Kommentar: Ihr Heuchler
Von BERND ZIESEMER
Wohl selten sind neue Belastungen für die Bürger mit so viel Heuchelei vorbereitet worden wie gegenwärtig in Deutschland. Die Sozialdemokraten begleiten die geplante (Wieder-)Belebung der Vermögensteuer mit einer öffentlichen Rhetorik, die gleich in mehrfacher Hinsicht unredlich, unsolide und ungeheuerlich ist. Heuchelei Nummer eins: Der Kanzler und die SPD-Bundesspitze haben mit der ganzen Angelegenheit angeblich gar nichts zu tun, weil die Vermögensteuer ja reine Ländersache sei. Wahr ist: Ihre erneute bundesweite Einführung bedarf eines Bundestagsbeschlusses, der ohne den Kanzler nicht möglich ist.
Heuchelei Nummer zwei: Deutschland brauche die Zusatzeinnahmen aus der Vermögensteuer, um dringende Investitionen im Bildungswesen zu finanzieren. Wahr ist: Gerade die sozialdemokratischen Bundesländer, die jetzt besonders vehement für die neue Abgabe eintreten (Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen), haben an den Schulen und Universitäten in den letzten Jahren besonders eklatant versagt.
Heuchelei Nummer drei: Nur die „Höchstverdiener“, so Wolfgang Clement, müssten bluten. Wahr ist: Die geplanten Einnahmen von rund acht Milliarden Euro werden niemals zusammenkommen, wenn nicht eine größere Zahl von Immobilienbesitzern zur Kasse gebeten wird.
Heuchelei Nummer vier: Nicht die Unternehmen, sondern nur ein paar Superreiche würden belastet. Wahr ist: Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen kann der Gesetzgeber gar nicht zwischen Betriebs- und Privatvermögen unterscheiden. Heuchelei Nummer fünf: Es gehe um „mehr Gerechtigkeit“. Wahr ist: Es geht einzig und allein darum, die öffentlichen Kassen zu füllen und die notwendigen radikalen Sparaktionen im Staatshaushalt zu verhindern.
Von dem französischen Moralisten François La Rochefoucauld stammt die Bemerkung, Heuchelei sei die Huldigung des Lasters an die Tugend. In der deutschen Politik verbündet sich in der Debatte um die Vermögensteuer das Laster der Staatsgläubigkeit mit der Untugend der Reformunfähigkeit, um in Worten so hehren Werten wie sozialer Gerechtigkeit zu huldigen. Die Resozialdemokratisierung der Republik, die in diesen Wochen erprobt wird, folgt einer simplen Leitidee: dass der Staat das Geld besser auszugeben weiß als der Bürger.
Kindererziehung? Die Eltern werden höher belastet, um staatliche Ganztagsbetreuung zu organisieren. Bildung? Die Familien werden höher belastet, damit ihre Kinder besser ausgebildet werden. Sozialausgaben? Die Arbeitnehmer werden höher belastet, damit der Staat weiterhin Geld an sie verteilen kann. Investitionen? Die Privatinvestoren werden höher belastet, damit wieder „Geld in die Kasse kommt für öffentliche Investitionen“ (NRW-Regierungschef Peer Steinbrück).
Die SPD sollte gewarnt sein: Sie ist dabei, die Schraube zu überdrehen. Vielleicht gelingt es mit der Neidsteuer aller Neidsteuern noch ein letztes Mal, den Bürgern das Gefühl zu vermitteln, dass ja doch immer nur die anderen betroffen sind. Aber die „Höchstverdiener“, die Clement mit der Vermögensteuer zur Kasse bitten möchte, sind auch die „Höchstinvestoren“ dieser Republik. Deshalb wird auch diese Steuer Arbeitsplätze vernichten.
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