Das Reich Saddam Husseins ist rapide geschrumpft: Nach zwei Wochen Krieg bietet ihm nur noch Bagdads Häusermeer Unterschlupf. Schon dringen amerikanische Kommandos zu den Symbolen der Macht vor.
In der Nacht zum Donnerstag haben sie einen Palast des Diktators 90 Kilometer nördlich der Hauptstadt betreten. Dabei fielen ihnen angeblich Dokumente in die Hände. Seine Prunkanlagen meidet Saddam schon lange. Wie auch andere Zielscheiben für US-Raketen: Regierungs- und Parteigebäude, militärische Schaltzentralen sind für den irakischen Machthaber Tabu.
Kenner der irakischen Verhältnisse vermuten, dass sich der gejagte Staatschef vor allem in unscheinbaren Privathäusern aufhält - ein Dasein ohne Tageslicht, hinter zugezogenen Gardinen und in Kellern. Seit fast zwei Wochen hat er auch nicht mehr persönlich im irakischen Fernsehen gesprochen. Bilder, die ihn wohlgelaunt im Kreis seiner Getreuen zeigen, scheinen frisch, könnten aber aus dem Archiv stammen. Seine nun täglichen Durchhaltereden verlesen Sprecher. Sie könnten aus auch aus der Feder eines Mitarbeiters stammen.
Gerüchte und Propaganda
Um den Verbleib Saddam Husseins ranken sich seit Kriegsbeginn Gerüchte, Theorien, Propaganda. Amerikaner und Briten streuen beharrlich Hinweise, schon die erste Raketensalve habe Saddam erwischt und ihn zumindest verletzt. Der oberste Regime-Sprecher Mohammed Said el Sahhaf dementiert.
Ein geflohener Ex-Vertrauter berichtet der "Bild am Sonntag", Saddams Familie habe sich längst nach Syrien abgesetzt, der Diktator selbst sitze auf gepackten Koffern. El Sahhaf dementiert: Der Präsident werde sein Land niemals verlassen, um seine Haut zu retten.
Vor allem jene, die Saddam und sein Regime schon länger und aus eigener Anschauung kennen, glauben den Verlautbarungen aus Bagdad: Irakische Dissidenten wissen nur zu gut, wie zäh der Diktator am Leben hängt. "Saddam ist in der Lage, noch eine Weile durchzuhalten", sagt Kasim Habib in Berlin. "Er ist jetzt in seinem Element. Er ist ein Mann des Abenteuers und freut sich, wenn Menschen sterben."
Ein Typ, der kocht
Kasim Habib kennt Saddam Hussein. Ihre Wege kreuzten sich mehrfach zwischen 1975 und 1978, erinnert sich der Exilant. Als Fachmann für politische Ökonomie und Entwicklungsfragen beriet er damals die Baath-Regierung. Saddam war der zweite Mann im Staat. "Er tauchte überall auf, auch in unseren Sitzungen. Und dann diskutierte er mit uns. Er hatte Interesse an theoretischen Fragen, gefiel sich als Intellektueller. Nach außen wirkte er ruhig, aber innerlich ist er ein Typ, der kocht."
Habib war nicht Baathist, sondern Kommunist. Nach der Veröffentlichung eines kritischen Artikels im Sommer 1978 sei er für zwei Wochen inhaftiert und dann in den Ruhestand versetzt worden. Wenig später habe er Irak verlassen.
Er hält Saddam für einen selbstverliebten Pragmatiker und Machtmenschen. "Zuckerbrot und Peitsche, teile und herrsche - diese Lektionen hat er gelernt. Er weiß, wie er verschiedene Parteien gegeneinander ausspielt, um selbst zu profitieren."
Ein ruhiger, aber grausamer Sohn
Bis zuletzt werde der irakische Diktator kämpfen, glaubt Habib. Denn Saddam wolle sich zu einer historischen Figur für die Araber stilisieren. Allerdings, auch wenn er getötet werde, könne das Regime noch eine gewisse Zeit existieren. "Saddam hat eine Hierarchie aufgebaut." An seine Stelle trete vermutlich Sohn Kussai, der - anders als sein Bruder Udai - sehr ruhig, aber ebenso grausam sei. Unterstützt würde auch Kussai vom stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarik Asis, Vize-Präsident Taha Jassin Ramadan und der Nummer zwei des Revolutionären Kommandorates, Issat Ibrahim al-Duri.
Nicht nur Exiliraker halten das für denkbar. Henner Fürtig vom Orient-Institut in Hamburg glaubt ebenfalls, dass der innere Machtzirkel um Saddam Hussein selbst nach dessen Tod alles daran setzten würde, den Widerstand fortzusetzen. "Es gibt zwei Dutzend Personen um Saddam, die mit dem Regime untergehen werden. Sie haben Saddam seit den fünfziger Jahren begleitet, man könnte fast von Sandkastenkameraden sprechen."
Dass der Diktator im letzten Moment doch noch die Flucht ergreifen könnte, erwartet Fürtig nicht. "Es gibt einfach keinen Punkt, an dem Saddam Hussein sicher wäre." Doch ebenso wenig dürfte der Diktator seinen Häschern lebend ins Netz gehen: Eine letzte Kugel hat er schon lange für sich selbst reserviert. |