Die Anhörung führender Wirtschaftsforscher vor dem Untersuchungsausschuss "Wahlbetrug" hat keine Klarheit gebracht. Die SPD wertete die Aussagen der fünf Experten am Donnerstag als eindeutige Entlastung der Bundesregierung. Die Union sah den Vorwurf des Wahlbetrugs dagegen "in vollem Umfang" bestätigt. Die Experten nahmen als erste Zeugen vor dem auf Betreiben der CDU/CSU eingesetzten Bundestagsgremium Stellung. Der Ausschuss soll klären, ob die Bundesregierung die Öffentlichkeit mit ihren Wahlaussagen zur Finanzlage bewusst getäuscht hat.
Die Wissenschaftler räumten ein, dass es bereits vor der Bundestagswahl im Spätsommer 2002 Hinweise auf eine deutliche Verschlechterung der Haushaltssituation gegeben habe. Die offizielle Korrektur der Prognosen sei aber erst nach der Wahl erfolgt.
Die Experten wiesen einhellig auf die Unsicherheit von Wirtschaftsprognosen hin, die sich in den letzten Jahren sogar noch vergrößert habe. Der Vorwurf falscher Information sei daher prinzipiell schwer von dem einer Fehleinschätzung zu unterscheiden, erklärte der Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Gustav Horn. Ähnlich äußerte sich Hugo Dieke vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel: Solange sich die Treffsicherheit der Konjunkturprognosen nicht verbessere, "wird der Finanzminister immer wieder zu Revisionen seiner Finanzpläne nach unten gezwungen werden".
Der SPD-Obmann Dieter Wiefelspütz sagte nach der Anhörung, keiner der Wissenschaftler habe erklärt, dass eine Korrektur der Regierungsprognosen vor der Wahl zwingend gewesen wäre. Damit sei die Regierung eindeutig entlastet. "Im Grunde könnten wir den Untersuchungsausschuss heute beenden."
Der CDU/CSU-Obmann Peter Altmaier kam zu einer gegensätzlichen Bewertung der Aussagen. Die Union sehe sich "in vollem Umfang" in ihren Vorwürfen bestätigt. Für die Wissenschaft sei der ungünstige Konjunkturverlauf klar gewesen, nur die Bundesregierung sei bei ihrer Einschätzung geblieben. Für Finanzminister Hans Eichel werde es nun sehr schwer werden, einen Entlastungsbeweis vorzubringen.
Der Ausschuss einigte sich darauf, Eichel bereits am 20. Februar zu befragen. Bisher war die Vernehmung für den 13. März geplant. Altmaier warf der Regierung erneut vor, wichtige Akten für die Ausschussarbeit zurückzuhalten. Das Finanzministerium wies die Kritik als "völlig unbegründet" zurück. Die Bundesregierung habe dem Ausschuss bereits eine Woche nach Eingang der entsprechenden Beweisbeschlüsse die ersten Unterlagen vorgelegt.
Der "Lügen-Ausschuss" war im Dezember auf Antrag der Union vom Bundestag eingesetzt worden. Das Gremium soll Wahlaussagen zur Situation des Bundeshaushalts, der Finanzlage der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie zur Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. |