Zielsicher scheinen die USA auf einen Krieg gegen den Irak hinzusteuern. In der internationalen Gemeinschaft hingegen kommen immer stärkere Zweifel auf. Viele Fragen stehen im Raum: Kommt der Krieg, oder wird er in letzter Minute abgewendet? Wer könnte ihn noch verhindern? Geht es tatsächlich um die Entwaffnung des irakischen Terrorregimes? Sollen möglicherweise viele tausend Menschen im Irak sterben, damit der Nachschub an Rohstoffen in die USA gesichert bleibt oder stehen ganz andere Gründe im Vordergrund? T-Online ist den wichtigsten Fragen nachgegangen, hat mit Fachleuten gesprochen und Expertisen gesichtet. Lesen Sie hier das Ergebnis: Die elf wichtigsten Fragen und Antworten zum Irak-Konflikt.
Kommt der Krieg oder kommt er nicht?
Noch Anfang Januar hätte jeder die Frage mit Ja beantwortet. Mittlerweile hat jedoch nicht nur der Druck der internationalen Gemeinschaft auf die USA zugenommen. Auch innerhalb der USA sprechen sich immer mehr Politiker, ja ganze Stadträte großer Kommunen wie Chicago oder San Francisco gegen einen Angriffskrieg aus. Zwar sind bereits über 100.000 amerikanische Soldaten am Golf aufmarschiert. Doch selbst die dortigen Verbündeten der Amerikaner, die sich durch die Massenvernichtungswaffen des Irak besonders bedroht fühlen müssten, scheinen weder an einem Waffengang noch an der Entmachtung des irakischen Staatschefs Saddam Husseins besonders großes Interesse zu haben. Innenpolitisch gesehen könnten die materiellen Kosten des Krieges in Zeiten einer geschwächten US-Wirtschaft sehr schnell einen hohen politischen Preis fordern. Unter diesen Umständen muss Präsident George W. Bush befürchten, am Ende - das heißt für ihn bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2004 - allein dazustehen. Dennoch bleibt die Kriegsgefahr angesichts der politischen Eigendynamik durch den Truppenaufmarsch enorm. Was wird vom Irak verlangt?
Nach zahlreichen erfolglosen Versuchen der UN, Berichte über irakische ABC-Waffen zu verifizieren, sowie nicht minder zahlreichen Täuschungsmanövern des irakischen Diktators, warf Saddam Hussein die Waffenkontrolleure 1998 aus dem Land. Die Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrates vom 8. November 2002 soll dem Irak nun letztmals die Chance geben, die Bedingungen des Waffenstillstands von 1991 zu erfüllen. Das bedeutet: Rückhaltlose Offenlegung aller Programme zur Entwicklung von ABC-Waffen. Falls die Auflagen nicht erfüllt werden, beinhaltet die Resolution die Drohung mit "ernsthaften Konsequenzen" – sprich einem militärischen Angriff durch internationale Truppen.
Gibt es gesicherte Erkenntnisse über das irakische Waffenpotenzial?
Bislang ist die Ausbeute der UN-Kontrolleure mager. Lediglich einige verrostete B-Waffen-fähige Granaten wurden Mitte Januar in einer Fabrikhalle entdeckt. Noch nicht einmal die USA erhoben einen Einwand gegen die Entschuldigung der Iraker, diese seien schlicht vergessen worden. Dennoch weist der 12.000-Seiten-Bericht, den die Bagdader Regierung vorgelegt hat, schwerwiegende Lücken auf: So fehlen Belege für den Verbleib größerer Mengen biologischer und chemischer Waffen, über die der Irak nachweislich bei der Ausreise der Waffenkontrolleure 1998 noch verfügte. Es fehlen darüber hinaus Nachweise für die Zerstörung von Scud-Raketen und Senfgas-Artilleriegranaten. Ebenso wird fieberhaft nach Hinweisen auf geheime Rüstungsprogramme geforscht. Fragen, die – zumindest in den Augen der Washingtoner Regierung – über Krieg und Frieden entscheiden.
Weshalb scheinen die USA so verbissen auf einen Krieg zuzusteuern? Ist Erdöl der Grund?
Wohl verfügt der Irak über die zweitgrößten Ölreserven der Welt. Die Kontrolle hierüber ist für die USA, den größten Energieverbraucher der Welt, in Zeiten schwindender Ressourcen sicherlich verlockend. Zahlreiche Fachleute für internationale Politik glauben jedoch, dass es der US-Regierung um mehr geht: Wichtiger als die Ölreserven, die Massenvernichtungswaffen und der Sturz Saddam Husseins sei die weltweite Vormachtstellung der USA im 21. Jahrhundert. Dazu wollten die Amerikaner ihre nach dem 11. September entwickelte Präventivkriegsdoktrin durchsetzen. Die besagt, dass Amerika sich "wehren" darf, noch bevor es angegriffen wird.
Hat ein Krieg gegen den Irak etwas mit dem Krieg gegen den islamistischen Terrorismus zu tun?
Nein. Auch der US-Regierung ist klar, dass die Verbindungen der El-Kaida und ihrer Verbündeten in den Irak vergleichsweise schwach sind. Zwar gibt es vage Berichte, nach denen sich Mohammed Atta in Tschechien mit irakischen Agenten getroffen haben soll. Die Quellen dieser Information gelten jedoch als dubios. Ironischerweise sollen sich die angeblich aus Afghanistan in den Irak geflüchteten El-Kaida-Kämpfer just in den von den USA geschützten autonomen Kurdengebieten verstecken – also außerhalb von Saddams Einflussbereich. Nichtsdestoweniger hat Präsident Bush es geschafft, große Teile der amerikanischen Bevölkerung nach den Attentaten des 11. September 2001, auf den Krieg gegen den Irak einzustimmen. Der Schock über die Attacke im Herzen Amerikas scheint die Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Schurken vor den Augen vieler Amerikaner verschwimmen zu lassen. Dennoch fordern die Menschen auch in den USA zunehmend stichhaltigere Beweise gegen den Irak.
Wird ein Krieg den Terrorismus anheizen?
Mit Sicherheit. Bereits im Vorfeld des Waffengangs häufen sich in den Staaten am Golf die Attentate auf US-Bürger. Der Grund: Sogar nicht religiöse Menschen fühlen sich durch die ständigen Einmischungen der USA und ihre dauerhafte Präsenz – vor allem in Saudi-Arabien, dem Land der heiligen Stätten Mekka und Medina – beleidigt. Dies erinnert die Araber an die europäischen Kreuzfahrer des Mittelalters. Attentate im internationalen Rahmen, durch Organisationen wie El-Kaida, finden vor diesem Hintergrund umso mehr Unterstützer. Zusätzlich könnten die Amerika-freundlichen Regierungen in Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten, die selbst in ihren Ländern den Menschenrechten wenig Wert beimessen, in einem bislang unbekannten Ausmaß unter Druck geraten Lässt sich Saddam Hussein freiwillig ins Exil schicken?
Zahlreiche arabische und europäische Außenminister sollen seit Anfang 2003 bei Saddam vorgesprochen haben, um den Diktator zum Gang ins Exil zu überreden – eine Möglichkeit, die ihm mittlerweile selbst US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nahe legt, was bedeutet, dass Saddam straffrei ausgehen könnte. Doch dieser wird vermutlich nicht darauf eingehen. Saddam-Kenner erwarten, dass der skrupellose Allein-Herrscher lieber als Märtyrer in Bagdad fällt, als sich entmachten zu lassen.
Warum hat es noch keinen Putsch gegen den Diktator gegeben?
Anläufe dazu gab es wohl, doch endeten sie meist mit dem Tod der Putschisten. Der Grund: Neun Geheimdienste, die teils von Saddams Söhnen Udai und Qusai, teils von andern nahen Verwandten geleitet werden, überwachen nicht nur jeden Entscheidungsträger des Regimes. Sie überwachen sich sogar untereinander. Der Clan der Tikritis, von dem der Präsident abstammt, bildet dabei das Ensemble, aus dem sich die Figuren in seinem Regierungs- und Überwachungstheater rekrutieren. Die meisten sind Schwager oder Verwandte des Herrschers. Ihre Rechnung und die zahlreicher anderer Profiteure des "Systems Saddam" ist einfach: Fällt Saddam, fallen auch sie.
Wie hoch wird voraussichtlich der Blutzoll sein, den die Menschen im Irak zahlen müssen?
Unabhängige Ärzteorganisationen rechnen im Verlauf eines Krieges mit bis zu 250.000 Toten. Auf Grund längerfristiger Auswirkungen des Krieges könnten nach Meinung von Vertretern der internationalen Ärzteorganisation Medico weitere 200.000 Menschen sterben. Mehrere Millionen wären auf der Flucht. Bereits jetzt seien die Krankenhäuser mit Medikamenten chronisch unterversorgt. Da die USA diesmal nicht nur die Vertreibung der irakischen Armee, sondern die Einnahme des ganzen Landes anstreben, sei der Konflikt notwendigerweise intensiver und zerstörerischer als 1991, so Medico. Schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung seien vor allem bei der Einnahme der weitläufigen Fünf-Millionen-Stadt Bagdad zu erwarten. Dessen ungeachtet werden sich Saddams Republikaner-Garde sowie seine persönliche Schutztruppe, zusammen etwa 70.000 bis 100.000 Mann, beim Endkampf vermutlich in den Wohnvierteln der Hauptstadt verschanzen. Die UN geht offiziell von "500.000 Verletzten" aus. Die USA rechnen mit bis zu 1000 Toten auf ihrer Seite.
Wie wollen die Strategen des Pentagon den Irak erobern?
Nach einhelliger Meinung wird ein Krieg durch massive Luftangriffe eingeleitet. Sie sollen so rasch wie möglich die militärische Infrastruktur des Saddam-Regimes zerschlagen, den Präsidenten isolieren und die konventionellen irakischen Truppen zum Überlaufen bewegen. Die Luftschläge gelten vor allem strategischen Schlüsselstellungen, wie Festungen, Munitionsdepots und sonstigen Verteidigungsanlagen. Darüber hinaus würden die Quartiere der Sondertruppen ins Visier genommen. Ziel ist es, heftige, langwierige und verlustreiche Straßenkämpfe in Bagdad und Saddams Heimatstadt Tikrit zu vermeiden. Die USA befürchten neben den zivilen Opfern vor allem, dass all ihre technischen Vorteile in den engen Gassen verloren gehen. Um das zu vermeiden stehen in der Nahost-Region die, mit der Tarnkappen-Technologie ausgerüsteten, Langstreckenbomber B-1- und B-2 bereit, die Tausende hochmoderner, satellitengeleiteter Bomben ins Ziel bringen können. Für den anschließenden Einmarsch sind 250.000 Soldaten, darunter sowohl Amerikanern als auch Truppen befreundeter Staaten, vorgesehen.
Wie stehen die Chancen für einen demokratischen Neuanfang nach Saddam?
Bei der Londoner Konferenz der exil-irakischen Gruppen Ende 2002, zeigte sich die Uneinigkeit der Opposition. Auch im Irak selbst gibt es keine aktionsfähige Opposition. Statt eines friedlichen Neubeginns droht der Ausbruch eines Bürgerkrieges: Ähnlich wie in Afghanistan teilt sich die Bevölkerung in drei große und zahlreiche kleine ethnische Gruppen auf. Die Schiiten im Südirak, mit über sechzig Prozent die größte Bevölkerungsgruppe und politisch eng mit dem Iran verbunden, warten schon lange darauf, sich von der Vorherrschaft der sunnitischen Minderheit freizumachen. Die Kurden im Nordirak sind dagegen praktisch autonom. Ihre Führer dürften wenig Interesse zeigen, sich wieder den Befehlen Bagdads zu unterwerfen. Statt dessen könnten radikale Gruppen versuchen, alte Rechnungen aus zahllosen Morden und unterdrückten Konflikten zu begleichen. So rückt für die Nachkriegszeit die schlechteste aller Optionen in greifbare Nähe: Ein amerikanischer Militärgouverneur, der einem schwachen Herrscher von Amerikas Gnaden zur Macht verhilft – für die arabische Welt der Gipfel der Unglaubwürdigkeit.
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