode inerhalb von drei Jahren um insgesamt zehn Prozent zu kürzen. Die beiden Politiker haben nicht nur deshalb absolute Vertraulichkeit vereinbart, weil sie mit einem „wahnsinnigen Sturm“ (ein Beteiligter) von Protesten der Lobbyisten rechnen. Auch in ihren jeweiligen Parteien müssten sie durch „Minenfelder“ gehen, sagt ein Insider. Für den CDU-Mann Koch droht die Explosion vor allem auf dem Feld der Eigenheimzulage, deren Kürzung die Unionsmehrheit im Bundesrat kürzlich erst verhindert hat. Zu den Widerständlern gehört der mächtige bayerische Regierungschef Edmund Stoiber. Und Wolfgang Böhmer, Landeschef in Sachsen-Anhalt, ist zwar zu Einschränkungen bereit, will aber in Ostdeutschland frei werdende Mittel in Subventionen für den Stadtumbau umwandeln.
SPD-Mann Steinbrück muss sich vorsehen, wenn er an die Steuerfreiheit der Lohnzuschläge für Nacht- und Feiertagsarbeit heranwill. Für Sozialdemokraten war diese Vergünstigung bislang absolut tabu. Noch im Bundestagswahlkampf lehnte die SPD entschieden ab, den Vorteil für die Nachtarbeiter zu streichen. Zwar plädieren inzwischen auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der Niedersachse Sigmar Gabriel offen dafür, die Vergünstigung abzuschaffen. Aber SPD-Generalsekretär Olaf Scholz versucht bereits, den Vorstoß abzublocken: „Es ist eine Steuervergünstigung, die aus Respekt erfolgt vor sehr schwerer Arbeit von Menschen, die es nicht leicht haben, nachts zu arbeiten und am Sonntag.“ Als gehe es um moralische Wertungen und nicht um die Frage: Wer zahlt – der Staat oder der Arbeitgeber? Denn unter dem Strich profitiert das Unternehmen von der indirekten Lohnsubvention. Wie in diesem Fall Sozialdemokraten schwingen sonst Interessenvertreter die Moralkeule. Kleine Baubetriebe in den Ruin schicken – wer will das verantworten? Die Kohleregionen verarmen lassen – und das, obwohl es ohne die Kumpel das Wirtschaftswunder nie gegeben hätte?
Koch und Steinbrück haben viel vor sich. Strittig ist auch ihr Generalplan, alle Staatshilfen per Rasenmäher zu scheren. Viele Wissenschaftler halten dieses Verfahren nur für die „zweitbeste Lösung“, wenn ein gezielter Abbau wieder einmal scheitert. Der Methoden-Streit geht quer durch die Parteien. Bernhard Vogel (CDU), der scheidende Thüringer Regierungschef, wehrt sich gegen ein Zurückschneiden aller Subventionen „blind durch das Gestrüpp“, weil er um die Aufbauhilfen für Ostdeutschland fürchtet. Und die grüne Finanzpolitikerin Christine Scheel bezweifelt, „dass ein Euro, der in die Steinkohle geht, genauso viel wert ist wie ein Euro, der in Zukunfstechnologie beziehungsweise Forschung geht“.
Bundesfinanzminister Eichel, der 2004 im Bundeshaushalt eine Lücke von 15 Milliarden Euro zu füllen hat, hält ebenfalls nichts von pauschalen Kürzungen, weil dies „auch wichtige Aufgaben treffen“ würde. Andererseits reicht ihm das 10-Prozent-Ziel von Steinbrück und Koch nicht aus. Bereits im April hatte er seine Kabinettskollegen schriftlich aufgefordert, zur Vorbereitung des Haushalts 2004 Angaben zu sämtlichen Finanzhilfen abzuliefern – einschließlich präziser Rechtfertigungsgründe sowie Möglichkeiten der Befristung und des Abbaus.
Spätestens bis zu den Beratungen des Budgetentwurfs 2004 im Parlament nach der Sommerpause will Eichel die Ergebnisse seiner Rotstift-Aktion präsentieren. Seine Beamten liefern die Argumente – selbst gegen die erst von Rot-Grün eingeführte „neueste Subventionsmode in der Landwirtschaft“, die Förderung des „Öko-Landbaus“. „Wer Öko-Produkte essen will“, heißt es in einem internen Papier, „sollte sie auch zu Marktpreisen bezahlen.“ Eichels Experten attackieren jedoch nicht nur die umfangreichen Agrarhilfen, sondern auch Hilfen für die gewerbliche Wirtschaft: „Subventionierte Unternehmen haben weniger Anreize, neue Produkte zu entwickeln bzw. nach Märkten zu suchen, auf denen profitable Geschäfte ohne Subventionen möglich wären.“ Außerdem monieren sie beispielsweise, dass der Staat Zuschüsse für neue Schiffe in der Seefischerei bezahlt und gleichzeitig noch Abwrackprämien auslobt. Da kann man sich gegen staatliche Zuwendung kaum noch wehren.
Eichel plant mehr als eine Neuauflage seines am Bundesrat gescheiterten „Steuervergünstigungsabbaugesetzes“. Konsequenter als damals will er nach Informationen von Insidern mit Vergünstigungen bei der Umsatzsteuer aufräumen, die derzeit von Prothesen über Saatgut bis zu Zirkusveranstaltungen reichen. Nur noch für wenige Ausnahmen – Lebensmittel, Zeitungen, öffentlichen Personennahverkehr – soll der ermäßigte Satz von sieben Prozent gelten.
Die umstrittene Eigenheimzulage, die der Finanzminister im ersten Anlauf nur halbieren wollte, will Eichel jetzt womöglich komplett zur Disposition stellen. Er hält es für widersinnig, dass der Staat trotz weithin gesättigten Wohnungsmarktes mit zehn Milliarden Euro jährlich den Bau oder Kauf von Eigenheimen bezuschusst. Gleichzeitig läuft in Ostdeutschland, ebenfalls mit Staatshilfe, ein Abrissprogramm für 350000 überflüssige Wohnungen.
Jetzt oder nie: Die riesigen Defizite in den öffentlichen Haushalten könnten den Widerstand der Interessenvertreter entscheidend schwächen. „Wenn man einen Generalangriff auf die Subventionen starten will, ist nun die beste Gelegenheit“, erklärt ein Eichel-Mitarbeiter, „das Zeitfenster ist da.“
(c) DIE ZEIT 28.05.2003 Nr.23 |