Pro und Kontra von Konjunkturforschern zu »Reformen« Schröders Wer den Sozialstaat beseitigen will, muß den Untergang der deutschen Industrie beschwören. Der gestrige Montag war der Tag der Schwarzmaler: Zuerst präsentierte das Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung den monatlichen Geschäftsklimaindex – Gradmesser für die Gemütslage der Wirtschaftsbosse –, der mit 86,6 für Westdeutschland auf den niedrigsten Wert seit über einem Jahr abgeschmiert ist. Danach unkte Martin Kannegiesser, Chef des Unternehmerverbandes Gesamtmetall, von irgend etwas »zwischen Stagnation und homöopathischem Wachstum« für die deutsche Metall- und Elektroindustrie. In Bild prophezeite der sogenannte Wirtschaftsweise Jürgen Kromphardt ein Anwachsen des Arbeitslosenheeres auf über fünf Millionen im kommenden Winter. Und schließlich senkte auch noch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) die Wachstumsprognose der Bundesregierung für das laufende Jahr von einst einem auf 0,75 Prozent, während internationale und hiesige »Konjunkturexperten« höchstens eine halbes Prozent prognostizieren und eine Rezession für möglich halten.
So düster die Töne, so eindeutig die Botschaft: Deutschland braucht »Reformen«. Bundeskanzler Gerhard Schröder bekräftigte vor einer Sitzung des SPD-Vorstandes seine indirekte Rücktrittsdrohung, falls die Partei seinen Vorgaben nicht folge. Das Gremium verabschiedete erwartungsgemäß mit großer Mehrheit sein neoliberales »Reform«paket für Sozialabbau und Armenbekämpfung als Leitantrag für den SPD-Sonderparteitag am 1.Juni.
Tatsächliche Reformen schweben dagegen den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik vor, die am Montag in Berlin ihr Memorandum 2003 als, wie es darin heißt, »wichtigste Antwort auf das Jahresgutachten der Fünf Weisen« Medienvertretern vorstellten. Ihre Bestandsaufnahme der herrschenden Wirtschafts- und Sozialpolitik könnte vernichtender kaum ausfallen. »Die Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik der Bundesregierung gleicht einem Scherbenhaufen«, befand Norbert Reuter, Privatdozent an der Technischen Universität Aachen. »Die wirtschaftspolitische Lage Deutschlands im Frühjahr 2003 ist durch Konzeptionslosigkeit, Unsicherheit und Chaos gekennzeichnet.« Spätestens mit ihrer Steuerreform sei die SPD-Grünen-Regierung völlig auf den »neoliberalen Zug« aufgesprungen.
Während Großunternehmen und Kapitalgesellschaften mit Steuergeschenken überhäuft worden seien, habe die Regierung »weniger soziale Gerechtigkeit, erodierende Staatseinnahmen und eine Schwächung der Binnennachfrage« ins Werk gesetzt, so Reuter. Folge der restriktiven Haushaltspolitik seien zunehmende »öffentliche Armut« und ein öffentliches Investitionsvolumen, das mit 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einen historischen Tiefstand erreicht habe. Besserung ist für die alternativen Wirtschaftswissenschaftler nicht in Sicht. Mit der beschlossenen Abgeltungssteuer auf Zinseinkünfte in Verbindung mit dem Steueramnestiegesetz werde sich die Situation der öffentlichen Haushalte noch verschärfen, sagte Reuter. Das in die Wege geleitete Steuervergünstigungsabbaugesetz sei nicht mehr als eine »Lachnummer« angesichts der Folgen der geplanten nächsten Stufe der Steuerreform, die den staatlichen Kassen Mindereinahmen in Milliardenhöhe bescheren werde.
Zeitgleich zum Irak-Krieg habe die Regierung mit einem »Krieg gegen den Sozialstaat« begonnen, erklärte Ingo Schmidt von der Fachhochschule Technik und Wirtschaft in Berlin. Mit den »Arbeitsmarktreformen« nach dem Hartz-Konzept werde die Binnennachfrage weiter gedrosselt, wodurch die Wirtschaft noch weniger Anlaß habe, in neue Kapazitäten zu investieren. Die Konsequenz beschrieb Heinz Bontrup von der Fachhochschule Gelsenkirchen: »Das Abgleiten in eine Depression und Rezession wird immer wahrscheinlicher.« »Eine Zunahme der privaten Investitionen ist erst zu erwarten, wenn die bestehenden Produktionsanlagen durch eine politisch zu schaffende Zusatznachfrage in normalem Umfang ausgelastet werden«, heißt es im Memorandum. Der dazu von der Memogruppe vorgeschlagene Maßnahmenkatalog umfaßt unter anderem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Einführung einer Erbschafts-, Börsen-, Spekulations- und Wertschöpfungssteuer, was alles in allem Mehreinnahmen von 129 Milliarden Euro einbringen würde.
Daß die tonangebenden Wirtschaftsexperten allerdings auch weiterhin ihr Heil in der Angebotspolitik suchen wollen, verdeutlichte eine am Montag veröffentlichte Umfrage des ARD-Magazins »Fakt«. Danach stärken die führenden Wirtschaftsinstitute unisono dem Bundeskanzler gegen seine parteinternen Widersacher den Rücken. Die Position seiner Gegner sei dagegen »ökonomisch nicht tragfähig«. jungewelt.de |