Zweifel an der Kraft der Beweise
Sicherheitsexperten setzen viele Fragezeichen hinter die Anschuldigungen Bushs gegen den Irak Einen kleinen Augenblick lang schaute der amerikanische Präsident George W. Bush in Richtung seines Außenministers und machte dann eine Ankündigung. Am 5.Februar solle der UN-Sicherheitsrat zusammentreten, und Außenminister Colin Powell werde dann dem Gremium „Informationen und Geheimdiensterkenntnisse“ vorlegen „über die illegalen Waffenprogramme des Irak, über seine Versuche, diese Waffen vor den Inspektoren zu verstecken, und über seine Verbindungen zu terroristischen Gruppen“.
„Da bin ich mal sehr gespannt, was die nächste Woche vorlegen“, kommentierte ein hochrangiger deutscher Sicherheitsberater am Mittwoch die Nachricht. Was Bush in seinem „Bericht zur Lage der Nation“ beispielhaft genannt habe, sei jedenfalls „kaum nachvollziehbar“, „ derzeit nicht verifizierbar“ oder „äußerst spekulativ“. Dass der Diktator Saddam Hussein der Vater aller Täuscher ist und dass seinen Beteuerungen nicht getraut werden darf, ist in der Gemeinschaft der westlichen Geheimdienste Konsens. Bei der Bewertung angeblicher Beweise gibt es allerdings mittlerweile erhebliche Meinungsunterschiede.
„Äußerst spekulativ“ sind aus deutscher Sicht die angeblichen Verbindungen zwischen der Terrorholding Osama bin Ladens, der al-Qaida, und dem Irak. Durch „Beweise aus Geheimdienstquellen, geheime Kommunikation“ und Aussagen von Gefangenen kann nach Angaben Bushs belegt werden, dass „Saddam Hussein Terroristen unterstützt und beschützt, darunter Mitglieder von al- Qaida“. Eine „abenteuerliche These“, sagt dazu ein hochrangiger Sicherheitsbeamter. Ähnlich deutlich äußern sich weitere deutsche Sicherheitsexperten, die sich mit Rücksicht auf die Diplomatie nur anonym zitieren lassen. Nach dem 11.September 2001, so argumentieren diese Beamten, sei jede Spur in Richtung Irak überprüft worden. Die These, Mohammed Atta, der Anführer der Attentäter, habe sich in Prag mit einem irakischen Agenten getroffen, sei falsch gewesen. Der Irak habe mit terroristischen Aktivitäten weit weniger zu tun als Iran, Syrien oder Pakistan.
Der Bundesnachrichtendienst (BND), nach Amerikanern und Engländern die Nummer drei in der elektronischen Aufklärung, hat etliche Gespräche geflüchteter Al-Qaida-Mitglieder abgehört. „Die Spur führt fast immer nach Iran oder nach Pakistan“, sagt ein BND-Mitarbeiter. Es gebe nur „vereinzelte Hinweise“ auf den Irak. In diesen Fällen handele es sich ausnahmslos um Verdächtige, die in den Norden des Zweistromlandes geflohen seien. Diese Region werde aber nicht von Saddam, sondern von den Kurden kontrolliert. Saddam könne ihr Verbleib nicht zugerechnet werden.
Vermutlich werde Powell nächste Woche erklären, der Irak habe in einigen Fällen Leuten bin Ladens „bei klandestinen Aktionen geholfen“, hieß es am Mittwoch. Darauf deuteten Gespräche von US-Geheimdienstlern mit deutschen Kollegen hin. Offenkundig werteten die Amerikaner vor allem die im Herbst 2000 angelaufene Unterstützung der radikalen Palästinensergruppe Hamas durch Saddam als Hilfe für al-Qaida. „Wenn alles al-Qaida ist, ist nichts al-Qaida“, sagt ein Beamter.
„Derzeit nicht verifizierbar“ sei auch die Behauptung Bushs, der Irak sei die Rechenschaft über „30000 Träger von Chemiewaffen schuldig geblieben“. Nach bisheriger Bilanz der UN, die von deutscher Seite übernommen worden ist, gilt der Verbleib von mehr als 6500 mit chemischen Kampfstoffen gefüllten Granaten weiterhin als unklar. „Plötzlich geht es um mehr als das Vierfache. Wieso?“ fragt ein Sicherheitsberater.
Auffälligerweise werde derzeit – anders als noch im Herbst – weder von den USA noch von Großbritannien behauptet, dass der Irak aktuell an Massenvernichtungswaffen arbeite, erklären deutsche Experten. Der britische Premier Tony Blair hatte im September 2002 einen 55 Seiten langen Bericht vorgelegt, in dem auch Satellitenbilder von angeblich neuen chemischen und biologischen Fabriken gezeigt wurden. Die Inspektoren haben diese Stätten in den vergangenen Wochen in Augenschein genommen und nichts Verdächtiges gefunden.
Das Dossier der Briten hatte sich auch auf Aussagen von human intelligence resources (Humint) gestützt, also auf Aussagen von Überläufern und Informanten. Vermutlich wird Powell auch die Erkenntnisse dieser Humints am 5.Februar aufführen. Irakische Überläufer hätten erklärt, so Bush in seiner Rede, dass der Irak in den neunziger Jahren mehrere mobile Labore zur Herstellung biologische Waffen unterhalten habe, deren Verbleib unklar sei.
Deutsche Sicherheitsbehörden haben an der Seriosität dieser Quellen Zweifel. Es handele sich in der Regel um Männer, die von irakischen Oppositionsgruppen präsentiert worden seien. Einer dieser Überläufer hatte im vergangenen Jahr in der amerikanischen Zeitschrift Vanity Fair erklärt, Saddam habe eine Flotte von Renault-Lastwagen mit mobilen Labors für Biowaffen ausstatten lassen, die im Lande umher führen, damit sie nicht aufgespürt werden könnten. Danach diente er als Kronzeuge einiger Nachrichtendienste.
Immerhin verzichten die USA derzeit auf jenen Zeugen, der ganz genau wusste, dass bereits Ende der achtziger Jahre am irakischen Resasa-See ein unterirdischer Atomtest stattgefunden und Saddam mindestens zwei Atombomben versteckt habe. |