war Rudolf Steiner ein Irrer?

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eröffnet am: 30.10.02 20:56 von: Elan Anzahl Beiträge: 7
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30.10.02 20:56

5074 Postings, 9668 Tage Elanwar Rudolf Steiner ein Irrer?

Blut und Bohnen
Der Paradigmenwechsel im Künast-Ministerium ersetzt Wissenschaft durch
Okkultismus / Von Peter Treue



Der tierische Organismus lebt im ganzen Haushalt der Natur darin. Von
vorne nach hinten im Tier: Von der Schnauze gegen das Herz zu hat es die
Saturn-, Jupiter-, Marswirkungen, in dem Herz die Sonnenwirkung, dahinter
gegen den Schwanz zu die Venus-, Merkur- und Mondwirkung . . . Das vom
Mond zurückgestrahlte Sonnenlicht ist ganz unwirksam, wenn es auf den Kopf
eines Tieres scheint. Aber diese Dinge gelten namentlich für das
Embryonalleben. Das Mondlicht entfaltet seine größte Wirkung, wenn es auf
den Hinterteil eines Tieres scheint."

Das sind Einsichten Rudolf Steiners. Er tat sie 1924 in Koberwitz bei Graf
Keyserling kund, in acht Vorträgen über "geisteswissenschaftliche
Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft". Steiner, der Gründervater
Anthroposophie, legte mit diesem Vortragszyklus den Grundstein für die
biologisch-dynamische Landwirtschaft, die radikalste Spielart des heutigen
Ökolandbaus. Die Anthroposophie ist eine Geheimwissenschaft. Sie ist zwar
in den Schriften Steiners öffentlich zugänglich, erschließt sich jedoch
angeblich nur "Eingeweihten". Die höchste Stufe der Einsicht befähigt zur
Lektüre der imaginären "Akasha"-Chronik, die nur seherisch erfaßt werden
kann. Allerdings hat das seit Steiner, soweit bekannt, kein Anthroposoph
mehr erreicht. Die Anthroposophen glauben an Reinkarnation und Karma, an
Äther-, Astral- und andere Leiber und leiten die Entwicklung der
Menschheit von "Planetenzeitaltern" ab.

Der anthroposophische Okkultismus erfährt heute einen bemerkenswerten
Aufschwung. Das aktuelle Schlagwort "Agrarwende" der grünen Ministerin
Künast umfaßt auch die Erhebung dieses sektierischen Kultes in die Reihen
der ernstzunehmenden Wissenschaften. Denn der ökologische Landbau, dessen
massive Ausdehnung Frau Künast ununterbrochen fordert, ist in seinen
Grundfesten ein Kind des Rudolf Steiner und einer Zeit, in der es vor
allem darauf ankam, gesund, natürlich und rassisch rein zu sein.

Blondheit, Gescheitheit und terrestrische Kräfte.

"Aber mit der Zeit verliert sich die Blondheit, weil das
Menschengeschlecht schwächer wird. Und die Erdenmenschheit würde vor der
Gefahr stehen, daß die ganze Erdenmenschheit eigentlich dumm würde, wenn
nicht das kommen würde, daß man eine Geisteswissenschaft haben wird, eine
Anthroposophie, die nicht mehr auf den Körper Rücksicht nimmt, sondern aus
der geistigen Untersuchung selbst heraus die Gescheitheit wieder holt,
wenn ich so sagen darf . . . Die blonden Haare geben eigentlich
Gescheitheit. Geradeso wie sie wenig in das Auge hineinschicken, so
bleiben sie im Gehirn mit ihren Nahrungssäften, geben sie ihrem Gehirn die
Gescheitheit. Die Braunhaarigen und Braunäugigen, und die Schwarzhaarigen
und Schwarzäugigen, die treiben das, was die Blonden ins Gehirn treiben,
in die Haare und Augen hinein." So Rudolf Steiner in seiner Schrift "Über
Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen
Sinneslehre". Dergleichen würde heute, öffentlich vorgetragen, entrüstete
Reaktionen hervorrufen. Statt dessen wird der Geist Rudolf Steiners
vielfach beschworen, wenn es um die Dringlichkeit einer "Agrarwende" geht.


Rudolf Steiner wurde 1861 in Kraljevica (Kroatien) als Sohn eines
österreichischen Eisenbahnbeamten geboren. Er besuchte die Schule in Wien
und studierte dort Mathematik. 1897 ging er nach Berlin, wo er
literarische Zeitschriften herausgab. Von 1899 bis 1905 war er Lehrer an
einer "Arbeiter-Bildungsschule", dort entwickelte er sein
anthroposophisches Weltbild. Das führte zum Bruch mit der "theosophischen
Gesellschaft", deren Generalsekretär Steiner seit 1902 war. Jene
Gesellschaft, gegründet von der russischen Wahrsagerin Helene Blavatsky,
hing "altindischen" Erlösungslehren an. Präsidentin der "theosophischen
Gesellschaft" war zu Steiners Zeit Annie Besant.

Nach dem Bruch hieß es in Mitteilungen der Theosophen, Steiner habe
Prophet, okkulter Lehrer und Beamter zugleich sein und die Leitung an sich
reißen wollen. Dieses Muster - Abfall von Führungspersönlichkeiten und
Neugründung einer auf sie zugeschnittenen Gemeinschaft - ist typisch für
die vielen Sekten- und Zirkelgründungen jener Zeit. Um seinerseits den
Bruch deutlich zu machen, nannte Steiner fortan seine Lehre
"Anthroposophie" und seine 1913 begründete Gemeinde "Anthroposophische
Gesellschaft". Den Begriff der "Anthroposophie" hatte er von Ignaz Troxler
übernommen, einem Arzt und romantischen Naturphilosophen.

Heute wird Steiner gelegentlich als Begründer der "Anthroposophischen
Wissenschaft" bezeichnet. Er selbst nannte seine Lehre, im Gegensatz zu
den Naturwissenschaften, "die Geisteswissenschaft" schlechthin. Der
eigentümliche Sprachgebrauch - den Wörtern wird eine andere als die
gemeinverständliche Bedeutung unterlegt - ist ein weiteres Merkmal
esoterischer Sekten. Denn in Wahrheit ist die Anthroposophie sowenig
Wissenschaft, wie Astrologie und Wahrsagerei es sind. Das weltanschauliche
Kernstück von Steiners Ideen bildet eine evolutionistische
Reinkarnationslehre. Sie verdankt sich nach Auffassung der Anthroposophen
nicht metaphysischer Spekulation, sondern Steiners persönlicher Einsicht
in höhere Welten.

Seine Anhänger wähnen ihn im Besitz seherischer Gaben, er selbst
beanspruchte die Fähigkeit zur "Hellsicht". Untersuchungen über den
Ursprung seiner komplexen Religionsschöpfung lassen aber eher vermuten,
daß er auf Ideen von Annie Besant und Helene Blavatsky zurückgriff. "Das
hellseherische Eindringen in höhere Bewußtseinssphären durch eine
okkultistische Trainierung, die siebengliedrige Natur des Menschen, die
drei Welten mit den sieben Regionen der Seelenwelt und des Geisteslandes,
die sieben planetarischen Zustände, die sieben Kulturstufen und die sieben
Wurzelrassen, die ganze Akasha-Chronik, vor allem die Lehre vom Karma und
der Wiederverkörperung, alles so ziemlich in der gleichen Weise begründet
und beschrieben", schrieb Johannes Frohmeyer schon 1920 über Steiners
Anthroposophie.

Die vollständige Erleuchtung kann man in dem weit über dreihundert Bände
mächtigen Lebenswerk Steiners nachlesen. Vielfach handelt es sich dabei um
stenographische Aufzeichnungen mündlicher Äußerungen. Es gibt fast keinen
Lebensbereich, den Steiner nicht mit seinen Einsichten bestrichen hat.
Aber einflußreich wurden seine Auffassungen vor allem in der Pädagogik
(Waldorf-Schulen), der "alternativen" Heilkunde und in der
"biologisch-dynamischen" Landwirtschaft. Dank dieser drei Säulen wurden
die Anthroposophen zur erfolgreichsten okkulten Bewegung Europas.

"Wenn wir Kosmos wirken lassen wollen, dann ist es nötig, das Irdische
möglichst stark in das Chaos hineinzutreiben . . . Das noch nicht zum
Chaos Gekommene, das weist in gewisser Weise das Kosmische zurück.
Verwenden wir das beim Pflanzenwachstum, so halten wir das eigentlich
Irdische in der Pflanze drinnen fest und es wirkt das Kosmische nur in dem
Strom, der dann wiederum hinaufgeht bis zur Samenbildung. Dagegen wirkt
das Irdische in der Blatt- und Blütenentfaltung usw. In das alles strahlt
nur das Kosmische seine Wirkungen hinein." So Steiner in seinem
landwirtschaftlichen Vortragszyklus. Sein Werk gilt unter Anthroposophen
bis heute als unantastbar, es stellt die ideologische Basis dieser
esoterischen Weltanschauung dar. Und es ist die Basis der biologisch-
dynamischen oder "organischen" Landwirtschaft, die in Deutschland heute
vor allem durch den Anbauverband "Demeter" vertreten wird.

Bald nach Steiners Vortragszyklus 1924 erprobte ein "Versuchsring
anthroposophischer Landwirte" seine "Angaben" (so die anthroposophische
Vokabel). Drei Jahre später wurde eine "Verwertungsgenossenschaft für
Produkte der Biologisch-Dynamischen Wirtschaftsmethode" gegründet und 1928
das Markenzeichen "Demeter" eingeführt. Auf dem Fundament der Lehre Rudolf
Steiners folgen die Verfechter dieser Wirtschaftsweise bis heute seinen
Anweisungen.

So vergraben die spirituellen Landwirte zum Beispiel Kuhhörner, gefüllt
mit "Düngehilfsmitteln", bei Vollmond auf dem Acker. Horn sei
durchlässiger für kosmische Energie als andere Materialien. Zermahlene
Kiesel und Kuhmist, in denen sich die kosmische Energie besonders
anreichern soll, werden in den Boden eingearbeitet. Mist von "gesundem
Weidevieh" wird deshalb verwendet, weil er sich zum "Aufsammeln
terrestrischer Kräfte" am besten eigne. Zusätzlich wird der Boden mit
speziellen "Heilpflanzen"-Extrakten besprüht, um deren "urwüchsige
Kraftquellen" nutzbar zu machen. Besonders empfahl Steiner den "stark
kieselhaltigen" Ackerschachtelhalmtee. Steiner wies in Koberwitz
ausdrücklich darauf hin, daß seine Präparate in geringsten Mengen wirksam
seien, "was für den Landwirt von großem wirtschaftlichem Vorteil" sei.
Unter Anlehnung an die Homöopathie erhob er die Wirkung "kleinster
Entitäten" zu einem Hauptprinzip der biologisch-dynamischen Düngung.
Sogenannte "Portionen" von ein bis zwei Gramm sollen ausreichen, um ein
Viertel bis ein Drittel Hektar "abzudüngen", also etwa 3000 Quadratmeter.
Diese Praxis erscheint schon angesichts der Menge natürlich vorkommender
Pflanzenbestandteile und sonstiger organischer Substanz im Boden geradezu
aberwitzig.

Vorreiter dieser landwirtschaftlichen Praktiken waren der "Reichsverband
für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Landwirtschaft und Gartenbau
e.V." und der Anbauverband "Demeter". Einer der Reichsverband-
Vorsitzenden, der ehemalige Reichskanzler Michaelis, unterstützte die
Demeter-Gründung tatkräftig. Gegründet als "Versorgungs-Genossenschaft
Demeter e.G.m.b.H." in Bad Saarow, wurde die Genossenschaft 1931 in den
"Demeter-Wirtschaftsbund" umgewandelt. Der Reichsverband für biologisch-
dynamische Wirtschaftsweise ging am 20. Februar 1935 in ein Verhältnis
"gegenseitiger Förderung und enger Zusammenarbeit" mit der "Deutschen
Gesellschaft für Lebensreform e.V." in München, die wiederum Mitglied des
"Sachverständigen Beirates für Volksgesundheit" in der Reichsleitung der
NSDAP war. Dieser Sachverhalt könnte ein Grund dafür sein, daß trotz der
Auflösung der Anthroposophischen Gesellschaft am 15. November 1935 durch
eine Verordnung der Gestapo zum "Schutz von Volk und Staat" eine
Weiterführung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise nach Rudolf
Steiner durch den nationalsozialistischen Staat geduldet und gefördert
wurde.

Dabei gingen Verfechter des biologisch-dynamischen Landbaus einst
wesentlich freundlicher mit der Ideologie des "Dritten Reiches" um, als
sie heute wahrhaben wollen. Das Organ für biologische Wirtschaftsweise
"Bebauet die Erde" zeigte sich 1940 erfreut darüber, daß der
Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Darré, sich für eine
"vernünftige und undogmatische Auswertung" der biologisch-dynamischen
Wirtschaftsweise aussprach. Enthusiastisch schrieb der Anthroposoph Ewald
Könemann: "Dazu kommt, daß auch von einer anderen Seite die biologische
Frage sowohl im allgemeinen als auch im besonderen reif geworden ist.
Zunächst ist im neuen Deutschland die Biologie politisch von Bedeutung
geworden durch die Erkenntnis der Rassenfrage, die Darré ausgeweitet hat
in dem Begriff ,Blut und Boden', das heißt er sieht die Erhaltung der
Rasse unmittelbar mit dem Boden verbunden. Gleichzeitig aber machte sich
eine Bewegung geltend, die die biologischen Fragen der Lebensweise
vertiefte und eine Wissenschaft der Naturmedizin schuf. Genau genommen
bedeutet dies nichts anderes als Rassehygiene."

Magische Landwirtschaft.

Das Streben nach "Gesundheit des Bodens" und die vom Nationalsozialismus
propagierte "Volksgesundheit" gingen eine unheilige Allianz ein. Rudolf
Steiner war bestimmt kein Nationalsozialist, zumal da er bereits am 30.
März 1925 in Dornach bei Basel gestorben ist. Doch das metaphysische
Konglomerat, das ihn hervorgebracht hat, gehört auch zu den Quellen der
nationalsozialistischen Bewegung. Und seine unverhüllt rassistischen
Auslassungen muß man dem Strom zurechnen, der schließlich in die
Verbrechen der Nazionalsozialisten mündete. Insgesamt wurden die
Anthroposophen schließlich von den Nationalsozialisten als
weltanschauliche Konkurrenten wahrgenommen, wie auch das Verbot der
"Demeter"-Organisation von 1941 erweist. Das ändert aber nichts daran, daß
Versatzstücke der anthroposophischen Lehren bei Nationalsozialisten auf
fruchtbaren Boden fielen.

Die Vorgänge verdienen also eine sensible Betrachtungsweise. Davon ist
Bundesministerin Künast weit entfernt. Sie hat inzwischen genügend
Nachhilfe in Sachen Landwirtschaft genommen, um selbstbewußt im Sinne der
Anthroposophen argumentieren zu können. In den BSE- und MKS-Fällen, die
sie an die Spitze des Ministeriums gespült haben, sah sie eine historische
Chance: "Es hat sich eine Tür aufgetan. Wenn man auf Rudolf Steiner
zurückgeht, dann haben sich die Menschen seit den zwanziger Jahren für
einen nachhaltigeren Umgang mit der Natur eingesetzt. Es war immer eine
kleine radikale Minderheit."

Diese kleine radikale Minderheit hält jetzt - über die Grünen - die Fäden
der Landwirtschaftspolitik in der Hand. Das Feindbild, "Profitbauern" und
"Agrarfabriken", ist klar definiert, der gemeine Landwirt produziert
"Masse statt Klasse". Dem stellt die Ministerin das elysäische Panorama
ökologischer Landwirtschaft gegenüber. Da erwies sich der Beirat des
Ministeriums allerdings als Hindernis. Den dort vertretenen
Agrarwissenschaftlern leuchten Einsichten wie die folgende einfach nicht
ein: "Im Apfel ißt man den Jupiter, in der Pflaume den Saturn . . . Das
Minderwertiger-Werden der Produkte . . . hängt zusammen ebenso wie die
Umwandlung der menschlichen Seelenbildung mit dem Ablauf des Kali-Yuga im
Weltall" (aus Steiners Vortragszyklus von 1924).

Nachdem die Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Beirats durch eine
Satzungsänderung zerstört wurde, trat er geschlossen zurück. Jetzt kann
sich Frau Künast ihre Berater danach aussuchen, welchen Rat sie wünscht.
Künasts Staatssekretär Müller, auch ein Grüner, sah damit nur ein
Hindernis für die Neuausrichtung der Agrarpolitik zum ökologischen Landbau
beseitigt. Und das stimmt wohl auch.

Wissenschaftliche Argumente zählen nicht, das Sagen haben Ideologen. Auf
der Homepage des Verbraucherministeriums wird, im Zusammenhang mit dem
ökologischen Landbau, der anthroposophischen Methode das Wort geredet:
"Der ökologische Landbau ist keine Modeerscheinung. Schon 1924 wurde die
biologisch-dynamische Wirtschaftsweise eingeführt. Auch andere Formen des
ökologischen Anbaus, wie der organisch-biologische oder der naturgemäße
Landbau, haben eine lange Tradition."

Der schleichende Paradigmenwechsel fand schon vor Jahrzehnten statt. Mit
Beginn der siebziger Jahre wurden an deutschen Agrarfakultäten die ersten
Lehrstühle für ökologischen Landbau eingerichtet, zum Teil unter
erheblichen universitätsinternen Protesten - wie in Kassel, wo der
damalige Präsident der Gesamthochschule, Ernst Ulrich von Weizsäcker, die
Initiative ergriff. Ein Erfolgsrezept war und ist die undurchsichtige
Verquickung von anthroposophischer Lehre und vorgeblich
naturwissenschaftlicher Methodik. Daß einer "auf höheren Einsichten"
basierenden Weltsicht mit Naturwissenschaften nicht beizukommen ist,
wissen auch die Anthroposophen. Steiner behauptete ohnehin, daß die
Naturwissenschaften gar nicht anders könnten, als nachträglich
Erkenntnisse zu gewinnen, die er dank seiner "Geisteswissenschaft" schon
vorher schaute.

Schon in den dreißiger Jahren gelangten Agrarwissenschaftler durch
vergleichende Forschungen zu dem Ergebnis, daß es keine meßbaren
Qualitätsunterschiede zwischen landwirtschaftlichen Produkten aus
biologisch-dynamischer und konventioneller Wirtschaftsweise gibt. Daher
mußten eigene Prüfverfahren eingeführt werden. Jedoch können nur
Anthroposophen sie anwenden. Beispiele dafür sind die 1930 vorgestellten
sogenannten "bildschaffenden Methoden", die die "innere Qualität, das
Charaktervoll-Arttypische" von Lebensmitteln sichtbar machen sollen, indem
man das Wachstum und die Ausbildungsform von Kristallen aus Säften und
Pflanzenextrakten frei interpretiert.

Die ideologisierte Richtung des Ökolandbaus ist eben untrennbar mit der
esoterisch vernebelten Welt- und Natursicht verbunden. Attribute wie
"natürlich, biologisch, organisch, gesund" und "ganzheitlich" - mit ihrer
für die Gläubigen spezifischen Bedeutung - gehören ebenso dazu wie der
Glaube an die Kraft der Steine und Gestirne. Steiner: "Das Wasser ist
nicht nur aus H und O zusammengesetzt, das Wasser weist die Wege im
Erdenbereich denjenigen Kräften, die zum Beispiel vom Mond kommen, so daß
das Wasser die Verteilung der Mondkräfte im Erdbereich bewirkt"
(landwirtschaftlicher Vortragszyklus). "Mondkräfte" spielen in der
anthroposophischen Landwirtschaft eine besondere Rolle. Obwohl schon
Untersuchungen in den dreißiger Jahren einen wie auch immer gearteten
Einfluß des Mondes auf das Pflanzenwachstum für unwesentlich befunden
haben, wird bis heute an einigen Instituten dahin gehend geforscht.

1995 fand die Dritte Wissenschaftstagung zum ökologischen Landbau statt.
Tagungsort war die Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Den ersten
Plenarvortrag hielt Dr. Wolfgang Schaumann aus Bad Vilbel. Schaumann
führte aus, daß Steiner mit seinem landwirtschaftlichen Vortragszyklus zu
Menschen gesprochen habe, "die sich mit seinem bisherigen Werk, der
Anthroposophie, schon beschäftigt hatten. Diese Voraussetzung muß daher
eigentlich auch heute noch erfüllt werden, was aber nur selten der Fall
ist". Steiners "Kurs", wie Schaumann die Vorträge nennt, sei "eine geistig
außerordentlich anspruchsvolle Kost. Es setzt eine sehr starke geistige
Bemühung voraus, eine Beschäftigung mit den Grundlagen der Anthroposophie
und gewissermaßen ein Leben mit den Inhalten." Statt dessen würden die
Studenten mit "Spezialwissen vollgestopft". Die "Wurzel des Problems" sei
die "Art der Bildung" in Deutschland. " Die Ausführungen endeten mit der
Feststellung: "Sie sehen, es ist ganz ungeheuer viel zu tun und das nicht
deshalb, weil wir irgendwelche Sonderlinge sind, die sich seltsame Fragen
einfallen lassen, sondern weil die Geschichte des Abendlandes dorthin
strebt und weil die Welt, wo man hinblickt, gewissermassen laut danach
ruft, daß es endlich mit genügender Intensität geschehe."

Das war der einleitende Beitrag einer wissenschaftlichen Tagung an einer
staatlichen Universität! Schaumann forderte nichts anderes als eine Abkehr
von wissenschaftlicher Bildung. Unverhüllt tritt hier der Anspruch einer
okkulten Lehre zutage, durchgreifenden Einfluß auf das Bildungswesen in
unserem Staat zu gewinnen. Was an anthroposophischen Waldorf-Schulen mit
Kindern begonnen wird, die Vermittlung einer esoterischen Mythologie, die
Runenlehre, das Rechnen mit Pentagrammen, die Erziehung zu heiliger
Ehrfurcht und Scheu - wie Steiner es ausdrückte -, das soll an den
Hochschulen fortgesetzt werden.

Die anthroposophische Medizin nach Rudolf Steiner wird heute allein in
Deutschland in etwa 1000 Krankenhäusern und von 6000 Ärzten praktiziert.
Trotz enormer Widersprüche der Anthroposophie zu den Naturwissenschaften
fühlen sich Anwender dieser Methode nicht daran gehindert, eine
Arzneimittellehre zu entwickeln, die auf dem Denkraster der Viergliederung
des Menschen in physischen, Äther-, Astral- und Lichtleib beruht. Metalle
(primär Gold-, Kupfer-, Eisen-, Quecksilber-, Zinn-, Silber- und
Bleiverbindungen) dienen zur "Behandlung" des "unbelebten Leibes", wobei
angebliche Zusammenhänge frei behauptet werden. So steht das Metall Blei
den Anthroposophen für die Wirkung des Planeten Saturn und hat als
"Zielorgan" die Milz, Gold hingegen steht für die Sonnenwirkung und zielt
auf das Herz, Silber sei mit dem Mond verbunden und wirke auf das Gehirn.

Diese Denkweisen und Praktiken sind nicht wissenschaftlich, sondern
magisch, wie die biologisch-dynamische Landwirtschaft. Solchen Ansätzen
hat sich jedoch beispielsweise das im Jahr 2000 gegründete Versuchsgut für
den ökologischen Landbau in Trenthorst bei Lübeck verschrieben. Es wird
von Gerold Rahmann geleitet, dessen anthroposophische Ausrichtung erst
jetzt zutage trat. Am Institut für organischen Landbau der Universität
Bonn wird zur Zeit eine prüfungsrelevante Vorlesung abgehalten mit
Inhalten wie geisteswissenschaftliche Grundlagen der
biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, goethanistisches Naturverständnis
und Erkenntnisweg, Nutzung chronobiologischer Rhythmen, bildschaffende
Methoden und Phänomenologie. Wie nicht erst diese Beispiele zeigen, steht
der wissenschaftliche Ansatz in Forschungseinrichtungen des ökologischen
Landbaus zur Disposition. Gleichwohl sind nicht alle Institute, an denen
zum Ökolandbau geforscht wird, Horte ideologischer Hardliner.
Integrierende Ansätze zur Ökologisierung der Landwirtschaft, wie sie am
Kieler Lehrstuhl für Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau oder in
Dänemark erarbeitet werden, können wichtige Impulse auch für die
konventionelle Landwirtschaft liefern. Ein ergänzendes Miteinander statt
ideologischer Grabenkämpfe ist vonnöten.

Aber das erfordert auch eine harte und deutliche Auseinandersetzung der
Wissenschaftler mit den radikalen pseudowissenschaftlichen Ansätzen der
Anthroposophie. Esoterik, Astrologie und Okkultismus haben an staatlich
unterstützten Forschungseinrichtungen nichts zu suchen. Ein
wissenschaftlicher und vor allem öffentlicher Diskurs über die
historischen Grundpfeiler des Ökolandbau-Gebäudes und bestimmte
gegenwärtige Ausrichtungen sind unerläßlich.

Doch auch die konventionelle Landwirtschaft trägt einen großen Teil
Mitschuld an dieser Entwicklung. Unfreiwillige Schützenhilfe erhielt die
ideologische und radikale Ökofraktion nämlich zuhauf: Es war der oft
zielund gedankenlose Einsatz von Herbiziden und Insektiziden, heute noch
als Pestizide verrufen, der immer noch grassierende Einsatz von Hormonen
und Antibiotika in der Tierzucht und eine oftmals ignorante Haltung der
Funktionäre, welche eine zunehmend kritische Verbrauchergeneration in die
Bioläden trieb. Daß die SPD das Landwirtschaftsministerium komplett den
Grünen überließ - Ministerin und Staatssekretär -, es also praktisch aus
dem Bereich eigener Interessen gestrichen hat, ist eine Folge der
BSE-Affäre.

Heute rennen zahlreiche, ehemals konventionell ausgerichtete Bauern dem
Zeitgeist hinterher und spielen mit dem Gedanken, ihren Betrieb auf "Öko"
umzustellen. Das Ganze ist, und damit wirbt auch "Demeter", ein großes
Geschäft. Für viele Landwirte dürfte der Umweltgedanke nicht das
wichtigste Argument sein. Doch wird die Rechnung unter Umständen nicht
aufgehen. Die von Frau Künast geforderten zehn Prozent "ökologisch"
produzierter Produkte würden zu einem starken Preisverfall führen. Und nur
durch zum Teil sehr hohe Preise können Ökobetriebe und -produzenten
überleben.

Chemie nie! Natur pur!

Man sollte auch die Nachteile der "ökologischen" Produktionsweise nicht
aus dem Auge verlieren - etwa die hohen Ertragseinbrüche und
Qualitätsverluste bei Getreide. Es ist ohne mineralische Stickstoffdüngung
so gut wie unmöglich, backfähigen Qualitätsweizen zu produzieren, der sich
durch einen besonders hohen Proteingehalt und gute Klebereigenschaften
auszeichnet. Doch gerade die mineralische Stickstoffdüngung ist in das
Fadenkreuz der Agrarwende geraten. Basierend auf dem strikten
Mineraldüngerverbot durch die Richtlinien der Öko-Anbauverbände wird das
in unseren Breiten effizienteste Werkzeug zur Ertrags- und
Qualitätsbildung von Getreide verteufelt.

Auch diese Beschränkung geht direkt auf Rudolf Steiner zurück, der
forderte, daß keinerlei Kunstdünger mehr zur Anwendung kommen dürfe. "Das
Streben nach Höchstqualität wäre dann vergeblich." Mineraldünger sei "tot"
und würde deshalb mit den Maßnahmen der biologisch-dynamischen
Wirtschaftsweise, "die überall das Leben fördern sollen", nicht
harmonieren. Berechtigte ökologische Fragestellungen, zum Beispiel zur
Nitratauswaschung ins Grundwasser, waren in diesem Zusammenhang ohne
Bedeutung. Aber auch die heute aktuellen ökologischen Zielsetzungen werden
auf "biologisch-dynamischem Wege" nicht zwangsläufig erreicht.

Das ist nicht etwa eine Anspielung auf den Fund des Wachstumsregulators
Chlormequat in den Babygläschen des "Demeter"-Herstellers Sunval. Einige
Agrarökonomen sind der Ansicht, daß die Anbaurichtlinien des ökologischen
Landbaus nie darauf überprüft wurden, ob sie tatsächlich auf effiziente
Weise die Umweltziele erreichen. Möglicherweise gibt es Landbaumethoden,
die nachhaltiger als der Ökolandbau sind. Selbst beim unbestreitbar
wichtigen Thema Tierschutz muß die Ökolandwirtschaft Probleme einräumen,
so bei Fragen der Milchviehhaltung.

"Chemie nie! Natur pur!" steht auf den Brötchentüten einer Bioland-
Vertragsbäckerei. Bioland gilt als einer unter den zum Teil zerstrittenen
Anbauverbänden, der ideologische Ansätze nicht unterstützen will und sich
von diesen absetzte. Ist diese etwas schlichte Werbung nicht Sinnbild für
die gesellschaftliche Entwicklung? So harmlos sich die Worte auf der Tüte
auch ausnehmen: Sie sind Beleg für die Abkehr von einer wissenschaftlichen
und realistischen Weltsicht hin zum Irrealen und Übernatürlichen. Dieser
Prozeß hat sich in die Schulen und Universitäten eingeschlichen, er spielt
sich tagtäglich auf allen Fernsehkanälen ab - und auch in einigen Köpfen
von Entscheidungsträgern. Während weltweit an der Entschlüsselung des
menschlichen Erbgutes geforscht wird und Teilchenphysiker der Kraft auf
der Spur sind, die "die Welt im Innersten zusammenhält", lassen
wohlmeinende deutsche Eltern ihre Kinder nicht mehr impfen. Der Staat
selbst finanziert direkt und indirekt die Verbreitung
pseudowissenschaftlicher Lehren. Die Pisa-Studie bescheinigte unserem Land
niederschmetternde Bildungsergebnisse. Gerade in den
naturwissenschaftlichen Fächern gibt es einen großen Mangel an
Lehrkräften. Hat Steiner auch das vorhergesehen? "Unser Denken hört auf,
und unser Kopf wird der Schauplatz des Wirkens der höheren Hierarchien."

* Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.

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Bildunterschrift: Der Mensch als Mikrokosmos im Makrokosmos.
Wandtafelzeichnung von Rudolf Steiner, 1923.

Es entstehen die Sinne, es werden Augen und Ohr. Pastell von Rudolf
Steiner, 1914.

© Rudolf Steiner Nachlaßverwaltung, Dornach


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30.10.02 20:58

59073 Postings, 9033 Tage zombi17Ist Elan ein Irrer? :-)

Fragen über Fragen

 

30.10.02 21:02

6537 Postings, 8628 Tage SchnorrerWar R. Steiner jemals auf einem Finanzamt?

Oder bei einer Führerscheinstelle?

Fragen über Fragen ...  

30.10.02 21:05

269 Postings, 8456 Tage FacelessTut das weh ?

Zitat: "unser Kopf wird der Schauplatz des Wirkens der höheren Hierarchien."
 

30.10.02 21:12

179550 Postings, 8725 Tage GrinchWer ist Rudolph Steiner???

Kenn nur dem Peter Steiner sein Komödienstadel... von denen kauf ich immer die alten Witze im 5er Pack für 3,99 €...  

30.10.02 21:15

6537 Postings, 8628 Tage SchnorrerR. Steiner war der Architekt für Speer

Alles klar? Der eine für Überbau, der andere für Unterbau. Dazwischen liegt "Kraft durch Freude"  

30.10.02 21:16

179550 Postings, 8725 Tage GrinchJau danke Schnorrer mit Nazis kenn ich mich aus!!! o. T.

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