Schröder: APOKALYPSE NOW

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neuester Beitrag: 28.11.02 14:43
eröffnet am: 28.11.02 08:58 von: Happy End Anzahl Beiträge: 7
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28.11.02 08:58

95441 Postings, 8983 Tage Happy EndSchröder: APOKALYPSE NOW

Immerhin: Oskar Lafontaine und Arnulf Baring haben das Ritual deutscher Vergangenheitsbeschwörung im politischen Tagesgeschäft um eine Nuance bereichert. Üblicherweise werden demokratische Politiker mit Nazigrößen und politische Ärgernisse in der offenen Gesellschaft mit Zuständen im Dritten Reich verglichen. Jetzt ist der historische Kostümfundus um die Endphase der Weimarer Republik erweitert worden. Freilich geht der Bezug zu der mit obsessiver Angstlust ins Gedächtnis gerufenen Nazizeit nicht verloren: Schröder mit Brüning in Verbindung zu bringen wirkt ja nur skandalös, weil mit dessen Scheitern als Reichskanzler der Weg zu Hitlers Machtergreifung frei geworden sei.

Die Gegenseite reagierte prompt mit routiniertem Entsetzen und empörten Warnungen vor der demokratiegefährdenden Gesinnung, die hinter der konzertierten „Kampagne“ von Presse und Opposition stecke. Rufen die einen „Brüning!“, kontern die anderen mit „Hugenberg!“. Überflüssig zu erwähnen, wie weit diese Schreckensbilder von der Realität einer nach wie vor wirtschaftskräftigen Gesellschaft entfernt sind, deren größte Reformbremse doch eher die saturierte Ermüdung als die entfesselte ideologische Leidenschaft ist. Nicht weniger absurd ist die Analogie zur untergehenden DDR. Wer die Bürger der Bundesrepublik dazu aufruft, mit dem Schlachtruf „Wir sind das Volk“ zur friedlichen Revolution auf die Straßen zu strömen, begreift nicht, dass es ein „Volk“ wie jenes, das 1989 in Leipzig und Berlin in Erscheinung trat, in einer komplexen pluralistischen Gesellschaft überhaupt nicht gibt. Seine Existenz setzt eine Interessensidentität der Bevölkerung gegenüber „dem Staatsapparat“ voraus, wie sie allenfalls im Widerstand gegen die Macht einer Diktatur denkbar ist.

Unsere Probleme sind harmloser und zugleich verzwickter. In der Immobilität und Entscheidungsschwäche der Regierenden spiegelt sich gerade das Dickicht der Interessenskonflikte in einer Gesellschaft wider, in der alle über ausbleibende Veränderungen klagen, deren mögliche unangenehme Auswirkungen aber niemand am eigenen Leib zu spüren bekommen will. Das strukturelle Dilemma – beider! – Volksparteien besteht keineswegs in ihrer Volkfeindlichkeit, sondern vielmehr darin, dass sie es „dem Volk“, das heißt allen gleichzeitig, recht machen wollen und sich deshalb zwangsläufig im Fangnetz der widerstrebenden Ansprüche verstricken.

Wenn sich der rhetorische Pulverdampf der jüngsten Gespensterdebatte verzogen haben wird, bleiben die Probleme. Hinzugekommen wird aber sein, dass die notwendige scharfe Kritik an einer kopf- und ziellosen Regierungspolitik durch den historisierenden Klamauk diskreditiert ist. So anachronistisch sind die Angst- und Untergangsszenarien, dass es den Apologeten des Stillstands leicht fällt, auch die mit angemessenem Pathos vorgetragenen Mahnungen, das Ausmaß der Krise endlich zuzugeben, als Panikmache und Miesepeterei abzutun.

Offenbar hat die Bundesrepublik noch immer kein ausreichendes historisches Selbstbewusstsein als ein in der deutschen Geschichte neuartiges, demokratisches Gebilde entwickelt, um sich ihre Lage anders erklären zu können denn durch unablässiges Bemühen historischer Gleichnisse aus ihrer Vorzeit. Je weiter sich die realen Probleme der modernen Demokratie von den totalitären Vergangenheiten entfernen und je bedrohlicher die Gegenwartsprobleme werden, umso willkürlicher die Vergleiche.

Der zwanghafte Rückgriff auf die Geschichte ist ein Fluchtreflex. Er drückt die Scheu der Eliten aus, sich Herausforderungen zu stellen, die kein Vorbild in der Geschichte haben. Die hysterische Katastrophenbeschwörung ist selbst ein Teil jenes Verdrängungsmechanismus, den sie durchbrechen will. Nicht um einen spektakulären Systemwechsel geht es heute, sondern um den zähen, beharrlichen Umbau vertrauter sozialer und wirtschaftliche Strukturen zwecks des Systemerhalts.

Nationen mit langer demokratischer Tradition haben Erfahrung darin, Krisen mit den Mitteln der Demokratie zu überwinden. In Deutschland aber sind die Eliten in den vergangenen Jahrzehnten im Bewusstsein herangewachsen, mit dem „Modell Deutschland“ schon die beste aller demokratischen Welten zu besitzen, das es nur noch zu vervollkommnen gelte. Für Einschnitte in der Demokratieentwicklung besitzen sie kein Instrumentarium und folglich auch kein Inventar an Leitbildern. Stattdessen klammert man sich an die Problemstellungen und Schlachtanordnungen der Vergangenheit und gewinnt so scheinbar festes weltanschauliches Terrain zurück, das in der Unübersichtlichkeit der Gegenwart und angesichts einer ungewissen Zukunft verloren ging.(Gruß an SchwarzerLord *g*) Das vermeintliche Geschichtsbewusstsein, das sich in der historischen Vergleichsmanie zur Schau stellt, ist in Wahrheit ein Symptom der Gegenwartsverdrängung und ein Medium der Enthistorisierung.

http://www.zeit.de/2002/49/Apokalypse  

28.11.02 09:09

3862 Postings, 8953 Tage flexoSigmar Gabriel:

"...die Probleme müssen angepackt werden, von Profis und dann brauchen wir auch Experten wie sie (gemeint war Arnulf Baring)..."

Baring (laut):"... mich brauchen sie nicht, SIE MÜSSEN NUR HANDELN..."

Die Gegenwartsverdrängung gibt es tatsächlich! Gerhard Schröder verdrängt, das auf seinem Platz inzwischen die Lobbyisten das Sagen haben, in Ohnmacht beobachtet von Problembewussten Grünen.  

28.11.02 09:14

95441 Postings, 8983 Tage Happy End@flexo: Den Zusatz "laut" bei Baring

hättest Du Dir sparen können - ich glaube, in Diskussionen habe ich ihn noch nie leise erlebt ;-)))

 

28.11.02 09:18

3862 Postings, 8953 Tage flexoMag sein,

aber es hatte den Anschein des Rufens in die Wüste.  

28.11.02 09:18

870 Postings, 8850 Tage hasenhaarschneiderwurde im Staatsbürgerkunde-Untericht gelehrt

Dialektische Qualitätssprünge

II.1. Dialektische Qualitätssprünge bei Hegel

"Es hat sich aber gezeigt, daß die Veränderungen des Seins überhaupt nicht nur das Übergehen einer Größe in eine andere Größe, sondern Übergang vom Qualitativen in das Quantitative und umgekehrt sind, ein Anderswerden, das ein Abbrechen des Allmählichen und ein qualitativ Anderes gegen das vorhergehende Dasein ist." (Hegel 1812/1986, S. 440)

II.2. Dialektische Qualitätssprünge bei Engels

Engels meint, daß die Gesetze der Dialektik, die sich vor allem auf jene zum Qualitätssprung konzentrieren, direkt aus der "Geschichte der Natur wie der menschlichen Gesellschaft" (Engels, S. 51) abstrahiert werden können. Er nennt folgende dialektischen Grundgesetze:

das Gesetz des Umschlagens von Quantität in Qualität und umgekehrt;
das Gesetz von der Durchdringung der Gegensätze;
das Gesetz von der Negation der Negation. (ebd., S., 51)
Engels legte größten Wert darauf, daß diese dialektischen Gesetze "wirkliche Entwicklungsgesetze der Natur" (S. 52) seien. Als Nachweis wurden verschiedene Entwicklungsvorgänge mit Hilfe dieser Gesetze beschrieben und die Gesetze dadurch "nachgewiesen". Problematisch war aber, daß eigentlich niemals ein Prozeß durchgehend mit allen drei Gesetzen untersucht wurde.

(Eine etwas differenzierte Sicht, unter Einbeziehung der Selbstorganisation,
siehe bei Schlemm 1996)

II.3. Dialektische Qualitätssprünge bei Holzkamp

Holzkamp hat bereits auf dialektische Methoden zurückgegriffen, vor allem bei der logisch-historischen Analyse der Menschheitsentwicklung. Hier verwies er bereits darauf, daß diese Methode nur im Nachhinein für das Historische anwendbar ist, nicht direkt zur Vorhersage von Zukünftigem (vgl. das Zitat in II.3.3.)

Das Gleiche gilt für die inhaltlich differenzierte Untersuchung von Qualitätssprüngen. Holzkamp wendet sie bei der Untersuchung der Evolution des Psychischen innerhalb der Phylogenese und auch bei der Antrhopogenese an. Er unterscheidet dabei 5 typische Phasen, in denen sich die reale Evolution widerspiegeln läßt:

Aufweis der realhistorischen Dimension der jeweils früheren Stufe
Aufweis der objektiven Veränderungen der Außenweltbedingungen, mit denen der "innere" Entwicklungswiderspruch... in seinem Umweltpol zustandekommen soll" (S. 79)
Aufweis des Funktionswechsels der (im ersten Schritt) aufgewiesenen relevanten Dimensionen als "Organismus-Pol" des Entwicklungswiderspruchs, damit der Entstehung des ersten qualitativen Sprungs der Herausbildung der Spezifik der neuen Funktion unter den veränderten Außenbedingungen.
Dominanzweclsel: neue Qualität des Gesamtprozesses gegenüber dem früheren Gesamtprozeß – die früher qualitativ spezifische Funktion wird zur für die Systemerhaltung bestimmenden Funktion.
Aufweis der Umstrukturierung und neuen Entwicklungsrichtung des Gesamtsystems.
(Mehr zur 5-Schritt-Dialektik
nach Holzkamp siehe
http://www.thur.de/philo/kp/5_schritt.htm))
Holzkamp präzisiert und korrigiert damit das im Marxismus-Leninismus dominierende Dialektikverständnis durch:

die Betonung der nur zeitlich rückwärtsgewandten Anwendbarkeit,
die Betonung der Rolle der Außenweltveränderungen (im 2. Punkt) und
die Unterscheidung von Funktionwechsel und Dominanzwechsel (im 3. Und 4. Punkt).


 

28.11.02 09:28

3862 Postings, 8953 Tage flexoUnd noch was:

Textstelle:"Unsere Probleme sind harmloser und zugleich verzwickter. In der Immobilität und Entscheidungsschwäche der Regierenden spiegelt sich gerade das Dickicht der Interessenskonflikte in einer Gesellschaft wider, in der alle über ausbleibende Veränderungen klagen, deren mögliche unangenehme Auswirkungen aber niemand am eigenen Leib zu spüren bekommen ... dass sie es „dem Volk“, das heißt allen gleichzeitig, recht machen wollen und sich deshalb zwangsläufig im Fangnetz der widerstrebenden Ansprüche verstricken."

Falsch ist hier:Das Volk, das heißt jeder einzelne wird (mitunter von verschiedenen) Interessengruppen "vertreten". So zum Beispiel von "interessenverirrten" Gewerkschaften. Diese - und das hab ich mehrfach ausgeführt - vertritt nicht mehr wirklich das Mitglied sondern vielmehr ihre Eigeninteressen. Das heißt die Veränderungen die wirklich anstehen tun dem Volk nicht weh sondern den Funktionären von Gewerkschaften, die inzwischen versuchen unter allen Umständen Einfluß und Gewinn der Tochterunternehmen zu maximieren.  

28.11.02 14:43

95441 Postings, 8983 Tage Happy EndLobbys sind immer interessenverwirrt

Ob es nun die Gewerkschaften oder die Arbeitgeberverbände oder sonstwer ist

;-))

 

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